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11. Der Vater

Peter fährt gern nach Dresden, vor allem, um dort seinen leiblichen Vater, Wilhelm, und dessen Familie zu besuchen.

Wilhelm war bis zu seiner Berentung vor zwei Jahren Dozent an der Dresdner TU. Er wuchs in einer gutsituierten Familie auf einem ostpreußischen Gut auf, war aufgrund seiner Talente der Star unter seinen vielen Geschwistern und wurde deshalb von seiner Mutter verwöhnt und mit einem überbordenden Selbstvertrauen ausgestattet. Seit der kriegsbedingen Flucht seiner Familie lebt er in Sachsens Hauptstadt.

Peters Eltern, bei denen er aufwuchs, haben ihm nie erzählt, dass sein Vater Eduard nicht sein leiblicher Vater ist. Erst mit Achtzehn hat er es von Wilhelm selbst erfahren und nochmals viele Jahre später, dass seine damals siebzehnjährige Mutter ihn kurz nach der Geburt ins Heim abgegeben und später auf Initiative Eduard wieder zurückgeholt hat.

Warum seine leiblichen Eltern nicht zusammengeblieben sind, hat Peter nie erfahren. Wilhelm hat fünf Jahre nach der Geburt seines Sohnes, Gertrud geheiratet.

Gertrud eine attraktive Frau, gebürtige Dresdnerin, intelligent, warmherzig und klug, für Peter der Inbegriff der idealen Ehepartnerin, hat ihn solange sie sich kennen, wie ihr eigenes Kind behandelt.

Der Kontrast zwischen der späten aber liebevollen Aufnahme in die Familie seines Vaters und der kalten Welt seiner ursprünglichen Familie könnte nicht größer sein.

Tatsächlich ist Gertrud der Hauptgrund für Peter, den Kontakt zu seinem Vater zu pflegen, denn sein Vater ist ein sehr widersprüchlicher Mensch. Er kann charmant und unterhaltsam, oft aber auch sehr verletzend sein.

Peter hat nie verstanden, warum Gertrud seinen Vater trotzdem liebt und es mit ihm die vielen Jahre ausgehalten hat. Cornelia meidet geradezu den Umgang mit Wilhelm, seit er sie einmal als dumme Kuh bezeichnet hat, Ursache des einzigen offenen Streits zwischen Peter und seinem Vater.

Erstaunlicherweise hat Wilhelm sich später für dieses Fehlverhalten entschuldigt. Peter muss lächeln, als er daran denkt. Es muss ihm doch etwas an uns liegen. Es ist ja auch nicht gerade so, dass er viele Freunde in der Verwandtschaft hat und Peters Kinder sind seine einzigen Enkelkinder. Beatrice, Gertruds Tochter, Peters Halbschwester, ist noch kinderlos.

Peter ist vor einer Stunde in Dresden angekommen und sitzt mit seinem Vater und Gertrud in ihrem gemütlichen Wohnzimmer am festlich gedeckten Tisch. Gertrud, wie immer eine sehr aufmerksame Gastgeberin, hat seinen Lieblingskuchen gebacken.

Peter schildert gerade seine aktuellen Eheprobleme. Gertrud sieht man an, dass sie großes Mitleid mit Peter empfindet. Sie hat seine Hand gefasst und streichelt zärtlich seinen Arm. Im Gegensatz dazu rutscht Wilhelm mit ärgerlichem Blick unruhig auf seinem Stuhl herum.

Als Peter seine Ausführungen beendet, ergreift Wilhelm sofort die Gelegenheit, das Gespräch an sich zu reißen. Er beginnt mit einleitenden Grundregeln zum ehelichen Zusammenleben, auf denen indirekten Hinweise auf Peters Fehler folgen und leitet dann über zu seinen eigenen Erfolgen als Ehemann.

Peter, den die selbstverliebten Monologe seines Vaters wie immer langweilen, ist irritiert, sagt aber nichts, da er weiß, dass dieser es hasst, wenn man seine Tirade unterbricht. Er konzentriert sich auf den Genuss des schmackhaften Kuchens und schluckt mit diesem seinen Ärger hinunter.

Gertrud schaut ihren Mann die ganze Zeit spöttisch an, dann steht sie auf, ergreift die Kaffeekanne und unterbricht den Redefluss ihres Göttergatten. „Wilhelm, Peter ist doch kein kleiner Junge. Lass uns jetzt bitte das Thema beenden.“

Erstaunlicherweise, Peter ist immer wieder fasziniert, wie beide miteinander umgehen, stoppt Wilhelm sofort seinen Sermon, räuspert sich verärgert, springt auf und sagt: „Ich gehe schnell in den Keller. Da habe ich noch eine Überraschung für Peter.“

Peter lächelt Gertrud erleichtert zu, als sie allein sind, fasst sie seine Hand und sieht ihm mit feuchten Augen an. „Peter, es tut mir so leid, dass Conny solche Schwierigkeiten macht. Ich wünsche dir, dass ihr beide euch wieder zusammenrauft. Gib nicht auf.“

Peter seufzt und nickt zustimmend. „Ja, ich muss mich mehr um Conny kümmern.“

Dann wechselt Gertrud das Thema. „Wie geht es Maren und Hendrik?“ Peter erzählt von seinen Kindern, und als er gerade von den Auslandsplänen Marens berichtet, kommt sein Vater, triumphierend wie Napoleon ins Zimmer zurück, in der Hand eine kleine Specksteinplastik. Seine Augen leuchten wie bei einem Kind am Heiligabend als er Peter die Figur zeigt. „Du kennst doch die liegende Venusfigur, die ich dir letztlich im Museum zeigte?“

Peter kann sich nicht erinnern, aber sein Vater bemerkt es gar nicht, da er sofort weiterredet: „Ich habe mich selbst übertroffen und eine ähnlich aus Speckstein geschaffen. Ich finde, sie ist mir sehr gelungen, besser als das Original.“

Peter kann sich das Lachen kaum verkneifen, er ist wie so oft beeindruckt vom Ego seines Vaters, der es wirklich ernst meint. Früher einmal, in einer ähnlichen Situation hat Peter nicht wunschgemäß reagiert und da ist sein Vater fuchsteufelswild geworden, er sieht sich selbst als begnadeten Künstler.

Da die Plastik aber gelungen ist, bewundert Peter sie höflich. Sein Vater genießt stolz wie ein Pfau Peters Komplimente und überreicht ihm gönnerhaft die Specksteinfigur. „Ich schenke sie dir nachträglich zum Geburtstag.“

Peter bedankt sich verlegen und stellt die kleine Plastik vor sich auf den Tisch, während sein Vater sich kerzengerade in den Sessel setzt und triumphierend in die Runde schaut. „Ja, es ist wichtig für einen Akademiker, dass er seine künstlerischen Talente entwickelt und sich auch in der Freizeit vom Mittelmaß abhebt.“

Peter stöhnt in sich hinein. Nicht schon wieder ein Vortrag über die elitäre Akademikerkaste, das halte ich jetzt nicht mehr aus. Da Gertrud mit dem Abräumen des Kaffeegeschirrs beginnt, ergreift er die Gelegenheit, steht auf und hilft ihr.

In der Küche schaut Gertrud in lächelnd an. „Frag ihn doch, ob er Schach mit dir spielt.“ Peter nickt. „Ja, das ist eine gute Idee.“

Als der Kaffeetisch abgeräumt ist, sitzt sein Vater immer noch im Sessel, verliebt seine Plastik bewundernd. Peter setzt sich zu ihm und fragt: „Willst du dich wirklich von deinem Kunstwerk trennen?“ Wilhelm schaut auf und blickt Peter misstrauisch an. Bevor er jedoch etwas sagen kann, fragt Peter ihn, ob er mit ihm Schach spielen möchte. Wilhelm ist sofort einverstanden, er freut sich. Er schiebt den kleinen Schachtisch mit den wunderschön geschnitzten Schachfiguren heran und sie beginnen ihr Spiel.

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