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3. Die Komplikation

Als Peter die Station erreicht, begrüßt er Schwester Monika, die am Stationstresen Patientenakten bearbeitet. Peter schätzt sie, sie ist klug und umsichtig, eine der besten Schwestern der Station.

Sie schaut ihn ernst an. „Herrn Kaiser tropft seit Stunden eine klare Flüssigkeit aus der Nase. Es scheint sich um Liquor zu handeln.“

Peter nickt nur kurz. „Ich schaue es mir gleich an. Bringen sie mir bitte ein kleines Gefäß und Glukoseteststreifen ins Patientenzimmer.“

Während die Schwester die gewünschten Dinge holt, zieht Peter sich um und geht dann zum Patienten. Auf der Station ist es sehr ruhig, ein angenehmer Kontrast zur üblichen Tageshektik.

Als er das Patientenzimmer erreicht, klopft er, wartet kurz und öffnet die Tür. In dem nüchternen Zweibettzimmer liegt nur ein Patient, Herr Hauptmann, der ihn erstaunt ansieht.

„Guten Abend Herr Doktor, sie haben wohl nie Feierabend.“ Peter zeigt keine Emotion. „Guten Abend Herr Hauptmann. Wo ist ihr Bettnachbar?“

„Er hat Besuch von seiner Frau. Sie sind beide spazieren gegangen.“

Peter zieht einen Stuhl ans Bett des Patienten, setzt sich und sagt mit ernster Miene: „Herr Hauptmann, Schwester Monika hat mir berichtet, dass Ihnen seit Stunden eine klare Flüssigkeit aus der Nase tropft.“

Herr Hauptmann nickt. „Ja, aber nur ab und zu. Ich bekomme vielleicht einen Schnupfen.“

Währenddessen betritt Schwester Monika leise das Zimmer, stellt ein Tablett auf den Nachttisch des Patienten und stellt sich schweigend neben das Bett. Peter nickt ihr kurz zu und blickt wieder zum Patienten.

„Herr Hauptmann, ich habe ihnen heute Morgen die Nasentamponade gezogen. Es besteht die Möglichkeit, dass dadurch ein Defekt an der Schädelbasis freigelegt wurde, aus dem jetzt Hirnwasser abtropft.“

„Ein Defekt an der Schädelbasis?“ Herr Hauptmann wird blass. „Wie kann denn das passieren?“

Peter holt langsam und tief Luft. „Herr Hauptmann, wir haben vor der Operation darüber gesprochen, dass bei dem Eingriff auch Komplikationen auftreten können. Eine Verletzung des Schädelbasisknochens tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von einer zu hundert Operationen auf.“

Er hält kurz inne, beobachtet den Patienten und wartet auf die Wirkung seiner Worte, Herr Hauptmann schaut ihn aber nur verständnislos an, so dass Peter fortfährt: „Die Nasennebenhöhlen, aus denen ich die Polypen entfernt habe, grenzen unmittelbar an einen Knochen der Schädelbasis, der teilweise dünner als ein Millimeter ist.“

Herr Hauptmann wird unruhig, während Peter weiterredet. „Es ist auch bei sorgfältigster Operation nicht immer vermeidbar, dass es während solcher Eingriffe zu einer Knochen- und damit Hirnhautverletzung kommt.“

Herrn Hauptmanns Gesicht rötet sich, erregt poltert er los: „Und das muss gerade mir passieren.“

Peter ergreift seine rechte Hand und sagt beschwichtigend: „Herr Hauptmann, sie brauchen keine Angst haben. Wichtig ist, dass so eine Verletzung frühzeitig bemerkt und gedeckt wird. Damit werden gefährliche Komplikationen vermieden. Die Perforation an sich ist nicht gefährlich.“

„Was denn für gefährliche Komplikationen?“ Blanke Angst schreit aus den Augen des Patienten. Peter atmet wieder tief durch, Schwester Monika legt ihm eine Hand auf die Schulter.

„Herr Hauptmann beruhigen sie sich bitte. Wir werden jetzt etwas von der Nasenflüssigkeit auffangen und wissen dann mit Sicherheit, ob es sich um Hirnflüssigkeit handelt.“

Herr Hauptmann schweigt betroffen, seine Augen flackern, während Peter sich den kleinen Glaszylinder greift und ihn Herrn Kaiser unter die Nase hält. Nach einigen Sekunden löst sich der erste Tropfen von der Nasenspitze und fällt in den Behälter. Peter beobachtet den Patienten und flüstert Schwester Monika dabei unauffällig etwas ins Ohr.

Die Prozedur dauert einige Minuten. Peter hat unterdessen einen Teststreifen in das Glasgefäß rutschen lassen, der sich an der angefeuchteten Spitze langsam rot färbt.

Er schaut Schwester Monika mehrfach gequält an und sagt abschließend zum Patienten: „So Herr Hauptmann, das war es erst mal.“ Dabei hebt er leicht schüttelnd das Glas. „Wir lassen diese Flüssigkeit jetzt untersuchen und in etwa einer Stunde wissen wir Genaueres.“

Herr Hauptmann sieht Peter misstrauisch an. „Und was passiert dann?“ Peter ist schon auf dem Weg zur Tür, als er antwortet. „Wir reden dann miteinander.“

Am Tresen angekommen sagt er: „Monika, lassen sie sofort und mit Nachdruck die Flüssigkeit untersuchen. Die Verfärbung des Teststreifens spricht dafür, dass es sich um Liquor handelt.“

Sie nickt und fragt leise: „Ist das sehr kritisch?“ Peter lächelt zerknirscht. „Ach Monika, so etwas passiert eben. Es ist eine typische Komplikation, die mir zum ersten Mal widerfährt.“

Dann fasst er Monika an die Schulter. „Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie mich sofort informiert haben. Das werde ich ihnen nie vergessen. Alles andere wird gut verlaufen. Kritisch hätte es werden können, wenn die Liquorrhoe unbemerkt geblieben wäre.“

Monika wird puterrot. „Das gerade ihnen das passieren muss.“ Peter lächelt gequält. „Berufsrisiko, da muss ich jetzt durch. Wenn das Laborergebnis da ist, kommen sie bitte mit dem Patienten in mein Untersuchungszimmer. Ich warte dort.“

Er dreht sich abrupt um und geht zum Untersuchungsraum, gleichzeitig sein Klinikarbeitszimmer. Dort lässt er sich erschöpft in den Sessel fallen. Im Moment hat sich wohl alles gegen mich verschworen!

Er reibt sich die Stirn und schließt für Sekunden die Augen. Als er sie wieder öffnet, sieht er unerwartet Herrn Hauptmanns Unterlagen auf dem Schreibtisch liegen, Monika hat sie wohl vorsorglich dort hingelegt. Sie ist wirklich eine Perle. Nicht auszudenken, wenn eine der unterdurchschnittlichen Schwestern Dienst gehabt hätte.

Langsam blättert er sich durch die Patientenakte, findet den Aufklärungsbogen, liest ihn aufmerksam durch und schließt dann beruhigt die Akte. Er entspannt sich, alles korrekt.

Zum Glück ist er hinsichtlich der Patientenaufklärung immer sehr gründlich. Er hat vor der Operation ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Perforation des Schädelbasisknochens hingewiesen und Herr Hauptmann hat es mit seiner Unterschrift bestätigt.

Peter schließt die Augen und nickt sofort ein. Plötzlich klopft es an der Tür, er schrickt auf. Was ist los? Er ist wohl kurz eingeschlafen. „Herein!“

Schwester Monika und Herr Hauptmann betreten das Zimmer. Monika reicht Peter das Laborergebnis, er schaut es sich an, runzelt die Stirn und sagt lapidar zu Herrn Hauptmann: „Leider haben sich die Vermutungen bestätigt. Setzen sie sich bitte. Schwester Monika, sie bitte auch!“

Herr Hauptmann lässt sich in einen Sessel falle, sein Blick kreist unruhig umher, dann guckt er zu Boden, ringt mit seinen Händen und plötzlich richtet er sich auf und schaut Peter fragend an. „Wie geht es jetzt weiter?“

Peter guckt ihm fest in die Augen und sagt: „Herr Hauptmann, die Perforation des Schädelbasisknochens muss gedeckt werden, das heißt, ich muss sie noch einmal operieren.“

Herr Hauptmann poltert sofort los: „Noch mal operieren, muss das sein?“ Peter lässt sich nicht beeindrucken. „Es handelt sich nur um einen Kurzeingriff, aber ohne ihn besteht das Risiko, dass sie eine Hirnentzündung bekommen.“

Herrn Hauptmanns Gesicht versteinert sich, während Peter weiter erklärt. „Sie erhalten jetzt ein Antibiotikum und ich werde sie im Laufe des Abends operieren, das heißt, die kleine Perforation verschließen. Danach sind schwerwiegenden Komplikationen sehr unwahrscheinlich.“

Peter schaut den Patienten aufmerksam an. Nachdem dieser nicht reagiert, fragt er: “Sind sie damit einverstanden?“

Herr Hauptmann hebt ruckartig den Kopf, schaut Peter missmutig an und stößt plötzlich hervor: „Ich will in die Uniklinik verlegt werden. Die sollen mich operieren.“

Peter schluckt, hält kurz den Atem an, sagt aber nichts, steht auf, geht kurz durchs Zimmer und reagiert dann mit ruhiger Stimme: „Ich muss ihre Entscheidung akzeptieren und werde das Entsprechende veranlassen. Wenn die Kollegen der Uniklinik zustimmen, werden ich sie sofort dorthin verlegen.“

Herr Hauptmann steht abrupt auf und schaut Peter unsicher an. „Sind sie fertig mit mir?“ Peter nickt zustimmend. Herr Hauptmann dreht sich um und geht ohne ein Wort aus dem Zimmer, Schwester Monika folgt ihm und Peter setzt sich ans Telefon.

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