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1982 bis 1983: „Welcome America!“ – Flegeljahr bei den Amis.
ОглавлениеDer sensible Leser hat hier und da zwischen den Zeilen zarte Kritik an meinen Eltern herausgespürt. Wenn es um grundlegende Entscheidungen ging, machten sie einen klasse Job! So hatten sie wie ich keinerlei Zweifel daran, dass ein Austauschjahr in den USA nach der 10. Klasse eine tolle Sache ist. Danke dafür! Vor 30 Jahren hätte ich mit all den neuen Erfahrungen in einer fremden Kultur ein ganzes Buch füllen können. Hier ist nur Platz für ein paar lustige Anekdoten.
Ein paar Wochen vor dem Abflug komponierte ich ein flottes Stück, das einen typisch amerikanischen Ragtime-Part enthielt. Jedenfalls so, wie sich der kleine Klaus Ragtime vorstellte. In großer Vorfreude nannte ich die Komposition „Welcome America!“ („Willkommen Amerika!“). Ich war aufgeregt in einem Land zu wohnen, in dem die Sprache meiner Helden, der Beatles, gesprochen wurde. Da die Amerikaner mit meinem Vornamen vermutlich wenig anfangen konnten, überlegte ich, meinen Mitschülern anzubieten, mich der Einfachheit halber John zu nennen. Diese Idee ließ ich aber schnell fallen, als sich herausstellte, dass die Amerikaner „John“ wie „Djahn“ aussprachen, was für mich nicht mehr nach John Lennon klang. Noch schlimmer traf mich, dass „Djahn“ in ihrer Umgangssprache Herrentoilette bedeutete.
Die Organisation „Youth For Understanding“ war bemüht, im Vorfeld für jeden Austauschschüler die passenden Gasteltern zu eruieren. Meine, Judy und Don Miller aus der kleinen Stadt Escanaba in Michigan, erzählten mir später, sie hätten sich aus Mitleid für mich entschieden. Weil ich auf dem Bewerbungsfoto so kläglich aussah. In guter amerikanischer Tradition (siehe CARE-Pakete) wollten sie also jemanden aus der alten Welt ein bisschen „aufpäppeln“. Wie es mir damals gelang, auf Fotos immer elend auszusehen, weiß ich nicht. Umso größer war dann die Überraschung am Flughafen. Statt des erwarteten „poor boy“ nahmen sie einen „handsome, tall German boy“, einen „hübschen, großen, deutschen Jungen“ in Empfang.
Sie mieteten extra für mich ein Klavier und gaben sich mit mir die allergrößte Mühe, was ich ihnen in keiner Weise dankte. Sobald dieses Buch ins Englische übersetzt wird, lieber Übersetzer, holen Sie das bitte an dieser Stelle mit ein paar warmen Worten nach!
Ich nutzte das Jahr außerhalb des strengen Regiments meines Vaters dazu, einmal ein richtiger „Teenager-Stinkstiefel“ zu sein. Einmal erschien meine amerikanische Mutter etwas zu früh, um mich in der Schule von einem Karatekurs am Nachmittag abzuholen. Wir waren gerade bei peinlichen Anfängerübungen, und ich machte meinem Ärger über ihre Anwesenheit mit einer frischerworbenen umgangssprachlichen Phrase Luft. Ich brüllte durch die ganze Turnhalle: „Get lost!“ Das kann man kaum freundlicher als mit „Zieh Leine!“ übersetzen. Erstaunlicherweise liebte meine Gastmutter mich trotzdem.
Meine Kenntnis der englischen Sprache verfeinerte sich aber nicht nur durch Missgriffe im Alltag, sondern auch nach wie vor durch Liedtexte. Leider hatte sich John Lennon, dessen Solowerk ich mich in dieser Zeit widmete, nicht immer salonfähiger Ausdrücke bedient. Einige Redewendungen ergaben mit meinem Schulenglisch überhaupt keinen Sinn. Auch die knallte ich meiner amerikanischen Mutter unbeirrt entgegen und forderte eine Erläuterung. Wenn sie dann errötete und: „Go and ask Daddy!“ („Frag Deinen Vater!“) stammelte, ahnte ich, in welche Richtung es gehen würde. „Daddy“ redete dann so lange um den heißen Brei herum, bis mir dämmerte, um was es ging. Es wird behauptet, die Amerikaner seien prüde.
Nicht nur verbal genoss ich mit meinen beiden Freifahrtscheinen des Ausländers und des Teenagers im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mehr Freiheiten als im Musikerviertel in Sankt Lorenz-Nord. Auch die Haare konnte sich „Plüschi“ endlich ganz auf Beatles-Länge wachsen lassen. Das, was ich für ihren perfekten Sitz hielt, erforderte allerdings ein großes Opfer. In Deutschland wurde ich stets um Punkt 7.05 Uhr geweckt. Es gab bei den Poraths eine militärische Duschreihenfolge, bei der ich – meinem familiären Status entsprechend – an letzter Stelle stand. Nach dem Frühstück saß ich dann um 7.55 Uhr auf dem Fahrrad, um beim Klingelzeichen um 8.00 Uhr pünktlich auch im entferntesten Raum der Schule zu sein. In Amerika fuhr der Schulbus bereits um 6 Uhr ab! Das frühe Aufstehen machte mir schwer zu schaffen, aber um wie ein Beatle auszusehen, stand ich noch früher auf. Und saß jeden Morgen um 5 Uhr vorm Kachelofen und schüttelte die gewaschenen und ins Gesicht gebürsteten langen Haare zum Trocknen hin und her. Föhnen ging nicht. Nur so wurde der Pilzkopf perfekt!
Als „Beatle“ in Amerika auf einer Reise an die Westküste.
Meine Eitelkeit hatte zur Folge, dass ich nachmittags um 15 Uhr auf der Heimfahrt im Bus regelmäßig einschlief. Meinem 14-jährigen amerikanischen Bruder Randy bereitete es immer einen Heidenspaß, mich kurz vor unserer Haltestelle aus dem Tiefschlaf zu reißen, in dem er mir „Klaus, Klaus, the bus is on fire!“ („Klaus, Klaus, der Bus brennt!“) direkt ins Ohr brüllte. Ich liebte ihn dafür.
Randy liebte es, mich heimlich am Klavier zu belauschen. Nach einem Song sprang er aus seinem Versteck hervor und klatschte wie ein Wilder. Es sollte mich wohl peinlich berühren, beim Singen ertappt worden zu sein. Ich war leicht irritiert, ließ mich aber nicht vom Kurs abbringen. Ich wusste, wo die Reise hingehen sollte. In Amerika hörte ich auf, instrumental zu komponieren und fing an Songs zu schreiben. Natürlich auf englisch. Sebastian hatte mir vorm Abflug ein paar Jazznoten in die Hand gedrückt und auf „Lullabye of Birdland“ „Damit Du weißt, was Du machst, wenn Du wiederkommst.“ gekritzelt. Er bildete sich gerade in Sachen Jazz weiter und sah in mir wohl seinen zukünftigen Begleiter. Es sollte anders kommen.
Mit Sebastian schickte ich mir, genau wie mit meiner Familie, meinem damaligen besten Freund Andreas Sirotzki und Anke, statt Briefe Kassetten hin und her. Wir erzählten uns darauf Neuigkeiten. Die monotone Grabesstimme meines Vaters versprühte wenig Lebensfreude. Bei meinen Eltern passierte auch nichts weltbewegend Neues. So blieb auf ihren Kassetten viel Platz für die schwer angesagten dilettantischen Lieder, die in meiner Abwesenheit gerade als „Neue Deutsche Welle“ für Furore sorgten.
Einigen Freunden ist es ein Rätsel, wie ich mich an Dinge, die so lange zurückliegen, erinnern kann. Vieles ist mir so klar vor Augen, als wäre es gestern passiert. (Bei den Kassetten ist das einfach. Die stehen hübsch aufgereiht in meinem Archivregal.) Ich kann alle beruhigen, ich strenge mich dafür nicht besonders an. Unser aller Unterbewusstsein speichert die ganze Zeit alles ab, auch wenn wir keinen direkten Zugriff darauf haben. Vor einigen Jahren hatte Sebastian für meine Begriffe zu oft den Spruch: „Geht um nichts!“ auf den Lippen. Also: das Leben ist nicht wichtig. „Omas Goldjunge“ sieht das anders: Sein Leben ist ihm wichtig! Warum würde er sonst ein Buch darüber schreiben? Es sollte alles richtig laufen!
Immer wenn es irgendwo „knirscht“, finde ich das spannend und es prägt sich mir ein. Ich bin einfach ein Erinnerungssammler. Da Erinnerungen alles sind, was vom Leben bleibt, könnten sie nichts weniger als der Sinn des Lebens sein.