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Weihnachten 1982 – Erste akustische Bilanz.

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Im fernen Michigan kam mir Ende 1982 die Idee, die in der Heimat zurückgebliebenen Verwandten und Freunde zu Weihnachten mit einem akustischem Resümee meines bisherigen musikalischen Schaffens zu überraschen. Wie bereits geschildert stand bei all meinen Projekten seit einiger Zeit stets ein Kassettenrekorder in der Ecke. Der fügte jedes Mal eine kräftige Portion Rauschen hinzu und konservierte alles für die Ewigkeit. In der Miller-Family trug das Projekt den Arbeitstitel „The Great Recording“ („Das große Aufnehmen“). Meine amerikanischen Gasteltern waren über die Nächte, die ich durcharbeitete, um die ca. drei Dutzend Kassetten zu kopieren, einigermaßen schockiert. Ich bin mir sicher, dass die Methode, die ich dabei anwendete, einmalig in der Geschichte der Tontechnik ist. Auf jeden Fall war sie einmalig blöde und aufwendig. Anstatt wie üblicherweise ein Master-Band anzufertigen und eine Kassettenseite im Ganzen zu kopieren, überspielte ich nacheinander jeden Titel einzeln auf die Geschenkkassetten. Ich war also gezwungen alles mitzuhören, um am Ende eines Stücks die Überspielung zu stoppen, das Band an den Anfang zurückzuspulen und eine neue zu bespielende Kassette einzulegen. So lag ich etliche Tage und Nächte vor zwei Tapedecks auf dem Wohnzimmerteppich, hatte Kopfhörer auf den Ohren und war für niemanden ansprechbar. Auch wenn die Qualität der Musik noch nicht erahnen ließ, dass ich später Berufsmusiker werden würde, zeigte doch zumindest die freiwillige Selbstversklavung und Hingabe an eine Sache bis zu ihrem Abschluss, dass ich das Zeug zur Selbstständigkeit hatte.


Mein erstes musikalisches Fazit nach der Klassik betitelte ich schlicht mit „Klaus Porath – 1979 bis 1982“ und fügte noch ein „mixed digitally“ („digital abgemischt“) hinzu. Das war natürlich völliger Quatsch. Ich wusste damals gar nicht, was das war. Aber es stand immer häufiger auf aktuellen Schallplatten und klang irgendwie modern und wichtig. Das wüste Gemisch, das sich in der Weihnachtszeit seinen Weg in die Ohren meiner Verwandtschaft zu bahnen suchte, begann mit: „Ja, mir san mit’m Radl da“. Dargeboten von Don Miller an der Klarinette und mir am Klavier.

Es wurde auf dem handgeschriebenen Beipackzettel mit „Bavarian Song“, („Bayerisches Lied“) angekündigt. Als Nordstaatler (Schleswig-Holstein – Michigan) waren wir uns einig, dass Bayern mir so fremd wie meinen Amerikanern Texas war. Judy Miller klatschte den Takt mit.


Mein Gastvater, Donald Miller und ich.

Danach folgten „Lampenfieber“ und sieben weitere Klavierkompositionen, die ich in Amerika extra für diese Veröffentlichung auf dem gemieteten Klavier aufgenommen hatte. Für das anschließende „Donna, Donna“ hatte ich mir in Deutschland das Tonband meines Vaters ausgeliehen, mit dem ich mich an ersten Mehrspuraufnahmen versuchte. Hierauf spielte ich Klavier und Akkordeon. Mein Vater kritisierte an der Aufnahme, ich hätte das gefühlvolle Stück viel zu schnell gespielt. Womit er auch Recht hatte. Ich wollte das aber nicht auf mir sitzenlassen und konterte mit der launigen Ausrede: „Ich musste es so schnell spielen, weil Du Dein Tonbandgerät schnell wieder haben wolltest!“ Danach ertönt auf der Kassette wieder Don Millers Klarinette mit „You Never Give Me Your Money“ von den Beatles, gefolgt von „Lady Madonna“, ebenfalls von den Beatles, mit Massayoshki Iwahashi, einem japanischen Austauschschüler am Schlagzeug und mir am Klavier. Beeindruckender als seine Fähigkeiten an den Drums fand ich die Tatsache, dass er es ein Jahr lang erfolgreich vermieden hatte, auch nur ein bisschen Englisch zu lernen. Um zusammen Musik zu machen, mussten wir glücklicherweise nicht miteinander reden. Seine Gastfamilie wohnte in Gladstone und war mit meiner befreundet. Ich bin mir sicher, sie haben später gleichzeitig geweint und gelacht, als sie als Resümee seiner Zeit bei ihnen auf einer Postkarte aus Japan lesen durften: „I miss Gladstone so hardly.“ („Ich vermisse Gladstone kaum“.)

Danach folgt meine erste Mehrspuraufnahme mit Gesang! Ich verging mich an dem nicht ganz so bekannten, aber im Original wunderschönen Beatlessong „I’ve Just Seen A Face“. Ich komponierte spontan noch einen kleinen Teil dazu und grölte etliche Male den Gesang aufs Band. Zu meiner Entlastung füge ich an, dass eine der letzten aufgenommenen Stimmen das Ergebnis selbstkritisch mit den Worten: „Das ist ja wie in einer Hafenkneipe hier“ kommentierte. Danach wurde es mit „Walk, Don’t Run“ wieder etwas angenehmer für die Ohren. Dann folgt eine endlos lange Improvisation von Massayoshi und mir über „Black Angel“ (von mir), „Hurricane“ (von Bob Dylan) und „Let It Be“ (von den Beatles). Wer bis hierhin tapfer durchgehalten hatte, wurde danach durch sakrale Töne erschreckt. Ich hatte meine amerikanische Mutter einmal mit zum Gottesdienst in ihre Methodistenkirche begleitet und dort erwirken können, dass man mich für ein paar Stunden mit der Orgel und meinem Kassettenrekorder alleine ließ. Nach gewaltigen improvisierten Klängen der „Königin der Instrumente“ folgt quasi als Erholung für das Trommelfell ein kleiner „Happy Blues“ am Klavier. Danach knöpfe ich mir, wieder mit Klavier und Akkordeon, die Beatles vor. Diesmal muss Lennons „Glass Onion“ dran glauben.

Eine akustische Verschnaufpause bieten dann ein paar nette Probenmitschnitte meines in die Hose gegangenen Debüts als Tanzmusiker: „Hello Dolly“, „All Of Me“ und „I’ve Got Rhythm“. Wenn man meint, das Schlimmste überstanden zu haben, kommt noch der Schulchor des Carl-Jakob-Burckhardt-Gymnasiums und versucht sich an dem bereits erwähnten „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ aus Haydns „Schöpfung“. Einen kleinen Ausklang nannte ich auf dem Beipackzettel „Nachtrag“. Das war eine Klavierimprovisation, an deren Ende ich mich fürchterlich verspiele, was leider erst zu spät und zu langsam barmherzig ausgeblendet wird.

Das war sie also, die allererste Tonkonserve, die ich auf die Menschheit losgelassen habe. Ob sich einer der Empfänger die Kassette jemals ganz angehört hat, bezweifle ich. Ich rechne ihnen hoch an, dass alle genug Anstand besaßen, mir kein ehrliches Feedback zu geben.

Obwohl ich in Amerika ein richtiger „Kotzbrocken“ war, bin ich meiner amerikanischen Austauschmutter mehr als geplant ans Herz gewachsen. Sie war die erste Person, die meine Persönlichkeit durchschaut hat. Ich weiß nicht mehr den Anlass, aber einmal sagte sie: „Oh, what a child, never a dull moment!“ („Was für ein Kind, nie ein langweiliger Moment!“) Welch ein Kompliment! Mein Abschied aus Amerika nach einem Jahr war für sie so hart, dass die Familie Miller nach mir nie wieder einen Austauschschüler aufgenommen hat. Eine leichte Flugangst dämpfte meine Wehmut. Über den Wolken hatte ich die ganze Zeit „Don’t Let Me Down“ von den Beatles im Kopf. So schwer wie für meine Gastmutter war es für mich aber nicht, denn ich ging von zu Hause weg und kam in mein anderes Zuhause zurück.


Geburtstag in Amerika. Links: Massayoshi, rechts: Randy.

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