Читать книгу Kunst oder Kekse - Klaus Porath - Страница 31
1984: Astrid und die Apfelsinenkiste. Keine Frauen in der Band!
Оглавление„Wenn es so ist, dass immer zwei aus dieser Band gerade keine Freundin haben, dann trete ich aus dieser Band aus!“ Sebastian Budde
Wer meint, dass eine Frau unter vier Männern in der Lage ist einige Verwirrung zu stiften, liegt damit richtig. Mein Konfirmationsgeschenk, ein Fotoapparat mit Teleobjektiv, nutzte ich dazu, auf einem Schulfest unbemerkt alle Mitschülerinnen abzulichten, die ich attraktiv fand. Astrid Scholl war auch darunter. Andreas wollte sie dagegen aus akustischen Gründen als Sängerin für „Fancy“ gewinnen. Meine Stimme war gerade erst dabei, sich zu entwickeln und Martins Stimme war so individuell, dass ich manchmal den Eindruck hatte, der Einzige zu sein, der so richtig von ihr begeistert war. Ein weiterer Vorteil war, dass Astrid sich um unser
Äußeres kümmerte. Sie schnitt Andreas, Martin und mir die Haare. Martin und sie wurden dann irgendwann ein Paar. Wir wollten Astrid für die Bühne eine Apfelsinenkiste besorgen, damit man sie nicht übersah. Die wäre auch zum Küssen praktisch gewesen. Denn mein hübsches Fotomotiv war nur ca. 1,50 m groß und damit trennte sie ein halber Meter von Martin. Astrid hatte selber auch ein paar Songs geschrieben. In einem thematisierte sie ihre Körpergröße: „Auch kleine Menschen haben Mut, auch kleine Menschen können’s gut.“ Was das genau war, ließ sie offen. Ich machte mir so meine Gedanken dazu.
Das neue „Fancy Life“ Mitglied kam aus der Klassik und hatte einen sehr hohen, klaren Sopran. Den schmetterte es als Solistin in Lübecks Kirchen mühelos über Chor und Orchester hinweg bis in die letzte Reihe. Ich dachte bei mir, wenn ich eines Tages ohne Mikrophon so singen könnte, wäre ich wirklich zum Sänger geworden. Martin und ich wackelten noch sehr stark in der Intonation, wir trafen mehr falsche als richtige Töne. Also fiel Astrid bei „Fancy Life“ schon deshalb aus dem Rahmen, weil sie „sauber“ sang. Sauber, aber für Popmusik zu hoch und grell. Stellen Sie sich Jennifer Rush eine Oktave höher vor. Wer kann das genießen? Zu Astrids Verteidigung muss ich sagen, dass das auch unsere Schuld war. Wir waren musikalisch noch nicht versiert genug, um für sie die passende Tonart zu suchen. Sie musste unsere Songs, so wie wir sie sangen, singen. Nur eine, vermutlich eher zwei Oktaven höher.
Es kam, wie es kommen musste, irgendwann wollte Astrid die Trennung von Martin. Sie saß bei mir auf der Bettkante, während meine Eltern segeln waren und meine Schwester auf einer Party. Wer noch immer einen Beleg dafür sucht, dass ich nicht ganz normal bin, bekommt ihn hier: Ich hatte mit 18 Jahren meine Hormone im Griff. Ich entschied mich gegen die zum Greifen nahe langersehnte zwischenmenschliche Erfahrung. Ein Opfer für das Weiterbestehen meiner Band! Mir war klar, dass Martin mich nicht mehr „mit dem Hintern angeguckt hätte“, wenn Astrid und ich ein Paar geworden wären oder an dem Abend zwischen uns etwas gelaufen wäre.
Von unserer persönlichen Kubakrise, d.h. wie nahe wir an einer Trennung vorbeigeschlittert sind, erfährt er erst jetzt beim Lesen dieser Zeilen. Mein Vater hatte von Astrids Interesse an mir Wind bekommen und geriet in Panik, dass ich neben meinen vielen anderen Fehlern womöglich auch noch schwul sei. Er gab mir unverblümt den zarten Tipp, „man könne mit der Astrid ja nicht nur zusammen singen“. Einige Zeit später schob mir Martin im Unterricht einen Zettel rüber, auf dem stand: „Wollen wir sie aus der Band werfen?“ Ich schrieb ein „ja“ darunter und war erleichtert. Dieser reizvolle Sprengstoff hatte meine Band nicht zerlegt.
V.l.n.r.: Martin, Andreas, Sebastian, ich und Astrid (auf ganz hohen Absätzen).