Читать книгу Kunst oder Kekse - Klaus Porath - Страница 35
1985: „Unser Haus wird kein Tonstudio!“
ОглавлениеIm Musikleistungskurs traf ich 1983 nicht nur auf Martin, sondern auch auf Christoph Tigerluft. Binnen weniger Minuten wusste ich, dass ein gewisser Mathias Höfs als Trompeter in Norddeutschland ganz vorne war und er, in aller Bescheidenheit, direkt dahinter. Sehr zum Leidwesen unserer Musiklehrerin entsprach das wohl der Wahrheit. Ich war Kurssprecher und erinnere mich an Telefonate, in denen sie mich um Rat fragte, wie man Christoph in den Kurs integrieren könne. Dabei gab es nur ein Problem: Sein Selbstbewusstsein war durch sein Können am Instrument so groß, dass er der Einzige im Kurs war, der ihr, wenn er es für nötig hielt, offen widersprach. Wie sollte ich das ändern? Mit dieser für sie anscheinend neuen Erfahrung musste sie alleine klarkommen. Zum Glück wurde Christoph später ausgemustert. Die Unteroffiziere bei der Bundeswehr hätte er noch früher als ich in den Wahnsinn getrieben. Ohne „Jodeldiplom“ (© Loriot) bekam er sofort nach dem Abitur eine Stelle an der Niedersächsischen Staatsoper in Hannover und fuhr einen großen Audi. Das beeindruckte mich schwer.
Als wir uns in der 11. Klasse kennenlernten, kam mir die spontane Idee, ihm den Solopart auf meinem Song „Still Around“ zu geben. Er musste nur nachmachen, was ich sonst auf dem Klavier spielte. Das endete in einem schnellen, chromatischen Stakkato-Lauf, was eigentlich nichts für Trompete ist. Aber er meisterte es natürlich problemlos. Meine Eltern saßen schon im Auto und waren eben im Begriff, zu einem Wochenende auf dem Wasser zu starten, als Christoph, seine Trompete und ich nach der Schule bei uns eintrafen. Mein Vater hat eine prophetische Gabe. Er ahnte sofort, dass auf dieses kleine Instrument bald größere folgen würden und dass die Nutzungsänderung unserer Wohnräume eine gewisse innenarchitektonische Umgestaltung mit sich bringen würde. Nach dem Motto „wehret den Anfängen“ stellte er sich dem verbal entgegen. Er kurbelte die Seitenscheibe des Wagens herunter und konstatierte kurz: „Unser Haus wird kein Tonstudio.“ Dann kurbelte er die Scheibe wieder hoch und fuhr los. Dass es immer mal wieder anders kommen würde, wussten wir in diesem Moment vermutlich beide.
Ostern 1984 sind im Wohnzimmer von Familie Budde die ersten Demoaufnahmen von „Fancy Life“ entstanden. Um bei uns zu Hause mit der ganzen Band aufschlagen zu können, mussten wir aufgrund der herausgegebenen Parole bis zum Skiurlaub meiner Eltern zum Jahreswechsel 1985/86 warten. Wobei sich die befürchtete architektonische Beeinträchtigung in Grenzen hielt. Mein Zimmer diente als Aufnahmeraum und das Esszimmer wurde zum Regieraum. Makoi ahnte, dass er nach dem Einspielen seiner Drums viel Leerlauf haben würde und hatte alles mitgebracht, um mit seiner Freundin Vera Eierlikör zu machen. Hoher Schnee türmte sich romantisch an den Scheiben im Innenhof, und ich hatte gerade meine erste richtige Freundin, die ebenfalls im Urlaub war. Die Stimmung war bestens! Das dokumentiert auch der nach professionellem Studio klingende mitgeschnittene Verlauf der Sessions. Wir verständigten uns über Kopfhörer mit dem Regieraum, in dem Vera mit Sebastians großem Bruder Andi hinterm Mischpult saß. Meinen Kopfhörer hatte ich abgenommen und über das Mikrophon meines Stereokassettenrekorders gehängt. Auf der einen Seite hört man also die Band im Raum reden und spielen, auf der anderen Seite die Regieanweisungen aus der Küche. Also Sätze wie: „Wenn Du auf irgendein Becken haust, zerrt es. Spiel noch mal.“ Die Fotos von der Aufnahmesession habe ich meinen Eltern erst Monate später gezeigt. Natürlich waren sie in keiner Weise überrascht.
Wir hatten jeder einen neuen Song geschrieben, den wir aufnehmen wollten. Martin „What You Mean To Me“, Sebastian „Waiting for You“ und ich „Inside My Head“. Bei „Inside My Head“ offenbarte sich die hohe musikalische Qualität von „Mask 4 Fun“. Ich spielte den Titel den anderen vor der Mittagspause zum allerersten Mal vor. Vor allem der Refrain ist harmonisch ziemlich anspruchsvoll. Direkt nach der Mittagspause nahmen wir das Playback inklusive Gitarrensolo auf! Weniger erfreulich war der Text. Der offenbart nämlich, wie verkorkst ich damals war. Ich ermutige darin meine neugewonnene Freundin, dass es okay wäre, wenn sie mich verließe. Weil sie auch dann „in meinem Kopf“ bleiben würde. Natürlich kam es wenige Monate später dann auch genauso.
Als wir ein Paar wurden, hatte sie mir ein kleines Hufeisen geschenkt, das mittels Sekundenkleber auf meinem Keyboard einen Platz für die Ewigkeit bekommen sollte. Beim Aufkleben meldete Martin zaghafte Bedenken an, ob ich mir Gedanken darüber gemacht hätte, wie ich es jemals wieder abbekommen würde. Mit dieser Fragestellung konnte ich nichts anfangen. Nachdem Jun mit mir Schluss gemacht hatte, nahm ich einen Schraubenzieher und hieb mit roher Gewalt auf mein Instrument ein. Damit verschwand das Plastikhufeisen in lauter kleinen Teilen, die durch den Übungsraum schossen, wieder aus meinem Leben. An seine Existenz erinnerten nur noch die Reste des Klebers, die ich nicht abbekam. Eigentlich war die Trennung ein Glücksfall. Denn zum einen sollte ich bald meine zukünftige Ehefrau kennenlernen und zum anderen schrie ich mir den Kummer in einem Song von der Seele, über den Martin 2008 folgendes schrieb...