Читать книгу Die Rechte des Verletzten im Strafprozess - Klaus Schroth - Страница 87
e) Praktische und aussagepsychologische Aspekte des Einsatzes von Videotechnik
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Die technische Durchführung der Videovernehmung ist im Gesetz nicht geregelt. Zu den einzuhaltenden Mindeststandards sollte aber gehören, dass alles aufgezeichnet wird, was auch aus der Aussage des Zeugen protokolliert wird. Auch Vernehmungsgespräche, die der Vorbereitung einer Frage dienen, müssen aufgezeichnet werden. Darüber hinaus muss die Aufzeichnung im bestmöglichen Maße dem Verdacht von Manipulationen entgegenwirken. Hierzu gehört, dass neben der Einblendung von Datum und Echtzeituhr, um Unterbrechungen zu dokumentieren, auch das Verhalten des Zeugen, der Verhörsperson sowie anderer im Vernehmungszimmer befindlichen Personen festgehalten wird.[46]
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Die exakte Dokumentation einer möglichst tatnahen Aussage per Video stellt für die Beurteilung der Aussage und somit für die Wahrheitsfindung häufig einen zentralen Baustein dar. Dies gilt auch für das subjektive Erleben von Zeugen, die Erinnerungsverlust und damit eine reduzierte Glaubhaftigkeit ihrer Aussage befürchten. Gerade wegen der genauen Dokumentation ist es notwendig, dass die Vernehmungspersonen ausreichend qualifiziert sind, sodass die Beweiskraft einer Aussage nicht schon aufgrund einer schlechten Befragungstechnik geschwächt wird. Zudem kann die Verwertung einer Videoaufzeichnung bestimmten Zeugen im Idealfall das oftmals belastende neuerliche Auftreten in der Hauptverhandlung ersparen. Für den Opferzeugen bedeutet es eine deutliche Entlastung, wenn er mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass die aufgenommene Aussage in der Hauptverhandlung genutzt wird und ihm allenfalls noch eine ergänzende Befragung bevorsteht. Insbesondere bei Kindern können durch authentische Konservierung und Verwertung der Erstaussage können erheblich Belastungen und Stressfaktoren verringert werden.[47] Solche Verfahrensgestaltung können seitens des anwaltlichen Vertreters im Rahmen seiner Beratung allerdings nur als eine Möglichkeit in Aussicht gestellt werden. Der Zeuge muss sich daher innerlich gleichwohl auf eine neuerliche vollständige Aussage vor Gericht einstellen.
Allerdings ist auch zu beachten, dass den Vorzügen der Videovernehmung aus aussagepsychologischer Sicht mitunter auch gewisse Nachteile entgegenstehen können.[48] Nicht unproblematisch ist beispielsweise, ob und wie sich das Wissen um die Aufzeichnung – und die damit verbundene Aussicht auf Betrachtung des Videos durch eine Vielzahl von Verfahrensbeteiligten – auf das Verhalten des Zeugen während der Vernehmung und auf den Inhalt seiner Aussage auswirkt.[49] Mitunter wird auch – aufgrund von Erfahrungen aus Verfahren in den USA und England – darauf hingewiesen, dass der Eindruck, den ein im Gerichtssaal auftretender Zeuge hinterlasse, stärker sei, als bei der Videoaufnahme oder –übertragung.[50]
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In Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern sollte nach Möglichkeit versucht werden, das Strafverfahren mit einer einzigen Vernehmung des Kindes zu einem Abschluss zu bringen. Dies kann dann angezeigt sein, wenn die Straftaten im familiären Umfeld stattgefunden haben, dem kindlichen Opferzeugen deshalb ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht und es aufgrund seiner psychischen Situation durch die anstehenden Befragungen und seine Ängste um den Erhalt der Familie in der späteren Hauptverhandlung verwirrt sein, seelischen Schaden nehmen oder seine Aussage verweigern könnte.[51] Wird diese Strategie verfolgt, kommt der Erstaussage noch größere und besondere Bedeutung zu, als dies aus aussagepsychologischer Sicht ohnehin der Fall ist.[52] Bereits zum Zeitpunkt der ersten ausführlichen polizeilichen Vernehmung können dann die späteren Verfahrensbeteiligten unter der Leitung des Ermittlungsrichters die Vernehmung aus einem separaten Raum mittels „Venezianischer Scheiben“ oder eben Videotechnik verfolgen. Da bei Kindern die Gefahr besonders groß ist, dass sie durch Befragungen ihres Umfeldes beeinflusst werden, ist es auch wichtig, die Entstehungsgeschichte der Aussage zu dokumentieren.[53]
Hinweis
Der Zeugenbeistand hat zu prüfen und mit der Mandantschaft zu besprechen, ob eine Videovernehmung des Zeugen im konkreten Fall erstrebenswert ist. Über die gegebenen Möglichkeiten muss umfassend aufgeklärt werden. Gegebenenfalls sind entsprechende Anträge auf Videovernehmung zu stellen und organisatorische Fragen zu klären. Dies umso mehr, als nach wie vor noch nicht überall die erforderliche technische Ausstattung vorzufinden ist. Deswegen sind solche Anträge möglichst frühzeitig zu stellen.