Читать книгу Eine Partie Monopolygamie - Kolja Menning - Страница 10

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Kapitel 3

Ich kenne die Kramers nicht besonders gut, doch ich mag sie nicht. Bei unseren wenigen Begegnungen haben sie mich immer spüren lassen, dass sie sich für etwas Besseres halten. Leider bin ich auf ihr Geld angewiesen. Dieses Geld deponieren sie immer auf dem Küchentisch. Heute liegen dort genau siebenunddreißig Euro und fünfzig Cent. Wegen des Termins in der Schule habe ich gestern per WhatsApp angefragt, ob ich eine Stunde später anfangen und auch aufhören könnte. Nein, das ginge leider nicht, weil sie um 16.15 Uhr nach Hause kämen und dann in Ruhe ihren Feierabend genießen wollten. Es wäre aber ausnahmsweise in Ordnung, wenn ich nur drei Stunden putzte. Selbstverständlich würden dann auch nur drei Stunden bezahlt.

Sie haben nicht einmal auf vierzig aufgerundet. Neben dem Geld liegt ein Zettel, auf dem steht, was ich machen soll. Putzen wie immer und dann die Wäsche legen.

Um Punkt 16 Uhr schließe ich die Wohnungstür ab, schwinge mich auf mein Fahrrad und fahre zur Kita.

Als ich in der Kita ankomme, spielt Emil noch mit seinem Freund Andy Fußball im Hof. Einen Moment lang schaue ich ihnen zu, ohne dass sie mich bemerken. Dann erspäht mich Andy, zeigt in meine Richtung und sagt etwas zu Emil, der sich zu mir umdreht. Für den Bruchteil einer Sekunde befürchte ich, er könnte sich beschweren, dass ich zu früh da bin. Sogar Andy ist noch nicht abgeholt worden. Doch dann strahlt er, schreit »Abgeholt!« und rennt auf mich zu.

Als wir kurz darauf auf meinem Fahrrad nach Hause fahren, schmiegt er sich von seinem Kindersitz an meinen Rücken; ein Moment, der diesen bis dahin verkorksten Tag für mich zumindest teilweise rettet.

Gwenael hat noch bis 17.30 Uhr Fußballtraining, und da ich Désirée für noch zu jung halte, um alleine zu Hause zu sein, ist sie bei Herrn und Frau Jones, wo sie vermutlich die von mir heute Morgen frisch geputzte Wohnung wieder durcheinanderbringt. Als wir sie abholen, steht sie auf einem Stuhl in der Küche und hält ein Messer und ein Ei in der Hand, während Frau Jones mit einem Mixer hantiert.

»Hallo Mama!«, ruft sie fröhlich, »wir machen Butterkuchen.«

Sie schlägt kräftig mit dem Messer auf das Ei in ihrer Hand, sodass es zerbricht und mindestens die Hälfte der Schale auch in die Rührschüssel fällt.

»Der wird bestimmt lecker«, bemerke ich.

»Elli sagt das auch«, verkündet Désirée.

Elli, das ist Frau Jones. Elizabeth Jones. Elli für Désirée, die Frau Jones besonders ins Herz geschlossen hat.

»Kommst du mit runter? Wir sind jetzt da«, sage ich zu Désirée.

»Aber der Kuchen ist doch noch gar nicht fertig!«

Ich zögere und werfe Frau Jones einen Blick zu.

»Maybe she can stay until we put it in the oven«, sagt Frau Jones zu mir. Sie spricht und versteht Deutsch ausgezeichnet, doch mit mir bevorzugt sie es, Englisch zu sprechen. Außerdem versteht Désirée ihren Vorschlag so nicht. Die gute Frau will vermutlich nicht meine Autorität untergraben.

»If it’s not a problem for you ...«, erwidere ich.

»Pass auf«, wendet Frau Jones sich an Désirée, »wir machen den Teig noch fertig und dann gehst du zu euch, ja? Wenn der Kuchen fertig gebacken ist, bringe ich dir ein Stück.«

»Und mir?«, meldet sich Emil zu Wort.

»Dir auch«, sagt Frau Jones mit einem Lächeln.

»Und Gwen auch?«

»Natürlich!«

Während wir auf Gwenael und Désirée warten, spiele ich mit Emil Karten. Doch ich bin mit meinen Gedanken so sehr bei dem Gespräch mit Frau Wagner heute Mittag und dem Gespräch, das ich unweigerlich heute Abend mit Gwenael führen muss, dass ich nicht bei der Sache bin. Ich vergesse sogar, Emil gewinnen zu lassen.

»Du hast Glück heute«, bemerkt er. »Sonst hab’ ich immer Glück.«

»Zu meinem Geburtstag wünsch’ ich mir ein iPad«, verkündet Désirée, als wir später gemeinsam beim Abendbrot sitzen. »Alle meine Freundinnen haben iPads.«

»Dann will ich auch eins!«, sagt Emil sofort.

Gwenael sagt nichts. Gewiss hätte auch er gern ein iPad, doch er weiß genau, dass ich für so etwas niemals mehrere hundert Euro ausgeben würde. Mir ist wohl bewusst, dass er darunter leidet; auch seine Klassenkameraden haben iPads oder Spielkonsolen und verbringen einen Großteil ihrer Freizeit damit, nicht nur Minecraft oder Fortnite zu spielen, sondern auch darüber zu reden. Ich beobachte Gwenael. Hat er sich wirklich verändert, wie Frau Wagner meint? Er ist tatsächlich schweigsam. Aber vielleicht ist er nur gedanklich bei dem Gespräch, von dem er genau weiß, dass wir es nach dem Abendessen führen werden. Er weiß, was er getan hat und was Frau Wagner mir gesagt hat.

»Hast du deine Hausaufgaben gemacht?«, frage ich Désirée beim Abräumen.

»Hab’ ich doch schon gestern gemacht«, erklärt sie fröhlich.

Nachdem ich dich fünfmal aufgefordert habe, denke ich.

»Aber die waren ja für heute, kleines Fräulein. Hast du heute keine Neuen aufbekommen?«

»Na-hein«, singt sie.

»Bist du sicher?«

»Ja-ha.«

»Na gut«, sage ich. »Dann kannst du mit deinem kleinen Bruder spielen gehen. Gwenael und ich haben noch was zu besprechen.«

»Wegen der Sechs in Mathe?«, erkundigt sich Désirée. »Was hat seine Lehrerin denn gesagt?«

»Geht bitte in euer Zimmer«, sage ich.

Es kommt mir fast wie ein Wunder vor, dass sie widerspruchslos gehorchen. Emil schließt sogar die Tür, und gleich darauf ertönt das Radio.

»Frau Wagner macht sich Sorgen um dich«, beginne ich. Als er nichts sagt, fahre ich fort: »Du weißt, was Frau Wagner mir gesagt hat. Sie hat mir von der Mathearbeit erzählt, auch, dass Herr Stein dich verdächtigt, bei einem Klassenkameraden abgeschrieben zu haben. Außerdem hast du am Freitag den Englischunterricht geschwänzt. Wieso hast du das getan?«

Ich warte eine ganze Weile. Schließlich spricht er:

»Englisch war nach Mathe. Am Ende der Mathestunde haben wir die Arbeit wiedergekriegt. Ich wollte nicht, dass die anderen sich über mich lustig machen, weil ich eine Sechs habe.«

Ich überlege. Das klingt irgendwie plausibel. Oder vielleicht will ich, dass es so klingt?

»Und hast du wirklich abgeschrieben?«, frage ich ihn, bemüht, nicht vorwurfsvoll zu klingen?

Er starrt mich an. Dann nickt er.

Scheiße!, denke ich.

»Aber wieso? Du kannst Mathe doch!«

Er zuckt mit den Schultern. »Irgendwie konnte ich mich an nichts mehr erinnern«, sagt er dann. »Mir war bisschen schwindelig und ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren. Es war wie ein Blankout.«

»Blackout«, korrigiere ich ihn, bin aber in Gedanken anderswo. War er einfach so nervös geworden, dass er kurzzeitig alles vergessen hatte und sich nicht anders zu behelfen wusste, als bei seinem Sitznachbarn abzuschreiben?

Ich frage nicht nach der Schach-AG, weil mir das im Moment nicht so wichtig erscheint. Zu Hause spielt er täglich mit Emil.

»Und diese zwei Jungs?«, frage ich stattdessen. »Sind das neue Freunde von dir?«

»Freunde würde ich nicht grad’ sagen«, antwortet Gwenael zögernd. »Sie sind ... ganz nett.«

Frau Wagner hatte die Jungs als keine gute Gesellschaft für Gwenael und als Störenfriede bezeichnet. Ich atme tief durch und springe über meinen eigenen Schatten.

»Willst du sie mal einladen?«, frage ich Gwenael.

Seine Überraschung ist ihm deutlich anzusehen.

»Nein, nein«, sagt er, und ich bin fast beruhigt, dass diese neuen Freundschaften doch nicht allzu wichtig für ihn zu sein scheinen.

»Hör zu, Gwenael«, sage ich, um dieses unangenehme Gespräch zu einem Abschluss zu bringen. »Ich werde Frau Wagner eine E-Mail schreiben. Ich werde ihr sagen, dass wir uns unterhalten haben und wie es sich zugetragen hat. Da du ja sonst keine Probleme in der Schule hast, ist die Sache damit hoffentlich abgehakt. Aber du musst mir versprechen, dass so was nicht wieder vorkommt! Hast du mich verstanden?«

»Ja, Mama«, sagt er und senkt den Blick.

»Gut. Dann komm her.«

Er steht auf und trottet um den Tisch herum zu mir. Ich schließe ihn in die Arme. Und nach ein paar Sekunden legt auch er seine Arme um mich und drückt mich an sich.

Eine Partie Monopolygamie

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