Читать книгу Eine Partie Monopolygamie - Kolja Menning - Страница 13
ОглавлениеKapitel 6
Als ich gerade seit zwei Stunden bei den Kramers putze, werde ich durch das Klingeln meines Smartphones unterbrochen.
Unbekannter Teilnehmer, kündigt das Display an.
»Clara Nussbaum«, melde ich mich.
»Guten Morgen Clara, hier spricht Viktoria König.«
Mein Herz setzt einen Schlag aus.
»Guten Morgen Frau ... ähm ... Viktoria«, entgegne ich und spüre, wie nach dem ausgesetzten Schlag mein Herz nun wie verrückt rast.
»Clara, es tut mir sehr leid, dass wir Sie am Freitag nicht angerufen haben; ich habe am Donnerstagabend etwas gegessen, das mir nicht bekommen ist ... Ich sollte Ihnen die Details ersparen.«
»Geht es Ihnen besser?«, frage ich.
»Ja, danke. Clara, weswegen ich anrufe ...«
»Ja?«
»Wir würden Ihnen gern ein Angebot machen.«
Waaaas???, schreie ich innerlich.
»Ich hoffe, Sie haben sich noch nicht für eine andere Stelle entschieden?«, fährt Viktoria fort. Und als ich weiterhin nichts sage, fügt sie hinzu: »Clara, sind Sie noch da?«
»Nein, nein! Ich meine, ja!«, sprudelt es aus mir heraus, und mir ist klar, dass ihr das ganz und gar unprofessionell vorkommen muss. »Verzeihen Sie, Viktoria. Ja, ich bin noch da. Das haben Sie wohl schon gemerkt. Nein, ich habe noch keine andere Stelle angenommen.«
Welche auch?
»Gut«, sagt sie. Ich glaube fast, sie ist erleichtert. »Und Sie wollen weiterhin bei Fair^Made arbeiten?«
»Selbstverständlich!«
»Dann bleiben nur noch ein paar Formalitäten. Wann könnten Sie anfangen? Ich will keinen Druck auf Sie ausüben, wir brauchen nur ein Datum, das wir in den Vertrag schreiben können, den wir Ihnen dann umgehend zuschicken würden.«
»Nächste Woche?«, schlage ich vor, ohne mir wirklich Gedanken zu machen, wie ich das einrichten soll.
»Großartig!«, freut sich Viktoria. »Ich sage meinen Kollegen in der Personalabteilung Bescheid, dass sie Ihnen sofort den Vertragsentwurf per E-Mail zuschicken sollen. Melden Sie sich, falls irgendetwas nicht in Ordnung ist. Das Original bekommen Sie in ein paar Tagen mit der Post.«
»Danke.«
»Wir freuen uns auf Sie«, sagt Viktoria. »Und falls Sie in der Zwischenzeit noch irgendwelche Fragen haben, haben Sie meine Nummer.«
Kaum haben wir das Gespräch beendet, erhalte ich tatsächlich eine E-Mail von einer gewissen Valentina Alonso, die schon den Bewerbungsprozess betreut hatte.
Von: valentina.alonso@fair-s-made.com
An: clara.magdalena.nussbaum@gmail.com
CC: viktoria.koenig@fair-s-made.com
Betreff: Your preliminary employment contract
Dear Clara,
We are excited to welcome you to the Fair^Made team!
Attached you’ll find the draft of your employment contract. Please go through it and let me know if anything is unclear or if you have any questions.
As soon as I have your reply, I’ll put the original in the mail which you need to sign and return to me.
Kind regards
Valentina
Valentina Alonso
Human Resources & Talent Management
Fair^Made GmbH
Disclaimer: The content of this email is confidential and intended for the addressee only. In the case of abuse or inappropriate distribution, Fair^Made may take legal actions against the abusing party.
If possible, don’t print this email and save trees.
Mit zitternden Fingern öffne ich die angehängte PDF-Datei. Der Vertragsentwurf ist in Deutsch und Englisch verfasst. Ich muss zoomen, um den Text entziffern zu können. Nervös lese ich, und die Kernpunkte brennen sich in mein Gehirn. Positionstitel: Executive Assistant. Team: Marketing. Arbeitszeit: vierzig Stunden pro Woche. Dreißig Tage bezahlter Urlaub. Probezeit von sechs Monaten, während der das Arbeitsverhältnis beidseitig mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden kann. Anschließend ist der Vertrag unbefristet, die Kündigungsfrist beträgt dann drei Monate zum Monatsende. Festgehalt: 50.000 Euro brutto pro Jahr, zahlbar in zwölf gleichen monatlichen Raten zu 4.166,67 Euro je am 25. eines Monats. Sollte der 25. ein Feiertag sein, erfolgt die Zahlung am Werktag davor. Performance-abhängiger Bonus: mindestens 5.000 Euro, maximal 10.000 Euro pro Jahr. Gezahlt wird der Bonus halbjährlich, je zum 30.06. und 31.12. eines jeden Jahres.
Nachdem ich dies alles aufgenommen habe, ist mir schwindelig. Einen Moment lang muss ich mich auf ein Sofa der Kramers setzen. Immer wieder starre ich auf mein Handydisplay. Fünfzigtausend Euro! Und ein Bonus, von dem Viktoria gar nichts gesagt hatte! Und dreißig Tage bezahlter Urlaub!
Schließlich rappele ich mich auf. Ich tippe hastig eine schnelle Antwort an Valentina und Viktoria und versichere, dass alles in Ordnung ist.
In Ordnung! Was für eine Untertreibung!
Dann rufe ich Melanie an.
»Clara, kann ich dich später zurückrufen?«, meldet sie sich. »Ich habe gerade ein paar Kunden.«
Ich höre gar nicht zu.
»Mel!«, schreie ich geradezu, und es mag für Melanie hysterisch klingen. »Sie wollen mich!«
»Was? Clara, wovon redest du?« Sie hört sich beunruhigt an. Vielleicht denkt sie, ich bin verrückt geworden.
»Fair^Made!«, erkläre ich. »Sie haben mich angerufen! Ich kann da anfangen!«
Kurz herrscht Schweigen am anderen Ende.
»Juhuu!«, höre ich Melanie dann ebenfalls schreien. »Siehst du? Siehst du, Clara? Ich wusst’ es doch! Ich wusste, dass die dich nehmen!«
»Ich bin so glücklich!«, sage ich.
»Ich freu’ mich unendlich für dich«, entgegnet Melanie jetzt wieder in normalem Tonfall. »Clara, kann ich heute Abend zu euch kommen? Dann kannst du mir alles ganz genau erzählen. Ich muss mich jetzt um ein paar Kunden kümmern, OK?«
»Klar. Danke Mel! Danke, danke, danke! Ohne deine Hilfe hätt’ ich das nie geschafft.«
In den folgenden zwei Stunden tanze ich durch die Wohnung der Kramers. Mit dem Staubsauger, dem Wischmopp, dem Staubwedel. Mir wird klar, dass ich hier zum letzten Mal saubermache. Nie wieder muss ich das Geld dieser hochnäsigen Schnösel nehmen. Um 15.45 Uhr bin ich fertig. Blitzblank ist die Bude, und ich stecke die bereitliegenden fünfzig Euro ein. Dann halte ich inne. Ich sollte den Kramers mitteilen, dass sie in Zukunft nicht mehr auf mich zählen können. Nicht dass wir einen Vertrag hätten. Ich könnte einfach nicht mehr kommen. Sie werden es schon merken. Wie Viktoria König wohl handeln würde? Höchst professionell, da bin ich sicher. Also finde ich Papier und Stift und schreibe:
Sehr geehrte Frau Kramer, sehr geehrter Herr Kramer,
ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ich in Zukunft leider nicht mehr für Sie arbeiten kann. Ich danke Ihnen herzlich für das in der Vergangenheit entgegengebrachte Vertrauen und hoffe, dass Sie schnell einen Ersatz für mich finden!
Mit freundlichen Grüßen
Clara Nussbaum
Zufrieden mit mir selbst lege ich den Zettel auf den Küchentisch, wo meine fünfzig Euro gelegen haben. Den Wohnungsschlüssel lege ich dazu. Dann geht doch meine Natur mit mir durch. Ich nehme den Salzstreuer aus einem Küchenschrank und begebe mich ins Schlafzimmer der Kramers. In den zwei großen Kleiderschränken suche ich nach ihrer Unterwäsche. Ich entfalte die obersten fünf Unterhosen Herrn Kramers und streue Salz in den Schritt. Anschließend wiederhole ich den Vorgang bei Frau Kramers Slips. Mit etwas Glück laufen sie sich in den nächsten Tagen irgendwann einen wunden Hintern.
Ich bin rechtzeitig bei Emils Kita, und während wir auf meinem Fahrrad nach Hause fahren, erzählt er mir glücklich, dass er heute mit Andy ein Puzzle mit hundert Teilen gemacht hat.
Gemeinsam holen wir Désirée von Frau Jones ab. Heute gießt sie gerade die Blumen.
»Frau Jones«, sage ich, als die Kinder auf dem Balkon mit der Gießkanne beschäftigt sind, »kann ich Sie kurz sprechen?«
»But of course!«, antwortet sie mit einem Lächeln. »What can I do for you?«
»I ... I am really sorry, but from next week on I won’t be able to clean your apartment anymore«, sage ich und fühle mich sehr unwohl. Nicht nur, weil ich Frau Jones viel zu verdanken habe, sondern auch, weil ich die beiden Jones wirklich mag. »I found a job. A real job, I mean, a full-time position.«
Frau Jones strahlt mich an. »That’s wonderful! You must be very happy.«
Ich nicke.
»I’m so glad«, fährt sie fort. »I was hoping that this would happen one day. Did you say you are starting next week already?«
»Yes.«
»What’s the job?«, erkundigt sie sich.
»It’s a small position at Fair^Made«, sage ich.
»Oh, that’s excellent!«, meint Frau Jones. »Will you need any help with the kids? You might not be home by the time they finish school or kindergarten.«
Mist! Bis vor zwei Stunden schien mir die Möglichkeit, dass Fair^Made mir einen Job anbieten würde, derart unwahrscheinlich, dass ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, welche Auswirkungen es auf unseren Familienalltag haben würde.
»If you want, they can come here while you are still at work«, schlägt Frau Jones vor. »They are such lovely kids. I can help them with their homework. Well, not German grammar maybe.«
Sie lächelt.
»That’s very kind of you«, erwidere ich. »Let me talk this through with them. I only just got the job offer.«
»Well, congratulations!«, sagt Frau Jones.
»Wollen wir ein Eis essen gehen?«, frage ich die Kinder, als Gwenael vom Fußballtraining zurück ist, und ernte dafür skeptische Blicke.
»Bist du sicher, dass das nicht zu teuer ist?«, fragt Gwenael vorsichtig.
Wann immer die Kinder mir in den letzten Wochen geklagt haben, wie »unfair« es ist, dass ihre Freunde jetzt, da es Sommer ist, ständig mit ihren Eltern und Babysittern Eis essen gehen, war das meine Antwort. »Jeder eine Kugel, ein Euro fünfzig pro Kugel, also insgesamt sechs Euro – das ist mir zu teuer.«
»Ich finde, heute können wir uns das mal gönnen«, erwidere ich.
»Wollen wir mit der jungen Dame anfangen?«, richtet sich die Eisverkäuferin zwanzig Minuten später an Désirée. »Was darf’s denn sein? Wie viele Kugeln?«
Reflexartig wirft mir Désirée einen schnellen Blick zu.
»Eine«, antwortet sie dann.
»Du kannst auch zwei nehmen, wenn du willst«, beeile ich mich zu sagen, und sie strahlt.
»Dann zwei!«, sagt sie zu der Frau. »Vanille und das Rote da.«
»Das ist Waldbeere«, klärt die Eisverkäuferin sie auf. »Im Becher oder im Hörnchen?«
»Im Hörnchen.«
Gespannt beobachten die Kinder, wie Désirées Eis bereitet wird.
»Und du, junger Mann?«, wendet die Frau sich anschließend an Emil.
»Ich auch zwei Kugeln. Mango und auch das Rote da«, antwortet er und zeigt auf Désirées Eis.
»Auch im Hörnchen oder lieber im Becher?«
»Auch im Hörnchen.«
»So«, sagt die Eisverkäuferin schließlich an Gwenael gewandt. »Und für dich?«
»Ist es teurer im Becher oder im Hörnchen?«, fragt Gwenael.
»Das ist gleich.«
»Dann hätte ich gern eine Kugel Zitrone im Hörnchen, bitte«, sagt er, und es bricht mir das Herz, weil ich weiß, was in seinem Kopf vorgeht. Ich weiß, dass er sich einschränkt, weil er Angst hat, dass ich mehr Geld ausgebe, als vernünftig ist.
Ehe ich intervenieren kann, hat die Eisverkäuferin ihm sein Eis bereits gereicht.
»Und für Sie?«
Ich überlege, was Gwenael wohl gern als zweite Sorte genommen hätte. Ich vermute Mango. Also wähle ich Mango. Eine Kugel im Hörnchen.
Kurz darauf sitzen wir gemeinsam auf einer Bank in einem Park und lecken unser Eis. Wir lassen einander probieren, und ich achte darauf, dass Gwenael mehr von uns bekommt als wir von ihm.
»Bist du sicher, dass wir nicht zu viel Geld ausgegeben haben?«, fragt er mich irgendwann.
Ich muss lächeln.
»Ich fange nächste Woche eine neue Arbeit an. Dann werden wir auch mehr Geld haben«, überbringe ich ihnen endlich die große Nachricht.
»Putzt du noch eine andere Wohnung?«, will Désirée wissen.
Ich schüttele den Kopf. »Ab nächsten Montag höre ich auf, die Wohnungen anderer Leute zu putzen. Ich habe einen Job bei Fair^Made gefunden.«
»Einen was?«, fragt Emil.
»Wo?«, will Désirée wissen.
»Ein Job, das heißt eine Arbeit«, erklärt Gwenael.
»Und was ist Fair^Made?«, hakt Désirée nach.
»Ist das ein Unternehmen?«, fragt Gwenael.
Ich nicke. »Fair^Made macht und verkauft Kleidung.«
»So wie H&M oder Unkilo?«
»Uniqlo«, korrigiert sie Gwenael. »›Un kilo‹ heißt › Kilo‹ auf Spanisch.«
»So ähnlich«, sage ich. »Aber Fair^Made achtet besonders auf die Umwelt und ist viel kleiner als H&M oder Uniqlo.«
»Das ist nicht schlimm«, findet Emil. »Ich bin auch noch klein.«
»Arbeitest du dann in einem Büro?«, fragt Gwenael.
Ich nicke.
»Putzt du dann das ganze Büro?«, will Emil wissen.
»Nein, nein«, beruhige ich ihn. »Ich werde an einem Schreibtisch sitzen und hauptsächlich an einem Computer arbeiten.« Denke ich.
»Oh, voll cool!«, ruft Désirée aus. »Kann ich da mal mitkommen? Meine Freundin Janine geht manchmal in das Büro von seinem Papa, und da gibt’s Coca Cola umsonst!«
»Ihrem Papa«, korrigiert Gwenael, doch Désirée achtet nicht auf ihn.
»Ich weiß noch nicht, ob das geht«, antworte ich ausweichend. Zumindest während der Probezeit will ich meinen neuen Kollegen nicht unbedingt auf die Nase binden, dass ich eine alleinerziehende Mutter von drei kleinen Kinder bin.
»Wenn ich Geburtstag habe, im Frühling, wünsch’ ich mir auch einen Computer«, meint Emil nachdenklich.
Zum Glück ist bis dahin noch etwas Zeit, denke ich.
»Mama?«, beginnt Gwenael vorsichtig.
»Ja?«
»Wenn du dann mehr verdienst ... Können wir dann irgendwann mal nach Griechenland fahren?«
»Au ja! Zu Zeus und Hera auf den Olymp!«, ruft Désirée begeistert.
»Und zu den Olympischen Spielen«, fügt Emil hinzu.
Sie sehen mich erwartungsvoll an.
»Nicht sofort«, beeilt Gwenael sich hinzuzufügen. »Vielleicht in ein paar Jahren, wenn wir genug gespart haben.«
Ich lächele. Griechenland. Seit ich die verrückte Idee hatte, den Kindern hin und wieder aus den griechischen Sagen vorzulesen, ist das Gwenaels Traum. Und damit der seiner Geschwister. Ich träume übrigens schon sehr lange davon.
»Ich hoffe es«, antworte ich.
Melanie kommt nach dem Abendessen. Ich bitte die Kinder, allein ins Bett zu gehen, und setze mich mit Melanie in die Wohnküche. Sie ist mindestens so aufgeregt wie ich, stellt mir tausend Fragen, die ich nicht beantworten kann.
»Bis wie viel Uhr wirst du denn dann arbeiten?«, fragt Melanie irgendwann.
»Ich denke, bis sechs«, erwidere ich.
»Und die Kinder?«
»Eine Nachbarin hat angeboten, mir zu helfen.«
»Oh, gut«, findet Melanie. »Wenn du willst, kann ich nach der Arbeit auch mal kommen und auf sie aufpassen.«
Dieses Angebot überrascht und rührt mich zugleich. Melanie macht normalerweise keinen Hehl daraus, dass sie mit Kinder nicht so gut umgehen kann. Ich überlege kurz.
»Wenn du das in der ersten Woche hin und wieder machen könntest, wäre ich dir unendlich dankbar«, sage ich schließlich.
Bei Frau Jones hätte ich ein schlechteres Gewissen, wenn ich die alte Dame zwei, drei Stunden mit drei Kindern alleinlassen würde. Wenn sie Emil von der Kita abholt und eine halbe Stunde auf die Kinder achtet, bis Melanie von der Arbeit kommt, wird das nicht zu anstrengend.
»Ich kann das auch häufiger machen«, meint Melanie.
»Es ist nur noch eine Woche Schule«, erkläre ich. »Dann sind erst mal Sommerferien, und die Kinder werden drei Wochen lang bei meiner Mutter sein.«
»Praktisch«, findet Melanie. »Dann kannst du dich voll und ganz auf den neuen Job konzentrieren.«
So sehe ich das auch.