Читать книгу Eine Partie Monopolygamie - Kolja Menning - Страница 16

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Kapitel 8

Als ich nach Hause komme, spielen Gwenael und Désirée auf dem Fußboden Schach. Melanie steht in der Küche und schneidet Brot.

»Hallo Mama!«, ruft Désirée, steht auf und läuft auf mich zu.

Gwenael folgt ihrem Beispiel. Ich schließe sie in die Arme.

»Wo ist denn Emil?«, frage ich.

»Eingeschlafen«, erklärt Gwenael. »Schon bevor ich vom Fußball gekommen bin.«

»War er so müde?«, frage ich Melanie, nachdem ich sie begrüßt habe.

»Wir haben Schach gespielt, und dann ist er ins Zimmer gegangen«, erzählt sie. »Und als ich irgendwann nachgesehen habe, hat er geschlafen.«

»Wer hat denn gewonnen?«, will Désirée wissen. »Manchmal wenn er verliert, schmollt er, und dann kann es schon mal passieren, dass er einschläft.«

»Ich wette, er hat gewonnen«, meint Gwenael.

Ich werfe einen schnellen Blick auf Melanie.

»Wir haben nicht zu Ende gespielt«, sagt Melanie spitz. Ich vermute, sie ist beleidigt, dass Gwenael ihr offenbar nicht zutraut, einen Fünfjährigen im Schach zu schlagen.

»War sonst alles OK?«, wechsle ich das Thema.

»Alles bestens«, sagt Melanie etwas zu schnell. »Ich war gerade dabei, Abendbrot zu machen. Gwenael meinte, ihr würdet abends oft Brot essen, aber es ist nicht viel da, was man drauf tun könnte. Nur Butter und Frischkäse.«

»Wir essen dazu oft Gurke und Maggi, das haben wir doch schon erklärt«, mischt sich Désirée ein.

»Willst du zum Essen bleiben?«, frage ich Melanie.

Sie schüttelt den Kopf. »Wir gehen heute Abend in ›das Lokal‹«, klärt sie mich auf. »Ein Freund von Anton hat einen Tisch für acht reserviert.«

Das Lokal, denke ich. Nett.

»Aber ich will unbedingt hören, wie dein erster Tag bei Fair^Made war«, fährt sie fort. »Jetzt sag schon! Wie ist sie, diese Viktoria König?«

Ich übernehme das Brotmesser, während Melanie sich an unseren alten Esstisch setzt. Gwenael und Désirée kehren zu ihrem Schachspiel zurück.

»Sie ist ... wirklich nett«, beantworte ich Melanies Frage.

»Du sagst das, als würde es dich überraschen«, stellt sie fest. »Oder als würde es dir nicht passen.«

Wenn ich ehrlich bin, trifft wohl beides zu. Ich hatte Angst vor der Begegnung mit Viktoria. Trotz des zur Schau gestellten Idealismus während des Interviews hatte ich eine knallharte Karrierefrau erwartet. Diese Erwartung hat Viktoria zumindest am ersten Tag enttäuscht. Sie scheint erfolgreich und nett zu sein. Und von einer fast schon lästigen Perfektion.

»Und der Job?«, fragt Melanie weiter.

»Kann ich noch nicht sagen«, erwidere ich vorsichtig. »Es ist sehr viel auf einmal. Aber es ist auch aufregend. Ich hoffe, ich schaffe das.«

»Morgen zur gleichen Zeit?«, fragt mich Melanie später zum Abschied.

»Wenn’s dir nichts ausmacht – das wäre wirklich super nett von dir«, antworte ich. »Aber morgen werden Désirée und Gwenael schon zu Hause sein. Gwenael hat kein Fußball, deshalb braucht Désirée auch nicht zu den Jones zu gehen. Sag bitte, falls dir das zu viel wird. Dann frage ich Frau Jones.«

»Das krieg ich schon hin«, sagt Melanie.

»Danke, Mel. Was täte ich nur ohne dich.«

Wir umarmen uns, und dann ist sie weg.

Nachdem wir abgeräumt haben, zeige ich Gwenael und Désirée mein neues berufliches Handy und das MacBook Pro. Gwenael fallen fast die Augen aus dem Kopf. Ehrfürchtig streichelt er über das Aluminiumgehäuse des Computers.

»Wenn ich groß bin, will ich auch bei Fair^Made arbeiten«, sagt Désirée.

»Mama?«, fragt Gwenael. »Kann ich dann dein altes Handy haben?«

Ich überlege. Gwenael ist der Einzige in seiner Klasse, der kein Handy hat.

»Warum eigentlich nicht?«, antworte ich. Wir können das während der Sommerferien testen. So kann ich mit den Kindern in Kontakt bleiben, wenn sie bei meiner Mutter sind.

Wir richten das WLAN auf dem MacBook ein und sehen uns ein paar kurze Videos auf YouTube an. Anschließend schicke ich die Kinder ihre Zähne putzen und checke meine Fair^Made-E-Mails. Viktoria hat erst vor ein paar Minuten eine Nachricht geschickt, in der sie um die Organisation eines dreißigminütigen Termins mit Lena Persson bittet. Der Betreff soll sein: »Summer brand campaign – last touches«.

Schnell tippe ich eine Antwort:

Von: clara.nussbaum@fair-s-made.com

An: viktoria.koenig@fair-s-made.com

Betreff: RE: Meeting with Lena

Hi Viktoria,

I’ll do that first thing in the morning. Do you need a room with a projector?

Best,

Clara

Ich starre einen Moment lang auf den Bildschirm. Die Mail ist sicher raus.

Als ich den Computer gerade zuklappen will, fällt mir noch etwas ein. Ich öffne den Browser und google »David König + Fair^Made«. Willkürlich wähle ich einen der vielen News-Beiträge, die Google mir anbietet.

Berliner Unternehmer David König unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen

Berlin, 21. Juni 2016. Der Gründer und Geschäftsführer von Fair^Made, einem jungen Berliner Unternehmen, das seit einigen Jahren im wachsenden Markt für nachhaltige Mode agiert, ist offenbar am Morgen zu Tode gekommen. Die genauen Umstände sind bisher nicht geklärt. Eine detaillierte Stellungnahme der Polizei steht aus, offenbar kann ein Mord jedoch nicht ausgeschlossen werden. »König David«, wie der Unternehmer auch liebevoll genannt wurde, gründete Fair^Made gemeinsam mit Lena Persson im Jahr 2012. Auch eine Stellungnahme der Unternehmensführung steht bisher aus.

Nachdem ich die Kinder ins Bett gebracht und ihnen eine kurze Geschichte aus den griechischen Sagen vorgelesen habe, lese ich ein paar weitere Artikel über den Tod des Fair^Made-Gründers. Offenbar bestätigte sich schnell, dass es sich um einen Mord gehandelt hatte. Allerdings scheint der auch nach drei Jahren noch unaufgeklärt zu sein. Ein halbes Jahr nach Königs Tod wurde von S.I. Investments, dem Hauptanteilseigner der Fair^Made GmbH, Peter Sauer als Ersatz für David König eingesetzt. Viel mehr finde ich nicht.

Was ist da bloß passiert?, frage ich mich. Ein Mord?

Emil wacht an diesem Abend nicht mehr auf. Entsprechend früh ist er am nächsten Morgen wach und kommt um halb sechs bester Laune in mein Schlafzimmer.

»Bin schon angezogen«, verkündet er.

»Weil du dich gestern Abend nicht ausgezogen hast, du Schlingel«, sage ich schlaftrunken. Doch ich freue mich über den gemeinsamen Moment, zumal ich mich gar nicht mehr müde fühle.

Er klettert auf mein Bett und kuschelt sich an mich.

»War’s gut gestern mit Melanie?«, frage ich ihn.

»Geht so«, antwortet er.

»Was war denn nicht gut?«

»Sie wollte nicht zu Ende spielen«, erklärt er.

»Ich dachte, du warst so müde, dass du nicht weiterspielen konntest«, entgegne ich. »Warst du etwa dabei zu verlieren?«

»Ich war dabei zu gewinnen«, widerspricht er mir. »Aber dann wollte sie nicht mehr.«

»Hast du geschummelt?«

»Hab’ ich nicht. Sie wollte den Läufer ziehen. Aber das war eine dumme Idee. Also hab’ ich gesagt, ›Wenn ich du wäre, würd’ ich das nicht machen.‹ Da hat sie die Dame gezogen, aber das war noch dümmer. Ich konnte mit meinem Pferdchen Schach sagen und gleichzeitig ihre Dame bedrohen. Sie musste den König bewegen, also hab’ ich ihre Dame gefressen, und dann hatte sie keine Lust mehr. Sie hat gesagt: ›Du hast mir einen schlechten Rat gegeben!‹ Da bin ich in mein Zimmer gegangen, und sie ist in der Küche geblieben.«

»Und dann bist du eingeschlafen?«

Er nickt. Ich hinterfrage den Verlauf der Schachpartie nicht weiter.

»Wollen wir zusammen Frühstück machen?«, frage ich ihn stattdessen, denn das tut er gern.

Eine Partie Monopolygamie

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