Читать книгу Eine Partie Monopolygamie - Kolja Menning - Страница 9

Оглавление

Kapitel 2

Gwenael und Désirée gehen üblicherweise gemeinsam zur Schule, während ich Emil in die Kita bringe. Montags muss ich mich sputen, weil ich um 9 Uhr bei den Jones putze, einem älteren Paar aus Nordengland. Sie wohnen im selben Gebäude wie wir – nur drei Etagen höher. Ich habe ihnen viel zu verdanken. Als ich nach der Elternzeit keine Arbeit gefunden habe, haben sie mir angeboten, für großzügige fünfzehn Euro pro Stunde bei ihnen zu putzen und nach dem Rechten zu sehen. Sie kommen zwar gut allein zurecht, fühlen sich aber sicherer, wenn sie jemanden im Haus wissen, an den sie sich im Bedarfsfall wenden können. Also bin ich montags und donnerstags je von neun bis elf bei ihnen. Dank der Jones habe ich auch meine anderen Putzjobs bekommen. Mittwochs putze ich drei Stunden bei ihrer Tochter, die nach ihrer Hochzeit mit einem Deutschen nun Petrowski heißt. Frau Petrowski wiederum hat mich an die Familien Bauer und Eichner empfohlen, bei denen ich je vier Stunden putze: bei den Bauers am Dienstag, bei den Eichners am Donnerstag.

Bei den Jones bleibe ich etwas länger. Sie sind als Einzige fast immer zu Hause, wenn ich da bin. Als ich fertig bin, mache ich den beiden einen Tee und leiste ihnen eine halbe Stunde Gesellschaft, worüber sie sich sichtlich freuen. Normalerweise habe ich dafür keine Zeit, da ich zu den Kramers muss, doch heute habe ich den Termin um 12.30 Uhr mit Gwenaels Klassenlehrerin.

»Vielen Dank, dass Sie kommen konnten«, beginnt Frau Wagner, nachdem sie mich in einen Raum, wo wir ungestört sind, geführt hat, und schenkt mir ein etwas künstliches Lächeln.

»Selbstverständlich«, sage ich.

»Ich wollte Sie sprechen, weil ich mir Sorgen um Ihren Sohn Gwenael mache«, wiederholt sie das, was sie mir schon geschrieben hat.

»Es geht vermutlich um die Mathearbeit?«, frage ich und hoffe, dass es nur das ist.

»Nicht nur«, enttäuscht Frau Wagner meine Hoffnung. »Gwenael ist schon immer ein zurückhaltender Junge gewesen, doch normalerweise arbeitet er gut. Ich habe am Freitag mit Herrn Stein gesprochen. Er hat mir erklärt, die Arbeit sei zwar nicht leicht gewesen, doch Gwenael hatte in den anderen Klassenarbeiten eine Zwei plus und eine Eins. Die Sechs kommt da völlig unerwartet.«

Ich nicke. So sehe ich das auch.

»Herr Stein meint auch«, fährt sie fort, »dass Gwenael den Stoff beherrschte. Er hatte vor der Klassenarbeit immer die Hausaufgaben gemacht und dabei nie Fehler. Herr Stein, der Ihren Sohn mag, hatte wohl im Stillen gehofft, dass Gwenael wieder eine Eins schreiben würde, damit er ihm auf dem Zeugnis eine Eins geben könnte, obwohl er im Unterricht wenig sagt. Haben Sie eine Erklärung für die Note?«

»Natürlich habe ich mit Gwenael darüber gesprochen«, antworte ich. »Er meint, er sei nicht so gut drauf gewesen.«

»Nicht so gut drauf gewesen?«

»Das waren seine Worte«, bestätige ich.

Frau Wagner blickt mich an. Ihr Blick sagt mir, dass Gwenael das zwar gesagt haben mochte, das aber in ihren Augen auf keinen Fall der Grund für die schlechte Leistung sein konnte.

»Frau Nussbaum«, beginnt sie, »ich befürchte, die Sache ist etwas ernster.«

Ich schlucke.

»Herr Stein meint, Gwenael könnte von einem anderen Schüler abgeschrieben haben.«

»Um dann zwei von zweiundfünfzig Punkten zu erreichen?«, rufe ich aus. »Herr Stein muss sich irren!«

»Frau Nussbaum«, sagt Frau Wagner ruhig, »Herr Stein ist sich sehr sicher, dass einer der beiden Schüler bei dem anderen abgeschrieben hat. Alle Ergebnisse sind absolut identisch. Da bis auf die ersten zwei Aufgaben alle Ergebnisse falsch sind, ist das äußerst auffällig.«

Mein Herz hat begonnen, schneller zu schlagen. Frau Wagner hat recht. Wenn zwei nebeneinandersitzende Schüler die gleichen Fehler machen, ist das sehr auffällig.

»Vielleicht hat der andere Schüler bei Gwenael abgeschrieben«, schlage ich vor und weiß im selben Moment, dass ich mich anhöre wie die typische Mutter. Mein Sohn, nein, der tut so was nicht! Es muss der andere gewesen sein.

»Die Möglichkeit besteht«, gibt Frau Wagner zu. »Ich habe das mit Herrn Stein auch diskutiert. Doch er hält das für unwahrscheinlich.«

»Wieso?«

»Weil es noch einen dritten Schüler gibt, der genau die gleichen Fehler gemacht hat. Die drei Jungs saßen auch nebeneinander – aber Gwenael saß nicht in der Mitte. Herr Stein geht also davon aus, dass die beiden Äußeren von dem, der in der Mitte gesessen hat, abgeschrieben haben.«

Ich sehe ein, dass das plausibel klingt. Aber wieso sollte Gwenael so etwas tun? Selbst wenn er sich auf die Klassenarbeit nicht vorbereitet hätte, hätte er nie im Leben eine Sechs geschrieben.

»Leider ist das nicht alles«, unterbricht Frau Wagner meine Gedanken.

»Was?«

»Gwenaels Verhalten hat sich in den letzten Wochen geändert. Hat es irgendeine Veränderung in seinem Leben gegeben?«

Sie blickt mich erwartungsvoll an. Ein bisschen wie Viktoria König am Freitag, wenn sie mir Fragen stellte. Ich überlege kurz.

»Hm ... nein«, erwidere ich dann zögernd. »Was hat sich denn an seinem Verhalten verändert?«

»Er ist noch stiller geworden«, sagt Frau Wagner ernst. »In meinem Deutschunterricht sagt er fast gar nichts mehr. Er macht zwar die Hausaufgaben immer – und das auch immer sauber und gut. Aber er meldet sich nie mehr, trägt nur etwas zum Unterricht bei, wenn ich ihn direkt anspreche. Außerdem verbringt er mehr Zeit mit den zwei Jungs, mit denen er auch während der Klassenarbeit zusammensaß.«

Frau Wagner beugt sich vor und dämpft die Stimme, bevor sie fortfährt: »Ich sollte das nicht sagen – aber diese zwei sind keine gute Gesellschaft für Ihren Sohn! Sie sind ein Jahr älter als alle anderen und zwei ziemliche Störenfriede.«

So langsam beginne auch ich, mir Sorgen zu machen. Habe ich etwas verpasst?

»Mir ist nichts aufgefallen«, sage ich.

»Verbringen Sie viel Zeit mit Ihrem Sohn, Frau Nussbaum?«

»Hm, ja«, erwidere ich unsicher.

Ich komme immer zwischen 17 Uhr und 17.30 Uhr nach Hause – montags eine Stunde früher und mittwochs bin ich schon zu Hause, bevor Gwenael und Désirée von der Schule kommen. Es stimmt, dass meine beiden Großen an den anderen Tagen allein von der Schule nach Hause kommen und ein bis zwei Stunden allein sind – doch meines Wissens machen sie da immer ihre Hausaufgaben. Oder Gwenael zumindest. Kann es sein, dass in dieser Zeit noch anderes passiert, von dem ich nichts weiß?

»Ich würde mich nicht einmischen, wenn Gwenael einfach nur ein paar andere Freunde hätte. Kinder entwickeln sich – und damit auch die Affinitäten untereinander«, fährt Frau Wagner fort. »Anfangs habe ich sogar gehofft, diese neue Freundschaft könnte sich positiv auf die beiden anderen Jungs auswirken. Gwenael ist ein sehr guter Schüler. Die beiden Jungs ... nicht. Ich meine sogar, sie hätten mal zusammen Hausaufgaben gemacht. Aber leider scheint Gwenael sich auch von den beiden beeinflussen zu lassen.«

»Inwiefern?«

»Nun, wie ich schon sagte, er beteiligt sich kaum noch am Unterricht. In den letzten zwei Wochen ist er nicht mehr zur Schach-AG gekommen. Und am Freitag hat er zwei Stunden geschwänzt.«

»Was??«

»Während der Doppelstunde Englisch hat er sich unentschuldigt vom Unterricht ferngehalten«, erklärt Frau Wagner. »Anschließend in Deutsch war er wieder da. Ich wusste schon davon, deswegen habe ich ihm die Nachricht an Sie mitgegeben.«

Ich starre Frau Wagner an, während sich in meinem Kopf unangenehme Gedanken jagen.

»Frau Nussbaum«, fährt sie eindringlich fort, »Gwenael ist ein lieber Junge. Aber irgendwas ist los. Vor ein paar Monaten habe ich in meinem Deutschunterricht angekündigt, dass wir uns mit den griechischen Göttern befassen würden. Die meisten Schüler haben aufgestöhnt. Das sei doof, öde oder bestenfalls langweilig. Doch Gwenael hat einen fünfminütigen Vortrag zu den Göttern gehalten und das so unterhaltsam gemacht, dass er fast alle seine Mitschüler überzeugt hat, den griechischen Göttern zumindest eine Chance zu geben. Völlig unvorbereitet! Ich war höchst beeindruckt. Und das ist noch eine Untertreibung. Aber jetzt ist er anders. Die Häufung untypischer Verhaltensweisen in der letzten Zeit muss einen Grund haben. So kann es nicht weitergehen!«

Ich kann ihr nur beistimmen. Aber was zum Teufel ist los? Er war auch nicht bei der Schach-AG, was sonst das Highlight seiner Woche ist? Was habe ich verpasst?

»Ich werde ein ernstes Gespräch mit Gwenael führen«, stammele ich. Meine Nervosität ist deutlicher zu hören als während des Jobinterviews bei Fair^Made.

Frau Wagner nickt. »Es sind nur noch zwei Wochen bis zu den Sommerferien. Vielleicht braucht Gwenael einfach nur etwas Luftveränderung.«

Ich nicke. Die Kinder werden drei der sechs Wochen im Norden von Brandenburg verbringen, wo meine Mutter allein in einem alten Haus wohnt. Ob das als Luftveränderung gilt, weiß ich nicht, doch einen richtigen Urlaub können wir uns nicht leisten.

Eine Partie Monopolygamie

Подняться наверх