Читать книгу Eine Partie Monopolygamie - Kolja Menning - Страница 17
ОглавлениеKapitel 9
Wir sind zu siebt beim von Viktoria angekündigten Neustarter-Training. Lena Persson, die Gründerin höchstpersönlich, heißt uns herzlich bei Fair^Made willkommen.
»You are all Germans, right?«, fragt sie, in die Runde blickend, und wir nicken wie artige Schulkinder.
»Dann machen wir das auf Deutsch«, sagt sie mit nur einem ganz leichten schwedischen Akzent. Und dann legt sie los:
»Wie ihr alle bereits wissen werdet, ist Fair^Made mehr als nur ein Unternehmen. Wie andere Unternehmen auch wollen wir, dass unser Business wächst und wir eine gesunde Profitabilität haben. Doch nicht um jeden Preis. Bei Fair^Made wollen wir einen Unterschied für die Welt machen. Und das würden wir niemals für etwas mehr Umsatz opfern. Sicherlich habt ihr darüber schon mit euren Teamleitern gesprochen. Heute möchte ich euch eine Einführung geben, wie wir das auch intern umsetzen. Wenn ihr Fragen habt, unterbrecht mich einfach, OK?«
Sie blickt in die Runde. Wieder nicken wir brav.
»Gut«, fährt Lena fort. »Kundenfokus ist ein äußerstes Gebot bei Fair^Made. Egal, ob ihr in Marketing, Design, Finance oder HR arbeitet, ihr solltet den Fair^Made-Kunden oder die Fair^Made-Kundin nie vergessen.«
Ein junger Kollege – ich glaube aus dem Finance-Team – hebt seinen Arm. Es ist tatsächlich wie in der Schule.
»Ja?«, ermutigt Lena ihn.
»Vorhin hast du Fair^Made als mehr als ein Unternehmen beschrieben. Wir legen auch Wert auf Soziales, wenn ich das richtig verstanden habe. Das kostet aber auch Geld. Wenn wir uns nun voll auf den Kunden fokussieren, wäre es nicht besser, dieses Geld zu investieren, um unseren Kunden ein besseres Produkt bieten zu können?«
Er sieht Lena fast herausfordernd an.
»Ausgezeichnete Frage«, findet Lena. »Das würde zutreffen, wenn unsere Vision, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen, losgelöst wäre von unseren Produkten. Tatsächlich ist sie aber ein integraler Bestandteil unserer Produkte. Unsere Kunden wollen und sollen sich gut fühlen, nicht nur, weil unsere Produkte angenehm zu tragen sind und sie darin gut aussehen, sondern auch, weil sie ein gutes Gewissen haben können. Macht das Sinn?«
Der Finanzler nickt.
»Gut«, sagt Lena und lächelt. »Also, wie setzen wir das intern um? Zuerst einmal durch Inclusion and Diversity. Es gibt zahlreiche Studien, die beweisen, dass heterogene Teams besser performen als homogene Teams. Deswegen sind wir stolz darauf, Mitarbeiter aus dreiundzwanzig Ländern zu haben, die in sehr unterschiedlichen Disziplinen studiert haben. Wir haben eine gute Mischung aus Frauen und Männern, wir haben Christen, Muslime, Juden, Hindus, Buddhisten und Atheisten. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir sogar im Management nicht nur eine Quotenfrau haben. Diese großartige Diversität kann sich aber nur gewinnbringend für Fair^Made entfalten, wenn auch Inclusion stattfindet. Das heißt, dass niemand ausgegrenzt wird. Jeder hat es verdient, respektvoll behandelt zu werden. Das gilt übrigens auch für die sexuelle Orientierung eines jeden. Die unglaubliche Diversität unseres Teams ist eine unserer großen Stärken, solange wir ihr eine Chance geben. Deswegen ist besonders mir als Gründerin von Fair^Made sehr wichtig, dass auch jeder neue Kollege diese Grundsätze lebt.«
Sie macht eine Pause und blickt uns nacheinander an. Mir ist nicht entgangen, dass sie Alter, Familienstatus und soziale Schicht nicht genannt hat. Und wie ist das mit Leuten, die kein Studium haben?
Ein Blick auf die anderen Neustarter sagt mir, dass sie begeistert sind von Lena Perssons Worten. Bis vielleicht auf den Finanzler.
»Gibt es auch eine LGBT-Gruppe bei Fair^Made?«, fragt eine der neuen Kolleginnen.
Lena nickt.
»Falls du dich für das Thema interessierst, schreib einfach eine E-Mail an lgbt@fair-s-made.com. Das kannst du übrigens auch tun, wenn du heterosexuell bist. Niemand wird da ausgegrenzt.«
LGBT?, frage ich mich. Da meine Kollegen damit aber offensichtlich etwas anfangen können, stelle ich die Frage nicht.
»So viel zu Inclusion and Diversity«, fährt Lena fort. »Außerdem haben wir bei Fair^Made klare Guidelines, was sexuelle Belästigung angeht. In einem Satz: Sexuelle Belästigung ist ein absolutes Tabu! Details könnt ihr einem Dokument dazu entnehmen, das ich euch nachher schicke. Bitte lest es sorgfältig.«
Sie blickt uns an, wir nicken.
»Kommen wir zum nächsten wichtigen Thema: Feedback. Wir glauben daran, dass wir uns nur kontinuierlich verbessern können, wenn wir regelmäßig Quality Feedback bekommen. Es ist deswegen sehr wichtig! Wenn euch jemand Feedback gibt, seht es als Geschenk! Egal, ob es positiv oder kritisch ist. Und denkt auch daran, anderen Geschenke zu machen. Es ist nicht leicht, konstruktives Feedback zu geben. Deswegen haben wir regelmäßig Feedback-Trainings. Wenn ihr nicht in den nächsten vier Wochen zu einem solchen Training eingeladen werdet, sprecht euren Manager darauf an, OK?«
Wir nicken.
»Wenn ihr Fragen habt, fragt.«
Ich habe diverse Fragen. Doch keine, die ich vor der Gründerin von Fair^Made zu stellen wage.
»Dann kommen wir zum nächsten Thema: Risk Taking. Wer etwas Neues ausprobiert, geht das Risiko ein, dass es nicht funktioniert. Wer jedoch nichts Neues ausprobiert, kann sich auch nicht verbessern. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. So sagt man doch auf Deutsch, oder? Deswegen pflegen wir bei Fair^Made auch eine hohe Toleranz gegenüber Fehlern. Fehler sind nicht schön. Wer macht schon gern Fehler? Natürlich sollten wir dumme Fehler vermeiden. Doch wenn man etwas Neues ausprobiert und dabei Fehler macht, verdient das Anerkennung und nicht Kritik – solange man seine Fehler offen zugibt. Fragen?«
Wieder ist es der junge Finance-Kollege, der sich meldet und nach einem ermutigenden Nicken von Lena spricht:
»Ich vermute, das mit den Risiken und Fehlern trifft auf uns im Finance auch zu?«
Ich sehe, wie zwei der anderen die Augen verdrehen. Lena jedoch geht ernsthaft auf die Frage ein.
»Genau wie in allen anderen Teams sollten im Finance Fehler offen zugegeben werden. Und auch wenn ich keine Expertin bin, kann man auch im Finance-Team Neues ausprobieren. Wir sollten da nur die übliche Sorgfalt walten lassen, damit unsere Konten, Quartals- und Jahresabschlüsse sauber sind. Wer hat noch Fragen?«
Eine sehr junge Frau mit grün gefärbtem Haar und einem Nasenpiercing meldet sich.
»Ja?«
»Können wir freitags mit FFF streiken?«, fragt die Grünhaarige.
»FFF?«, rutscht es mir raus.
Die Grünhaarige verdreht die Augen. »Fridays For Future. Nicht deine Generation.«
Ah, denke ich. Zumindest nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Ich beglückwünsche mich, dass ich nicht nach LGBT gefragt habe. Sonst hätte ich mich jetzt bereits zweimal blamiert.
»Fair^Made toleriert nicht nur, dass Fair^Maker sich an den Klimastreiks beteiligen«, beantwortet Lena die Frage, »wir ermutigen euch sogar. Stellt nur sicher, dass unserer Mission dadurch nicht geschadet wird. Wir haben dasselbe Ziel.«
Sie lächelt. »Noch mehr Fragen?«
Das scheint nicht der Fall zu sein.
»Ausgezeichnet!«, findet Lena. »Solltet ihr später noch Fragen haben, kommt gern jederzeit auf mich zu! Natürlich könnt ihr euch auch immer an eure Manager wenden. OK?«
Wir nicken.
»Noch ein letzter Punkt«, setzt Lena erneut an. »Es versteht sich eigentlich von selbst: Wir achten sehr auf Nachhaltigkeit. Bitte behaltet das bei allem, was ihr tut, im Hinterkopf. So, das war’s für heute. Dann nochmals herzlich willkommen bei Fair^Made!«
Sobald ich sie bekommen habe, lese ich die von Lena erwähnten Guidelines zum Thema sexuelle Belästigung und Belästigung am Arbeitsplatz im Allgemeinen pflichtbewusst durch. Entwürdigendes Verhalten, durch das sich andere angegriffen fühlen könnten, gilt es zu vermeiden. Zum Beispiel sollte man keine Schwulen- oder Blondinenwitze machen. Sexuelle Beziehungen unter Kollegen sind OK. Problematisch wird es nur, wenn es sich bei den Beteiligten um Mitarbeiter handelt, die auch ein hierarchisches Verhältnis haben. Dann besteht das Risiko von Machtmissbrauch. Da Fair^Made sehr tolerant ist, sind solche Beziehungen nicht völlig ausgeschlossen, aber sie sind unverzüglich dem HR-Team zu melden, damit man gemeinsam eine Lösung finden kann. Auch wenn man sich in irgendeiner Weise belästigt, gedemütigt, angegriffen fühlt, hat man sich umgehend an das HR-Team um Natalya Koulakova zu richten.
Interessant, dass ein Unternehmen, das so großen Wert auf respektvolles Verhalten legt, solche Guidelines benötigt. Aber gut. Gehört offenbar dazu. Also keine sexuelle Beziehung mit Viktoria König. Na gut.