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Globale Herrschaft

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Südafrikanische SüdafrikaDiamantenmine, 1911

Das diamantene Thronjubiläum Königin VictoriasVictoria I., der sechzigste Jahrestag ihres Machtantritts, bildete den symbolischen Höhepunkt des europäischen Imperialismus. Kolonialminister Joseph ChamberlainChamberlain, Joseph hatte die Idee zu diesem prächtigen Festival of the British Empire gehabt; es kamen auch elf Premierminister aus den selbstverwalteten dominions. Ein zeitgenössischer Film hat dieses Ereignis festgehalten; auf dessen flimmernden Bildern ist kaum zu erkennen, dass LondonLondon schier unterging in Fahnen, Girlanden und Scharen neugieriger Menschen, zurückgehalten von Soldaten mit hohen Pelzmützen. Militäreinheiten aus dem gesamten Empire paradierten zu Fuß oder auf Pferden durch die Straßen. Sie trugen farbenfrohe Uniformen, so das Kontingent der kanadischen Reiterpolizei ihre roten Waffenröcke und indische Regimenter die traditionelle Tracht ihrer Heimat. An der Spitze des Zuges fuhr die bald achtzigjährige KöniginVictoria I. in einer Pferdekutsche. Die Prozession hielt vor der Sankt-Pauls-Kathedrale, wo ein Gottesdienst unter freiem Himmel stattfand. Auch andernorts in England und nicht minder in den Kolonien wurde der Tag mit Reden und Feuerwerk festlich begangen. Das diamantene Jubiläum stellte die militärische Macht des Imperiums zur Schau und ebenso die Zuneigung vieler seiner Untertanen zu ihrer betagten Monarchin.1

Zeitgenössische Propagandisten und auch spätere Kommentatoren wurden und werden nicht müde, die Verdienste des Empire zu preisen, von denen Kolonisatoren und Kolonisierte profitiert hätten. Schriftsteller wie H. Rider HaggardHaggard, H. Rider verfassten aufregende Geschichten, so die Abenteuer des Allan Quartermain, die in Afrika spielten und nachmals Anregung für die Indiana-Jones-Filme liefern sollten. Journalisten, darunter der junge Winston ChurchillChurchill, Winston, schilderten anschaulich begeisternde Siege der Kolonialtruppen gegen in Überzahl kämpfende Derwische, ohne deren Abschlachtung moralisch bedenklich zu finden. Ein Jahrhundert später hat das dschihadistische Chaos dazu geführt, dass wieder die Vorteile der imperialen Ordnung erörtert werden: Verglichen mit dem Problemwirrwarr, den spätere Konflikte zwischen Religionen oder Nationalstaaten ausgelöst hätten, habe sie doch funktioniert. Der britische Historiker Niall FergusonFerguson, Niall erklärt deshalb, das Empire habe »weltweit den Wohlstand gefördert«, indem es den liberalen Kapitalismus, die englische Sprache, die parlamentarische Demokratie und die Ideen der Aufklärung in Schulen und Universitäten verbreitet habe. Er sieht darin eine Frühform dessen, was er anglobalization nennt (gemeint ist die Globalisierung mit Großbritannien und den USAVereinigte Staaten als treibenden Kräften, namentlich nach dem Zweiten Weltkrieg). Mit Verweis auf das segensreiche Walten des britischen Weltreichs schließt FergusonFerguson, Niall, das »Empire und seine Folgewirkungen« hätten »die moderne Welt so tiefgehend geformt, dass wir deren Beschaffenheit fast als selbstverständlich nehmen«.2

Andererseits mehrten sich im Laufe des Jahrhunderts die kritischen Stimmen; ja, Imperialismus avancierte zu einem der verhasstesten Begriffe im Wortschatz der Politik. Literaten beschrieben die Ausbeutung und den Rassismus, die Europa anderen Teilen der Welt angedeihen ließ, in packenden Geschichten, so Joseph ConradConrad, Joseph in seiner Novelle Heart of Darkness (dt. Herz der Finsternis). Kritiker wie John A. HobsonHobson, John A. attackierten den Kolonialismus, denn er habe »seinen Ursprung im selbstsüchtigen Interesse bestimmter Kreise der Industrie und Finanz sowie bestimmter Berufsgruppen, die privaten Profit aus einer Politik imperialer Expansion ziehen wollen«. Während des Ersten Weltkriegs meinte der Revolutionär Wladimir I. LeninLenin, Wladimir I., der Imperialismus sei »seinem ökonomischen Wesen nach Monopolkapitalismus«, und die Kette der imperialistischen Ausbeutung könne an ihrem schwächsten Glied zerbrochen werden, nämlich seiner Heimat Russland. Da sie dringend einer theoretischen Rechtfertigung bedurften, um die europäische Herrschaft zu stürzen, übernahmen viele antikolonialistische Intellektuelle diese Kritik an der imperialistischen Ausbeutung für ihre nationalen Befreiungskämpfe. Da sie unverändert missbilligen, wie Amerika im Kalten Krieg Diktaturen in der »Dritten Welt« unterstützte, geißeln viele postkoloniale Wissenschaftler nach wie vor die schändlichen Konsequenzen des imperialistischen Rassismus und der Unterdrückung durch die Weißen.3

Die Intensität und Langlebigkeit der normativen Debatte um den Imperialismus unterstreichen, wie zentral die Imperiumsidee für die moderne europäische Geschichte ist. Jahrhundertelang beherrschte das Streben nach ressourcenreichen Besitztümern in Übersee das Handeln der westlichen Staaten; mit ähnlichen Motiven suchten die östlichen Monarchien benachbarte Territorien zu erwerben. Viele der Rohstoffe, die Europas Industrien verbrauchten, kamen aus den Kolonien, während ihre Fertigprodukte in die vom Mutterland kontrollierten Kolonialmärkte exportiert wurden. Viele Europäer zeigten ein Bewusstsein der Überlegenheit über die sogenannten »Eingeborenen«, während wertvolle Objekte aus der imperialen Kultur die Salons der europäischen Elite zierten. Aufgrund dieser ungleichen Interaktion war das Phänomen Imperium in den Metropolenländern allgegenwärtig. Parallel dazu lernten die Nichteuropäer die Weißen zuerst in deren Eigenschaft als imperiale Ausbeuter, Händler, Missionare, Beamte oder Offiziere kennen. Welche Auffassung sie von den Europäern hatten und was sie ihnen gegenüber empfanden, war daher zutiefst durch ihre Erfahrungen mit imperialer Dominanz und ökonomischer Ausbeutung geprägt.4 An der Wende zum 20. Jahrhundert bestimmte der Imperialismus nicht nur Europas Herrschaft über die Welt, sondern auch die Reaktion der Welt auf Europa.

Modernisierung war gleichermaßen Ursache wie Ergebnis des imperialen Projekts und eng mit ihm verbunden, wobei sich deutlich die Ambivalenz ihrer Dynamik zeigte. Einerseits beruhte die militärische Überlegenheit der Europäer über die einheimischen Völker auf dem technologischen Vorsprung in Waffen und Organisation, den ihnen die Moderne ermöglichte. Die Rastlosigkeit, neue Gebiete zu erforschen; die Gier, die Risikobereitschaft stimulierte; der Individualismus, der zur Auswanderung ermutigte; der Rechtsstaat, der Vertragstreue erzwingbar machte – all dies war zutiefst modern. Andererseits prägte die imperiale Unterdrückung die kolonisierten Gesellschaften; dabei verbreitete sich eine ausbeuterische Form der Modernisierung durch Gewalt oder Überzeugung auf dem ganzen Globus. Indem sie Plantagen, Handelshäuser, Regierungsapparate und Militärkasernen schufen, aber eben auch Schulen, Kliniken und Kirchen bauten, zerstörten die Imperialisten traditionelle Lebensmuster. Während die imperiale Inbesitznahme die Arroganzgefühle der Europäer und ihr Fortschrittsvertrauen verstärkte, zwang sie den Kolonisierten eine seltsame Mischung aus Unterdrückung und Verbesserung auf. Es ist daher von essentieller Wichtigkeit, die zutiefst problematische Verbindung zwischen Imperium und Moderne zu erkennen.5

Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert

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