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Prestige und Imperium

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Die Stärkung der Nation diente einem übergeordneten Ziel: Italiens Expansion durch den Hinzugewinn von Territorien. Die glorreichen Zeiten des römischen Imperiums sollten wieder aufleben. Die zentrale Lage des Landes bot mehrere Ansatzmöglichkeiten: an den unmittelbaren Grenzen, in der BalkanregionBalkan und auf dem afrikanischen Kontinent. Aber Italiens begrenzte Ressourcen machten eine sorgfältige Suche nach Verbündeten notwendig, und diesbezüglich erwiesen sich MussolinisMussolini, Benito Mangel an internationaler Erfahrung und sein impulsives Temperament als Störfaktoren bei der Steigerung des italienischen Prestiges. In seiner Außenpolitik erlebte man den DuceMussolini, Benito daher schwankend: Bald spielte er den Staatsmann und bezauberte seine ausländischen Gäste, bald gab er den polternden und drohenden Diktator, namentlich, wenn er Unterlegene vor sich zu haben glaubte. Der Faschismus war als Protestbewegung gegen für Italien nachteilige Friedensregelungen entstanden; getreu diesem alten Ziel arbeitete er nun, seit er an der Macht war, auf eine Revision der Versailler Verträge hin. Das verärgerte die Franzosen. Gleichzeitig versuchte MussoliniMussolini, Benito, Italien in den Rang einer führenden Regionalmacht zu erheben, weshalb er 1923 KorfuKorfu bombardieren ließ. Das verdross wiederum die Briten. Und dann erlag er auch noch dem süßen Lockruf des Imperialismus – jedoch die »Befriedung« LibyensLibyen erwies sich als kostspielig und zog sich bis 1932 hin.1

Solange er freilich eine zentrale Rolle spielen durfte, zeigte MussoliniMussolini, Benito sich willens, Europa zu stabilisieren. 1933 schlug er zu diesem Zweck einen Viererpakt vor: Wenn Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland sich zu einem Direktorium zusammenschlössen, ließe sich der im Westen so gefürchteten Bedrohung durch die soeben an die Macht gekommenen Nazis Herr werden. Erfreut darüber, dass HitlerHitler, Adolf bei der ›Machtergreifung‹ in Deutschland seinem eigenen Beispiel gefolgt war, versuchte der DuceMussolini, Benito, die internationale Situation zu entschärfen, indem er nahelegte, die führenden kontinentalen Länder sollten doch außerhalb des Völkerbundes direkt miteinander verhandeln und so ihre diversen Streitigkeiten beilegen. Obwohl sie aus ihren Botschaften in BerlinBerlin alarmierende Berichte über den Revisionismus der Nazis erhielten, mochten die Regierenden in ParisParis und LondonLondon gegen Deutschland nicht mit Gewalt vorgehen. So konnte sich Mussolini als Vermittler zwischen Kriegsgewinnern den Kriegsverlierern gebärden. Die Faschisten waren ja genauso unglücklich über die Friedensverträge und suchten nach diplomatischen Möglichkeiten, eine Revision der Versailler Bestimmungen zu erreichen. Obwohl ihnen der italienische Machthaber nicht geheuer war, zeigten sich die westlichen Staatschefs bereit, seiner Eitelkeit ein paar Zugeständnisse zu machen – wenn sich so nur Hitler in Schach halten ließ.2 Obwohl seine Initiative bald im Sande verlief, konnte der DuceMussolini, Benito weiterhin als Staatsmann posieren, der Italien zu mehr Prestige verhalf.

1935 war MussoliniMussolini, Benito überzeugt, dass Italien nun hinreichend aufgerüstet habe, um die Niederlage von AduaAdua zu rächen. Also ließ er sein Heer in ÄthiopienAbessinien (Äthiopien) einfallen – den letzten Landstrich Afrikas, über den noch kein europäischer Staat Kontrolle ausübte. Für Marschall BadogliosBadoglio, Pietro Attacke gegen AbessinienAbessinien (Äthiopien) wurden über eine halbe Million Soldaten mobilisiert; auch Teile der Marine befanden sich im Dauereinsatz, denn ihre Schiffe mussten die Truppen über den eritreischen Hafen MassauaMassaua versorgen; außerdem legte man in der ostafrikanischen Region Übungsplätze für insgesamt 500 Militärflugzeuge an. Nach fast einem Jahr blutiger Kämpfe brach die Kombination aus Bomben und Senfgas schließlich den Widerstand der Äthiopier. Mit Verweis auf diesen Sieg verkündete MussoliniMussolini, Benito stolz vom Balkon des Palazzo Venezia herab den jubelnden Massen die Gründung eines »neuen italienischen Imperiums«. Das imperialistische Abenteuer war ein großer Public-Relations-Erfolg daheim und steigerte die Popularität des DuceMussolini, Benito weiter. Doch löste die Brutalität, mit der seine Truppen die hoffnungslos unterlegenen Äthiopier niedergeworfen hatten, eine Welle internationaler Empörung aus. Der Völkerbund verhängte ökonomische Sanktionen, und Italien fand sich diplomatisch isoliert.3 Der Bruch zwischen MussoliniMussolini, Benito und dem Westen führte dazu, dass Faschisten und Nationalsozialisten nun ganz offen eine Front bildeten und gemeinsam den Frieden Europas bedrohten.

Dass aus dem Großmachtstatus nun nichts wurde, trieb MussoliniMussolini, Benito in den Spanischen Bürgerkrieg hinein, in dem er FrancosFranco, Francisco militärischer Erhebung gegen die legitime republikanische Obrigkeit beistand. Obwohl die meisten westlichen Nationen sich offiziell für Nichteinmischung entschieden hatten, unterstützten Italien und Deutschland den reaktionären Coup, während die Sowjetunion und das volksfrontgeführte Frankreich den republikanischen Kräften halfen. Warum genau der DuceMussolini, Benito intervenierte, ist bis heute nicht ganz klar; als Motive denkbar sind die ideologische Affinität zum CaudilloFranco, Francisco und der Wunsch nach mehr Macht im Mittelmeerraum. Doch während HitlerHitler, Adolf sich nur begrenzt engagierte und lediglich die Legion Condor aufbot, schickte MussoliniMussolini, Benito 70 000 reguläre Soldaten, getarnt als Freiwillige. Zudem stellte Italien 200 Bomber, 400 sonstige Flugzeuge und 1400 Piloten – eine Luftarmada, die eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Internationalen Brigaden spielte. Zum Schutz der spanischen Republik angetreten, gerieten Letztere schließlich unter die Kontrolle der Moskauer Kommunisten. Als FrancosFranco, Francisco Truppen Erfolge einfuhren, behauptete MussoliniMussolini, Benito, dies sei vornehmlich sein Verdienst gewesen. Freilich unterschätzte er die Dauer und die Kosten des Kampfes, denn beide strapazierten seine Ressourcen empfindlich, die schon die Eroberung ÄthiopiensAbessinien (Äthiopien) übermäßig beansprucht hatte.4 Italien gewann nichts bei der Intervention, deren einziges Resultat wohl darin bestand, dass sie das Land HitlerHitler, Adolf in die Arme trieb.

MussolinisMussolini, Benito Streben nach mehr Prestige beschleunigte jene Neuordnung der politischen und diplomatischen Gegebenheiten in den 1930er Jahren, die unaufhaltsam zum Zweiten Weltkrieg führte. Obwohl sich der DuceMussolini, Benito selbst als Oberhaupt der internationalen faschistischen Bewegung betrachtete, zwangen ihn die steigenden Kosten seiner Kriege und die Ausgrenzung seines Landes durch den Westen in die bescheidenere Rolle eines Bündnispartners. Und so schloss er im Oktober 1936 einen Freundschaftsvertrag mit Nazideutschland. Großsprecherisch nannte er diesen Bund »die Achse BerlinBerlin–RomRom«, um die sich künftig Europa drehen werde. Ein Jahr später unterzeichnete MussoliniMussolini, Benito den Antikominternpakt mit Deutschland und JapanJapan, der eine Front aggressiv revisionistischer Mächte schuf und vorgeblich dem Ziel diente, den Bolschewismus zu bekämpfen. 1938 konnte der italienische Diktator die deutsche Annexion Österreichs nicht länger verhindern, denn er war inzwischen von HitlersHitler, Adolf gutem Willen abhängig. Den Höhepunkt seines internationalen Einflusses erreichte er ein paar Monate später auf einer Konferenz in der bayrischen Hauptstadt, auf der er ein vom deutschen Außenministerium entworfenes Positionspapier als italienischen Kompromissvorschlag zur Lösung der Sudetenkrise aus der Tasche zog. Der drohende Krieg könne verhindert werden, hieß es darin, wenn der Westen die Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich hinnehme. Der Vorschlag fand Akzeptanz, was als »Münchner Abkommen« in die Geschichte einging. Da jetzt alle Brücken zu den früheren Verbündeten verbrannt waren, schloss Italien mit Deutschland 1939 auch noch den »Stahlpakt« und ein Jahr später mit Deutschland und JapanJapan den »Dreimächtepakt«, eine militärische Allianz dreier Diktatoren.5

MussolinisMussolini, Benito gewachsenes Format bewirkte einen regelrechten ›Faschismus-Tourismus‹. Eine bunte Schar von Bewunderern und Kommentatoren kam interessiert herbei, um das Geheimnis der Wiedergeburt Italiens zu ergründen; auch Akademiker waren darunter. Ausländische High-Society-Damen strömten nach RomRom, um seinen machohaften Magnetismus zu bestaunen. Neugierige Journalisten wie Emil LudwigLudwig, Emil trafen den DuceMussolini, Benito, um seine Sichtweisen von ihm persönlich zu hören, und publizierten lange Protokolle der gemeinsamen Gespräche. Fehlgeleitete Schriftsteller verklärten den Faschismus sogar; George Bernard ShawShaw, George Bernard etwa verstieg sich zu der Behauptung, Mussolini habe zwar »nichts vom Prestige NapoleonsNapoleon Bonaparte, aber er hat für Italien getan, was Napoleon für Frankreich tat«. Etwas sehr naiv bemerkte der amerikanische Botschafter Richard Washburn ChildWashburn Child, Richard im Vorwort zu seiner Autobiografie, der DuceMussolini, Benito sei nunmehr »die größte Gestalt seiner Profession und seiner Zeit«. Nicht zuletzt konservative Politiker wie Winston ChurchillChurchill, Winston priesen den Diktator: »Der römische Genius, der sich in MussoliniMussolini, Benito verkörpert, dem größten Gesetzgeber unter den Lebenden, hat vielen Nationen gezeigt, wie sie dem Druck des Sozialismus widerstehen können, und hat vorgezeichnet, welchen Weg eine Nation gehen kann, wenn sie nur mutig geführt wird.«6 Da er solche Lobsprüche nun immer wieder zu hören bekam, mussten sie dem Duce wohl zu Kopfe steigen.

Die Triumphe des Faschismus – die vermeintlichen wie die tatsächlichen – trugen auch zur Verbreitung seiner Botschaft im Ausland bei, denn diese Bewegung schien eine dynamische Alternative zur sterbenskranken Demokratie und zum gleichmacherischen Kommunismus zu bieten. Anfangs war MussoliniMussolini, Benito noch skeptisch, ob sich seine Ideen exportieren ließen, aber während der 1930er prophezeite er erfolgstrunken, binnen zehn Jahren werde ganz Europa faschistisch sein. Eine Faschistische Internationale zu gründen, analog zur Kommunistischen, erwies sich zwar als schwierig, denn Hypernationalismus vertrug sich nicht mit transnationaler Organisation. Und doch teilten in Westeuropa einige Intellektuelle, so die der Action Française, der British Union of Fascists und der spanischen Falange, viele seiner rechten Grundsätze. In Osteuropa fanden rechtsradikale Bewegungen ebenfalls ihre Anhänger. Namentlich ohnehin autoritär regierte Staaten brachten diese hervor, so Ungarn die Pfeilkreuzler und Rumänien die Eiserne Garde, was an ihren revisionistischen Bestrebungen, aber auch an Spannungen zwischen einzelnen Ethnien lag. Die umfassendste Auswirkung hatte der Faschismus aber auf die verwirrte und verstreute deutsche Rechte: Die Nationalsozialisten als ihre große Einigungsbewegung übernahmen viele Prinzipien von ihren italienischen Gesinnungsbrüdern, beispielsweise Führerkult und Milizengewalt.7 Nur in der Weimarer Republik gelang es den Faschisten freilich, am Ende aus eigener Kraft die Macht zu ergreifen.

Anders als der resistenza-Mythos es will, der von einem weitverbreiteten Widerstand während der Mussolini-Jahre ausgeht, blieb der Antifaschismus bis 1938 infolge der offensichtlichen Popularität des Regimes relativ schwach. Die bürgerlichen Parteien waren diskreditiert, und die paar Überbleibsel marxistischer Gruppen bekämpften einander. Nur die Kommunisten konnten sich ein Untergrundnetzwerk von mehreren tausend Mitgliedern bewahren. Die politischen Emigranten in Paris wie Graf Carlo SforzaSforza, Carlo oder Gaetano SalveminiSalvemini, Gaetano debattierten endlos, erfuhren aber wenig Unterstützung und fanden innerhalb Italiens kaum Gehör. Einige ältere Gelehrte wie Luigi EinaudiEinaudi, Luigi hielten ebenfalls eine gewisse Distanz zum Regime, während jüngere Intellektuelle die Gruppe Giustizia e Libertà gründeten, welche die Diktatur offen kritisierte. Menschen mit besonders engen Bindungen zur katholischen Kirche blieben für faschistische Appelle unzugänglich, und gewiss gab es im Volk viel halblautes Murren. Aktive Opposition jedoch entfaltete sich kaum, denn die Geheimpolizei ging gnadenlos gegen Dissidenten vor. Es wurden auch ein paar Attentate auf MussoliniMussolini, Benito verübt, die er aber allesamt überlebte. Ein antifaschistischer Widerstand auf breiter Basis fand sich erst während des unpopulären Zweiten Weltkrieges zusammen, als Partisanen handfeste militärische Attacken wagten.8

Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert

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