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Modernistische Provokationen

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Der Bauhaus-Modernismus, 1929

Juli 1920, BerlinBerlin: Ein unscheinbarer Handzettel informierte über eine Ausstellung besonderer Art – die »Erste Internationale DADA-Messe«. Die experimentelle Kunstbewegung Dada hatte die deutsche Hauptstadt erreicht. Gegründet vier Jahre zuvor im Zürcher Café Voltaire aus Abscheu gegen den Weltkrieg, schockierte sie die Betrachter, indem sie eine »neue Wirklichkeit« schuf, die das Chaos des modernen Lebens repräsentieren sollte. Das sich gerade erst verbreitende Medium der Fotografie war den Dadaisten eine Inspiration. Künstler wie George GroszGrosz, George und John HeartfieldHeartfield, John verwarfen die Tradition, die ihrer Zunft die Aufgabe zuwies, Schönes zu schaffen. Lieber setzten sie mit brutaler Offenheit ins Bild, was der Krieg seinen Opfern antat, und kombinierten Alltagsobjekte auf neue erstaunliche oder verstörende Weise. Slogans wie »Die Kunst ist tot« und provokative Collagen aus Papierfetzen und anderem Fragmentären zogen sich an den Galeriewänden entlang. Das schockierendste Exponat war eine von der Decke herabhängende Puppe, die einen preußischen Offizier mit Schweinekopf darstellte. Die Kunstschau zeigte in krassem Ausmaß nihilistische, kommunistische, antiklerikale und antibourgeoise Tendenzen, die nicht allen gefielen. Die Reichswehr etwa sah sich durch die auf hohe Militärs gemünzte Parodie beleidigt und bemühte sich vergeblich, die Ausstellung schließen zu lassen. In vielfacher Hinsicht war der Dadaismus die radikalste Revolte gegen Konventionen, die im 20. Jahrhundert stattfand; laut einem ihrer Kombattanten, Raoul Hausmann, war er »der Beginn der modernen Kunst in einem internationalen Maßstab«.1

Im Gegensatz zu den Künstlern glaubten Wissenschaftler und Ingenieure unbeirrt weiter an den Fortschritt. Besonders deutlich wurde das bei der Einrichtung des Deutschen Museums in MünchenMünchen. Der Bauingenieur und Ausstellungsmacher Oskar von MillerMiller, Oskar von hatte das den »Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik« gewidmete Schauprojekt schon vor dem Kriege konzipiert. Im Mai 1925 öffnete das Deutsche Museum dann seine Pforten, Ingenieure und Handwerker formierten sich zu einer festlichen Parade und zogen durch die Straßen der bayrischen Hauptstadt. Die Ausstellung in den neumittelalterlich gestalteten Hallen begann mit den frühen Entdeckungen, setzte den Hauptakzent jedoch eindeutig auf die erstaunlichen Erfindungen der letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts, von Elektromotoren und chemischen Farbstoffen bis zu Automobilen sowie Flugzeugen. Die ganze Anlage des Museums propagierte ein heroisierendes Technikverständnis; besonders breiten Raum widmete es den Erfindern, die es als mutige Eroberer neuer Wissenswelten porträtierte und als Schöpfer von Verbesserungen, die der Menschheit zugutekämen. Zwar pries man ausgiebig die Leistungen deutscher Genies, doch ließen die Exponate keinen Zweifel, dass man auch den internationalen Charakter des wissenschaftlichen Fortschritts anerkannte.2 Besonders zeigte man sich bestrebt, die Neugier der Jugend anzusprechen. Unter den Schaustücken dieses größten aller Wissenschafts- und Technikmuseen der Welt waren einige Maschinen vertreten, die damals zur Speerspitze der technischen Innovation gehörten.

In jenen Jahren versuchten die Intellektuellen Mitteleuropas zu klären, wie sich mit der Modernisierung wohl zurechtkommen lasse. Den meisten ging es »nicht um einen Ausstieg aus dem Industriezeitalter, sondern um naturgemäßere oder menschlichere Formen der Existenz unter modernen Bedingungen«. Fasziniert von den ambivalenten Einwirkungen des großstädtischen Lebens auf die Individuen, dachte der Soziologe Georg SimmelSimmel, Georg über die zentrale Rolle des Geldes dabei nach. Ferdinand TönniesTönnies, Ferdinand wiederum unterschied kritisch zwei soziale Großkollektive: ein organisches, die »Gemeinschaft«, und ein gesichtslos abstraktes, die »Gesellschaft«. »Die ganze Zivilisation«, so resümierte Tönnies’ Gedanken ein späterer Kulturhistoriker, »sei auf den Kopf gestellt worden durch eine moderne Lebensweise, die von der bürgerlichen Marktgesellschaft dominiert werde, und diese Veränderung läute letztlich das Ende der Zivilisation als solcher ein.« Der Ökonom Werner SombartSombart, Werner hingegen feierte die Dynamik des Kapitalismus, indem er freilich die kreative und wagefreudige Unternehmerschaft dem krämerseligen und profitgierigen Händlertum gegenüberstellte. Erstere sah er, namentlich während des Weltkrieges, auf deutscher, Letzteres auf britischer Seite wirken. Die originellsten Gedanken zu diesem Thema äußerte Max WeberWeber, Max, der die verwirrenden Veränderungen im Zuge der Industrialisierung als Prozesse einer Rationalisierung und Bürokratisierung interpretierte. Doch wie seine wilhelminischen Kollegen hatte auch er zutiefst ambivalente Empfindungen gegenüber der Moderne samt ihren Auswirkungen und fragte sich, ob diese wohltätig oder problematisch würden.3

Diese Widersprüche, die der Begegnung mit der Moderne innewohnten, fanden besonders heftigen Ausdruck in der »Weimarer Kultur«, deren Entwicklung später oft als warnendes Exempel dafür verstanden wurde, was künstlerischer Extremismus anrichten kann.4 Diese Zuweisung ist nicht völlig unberechtigt; tatsächlich drängte der Kollaps mehrerer Imperien Intellektuelle und Künstler aus Mittel- und Osteuropa, scharenweise nach BerlinBerlin zu strömen und die Hauptstadt in ein Treibhaus für Experimente und Kontroversen zu verwandeln. Außerdem politisierte die Fragilität der ersten deutschen Demokratie die kulturelle Produktion in höherem Grad, als es die Verhältnisse in ParisParis oder LondonLondon mit vergleichbaren dortigen Bewegungen taten. Bei der Weimarer Kultur schien immer gleich die ganze Zukunft des besiegten Landes mitzuschwingen, wodurch aus Konflikten um Stile Zwistigkeiten um Ideologien wurden. Dass die Republik schließlich zusammenbrach, gab den intellektuellen Bemühungen ein tragisches Flair. Zudem kam es zu der »Flucht der Musen«, denn die Verfolgung durch die Nazis verstreute Kreative in alle Welt, in der sie viele der in den Weimarer Jahren ausprobierten Innovationen verbreiteten. Obwohl der deutsche Kontext in der historischen Diskussion seither eine besonders große Rolle spielt, bleibt doch festzuhalten, dass die kulturelle Konfrontation mit der Moderne ein europaweites Phänomen war und dass ähnliche Kämpfe überall stattfanden.

Der Explosion modernistischer Kultur in einer erregenden Vielfalt von Bewegungen und Stilen folgte eine harte ideologische Gegenreaktion. Schon im letzten Jahrzehnt vor 1914 hatte eine revoltierende Avantgarde versucht, die Grenzen des stickig gewordenen traditionellen Kanons zu sprengen. Die Leiden, die der Erste Weltkrieg brachte, vertieften das Empfinden einer Dissonanz. Umso dringender wollte man diese auch in der Kunst ausdrücken, was das Verwerfen der überkommenen Regeln beschleunigte und die Attacke auf die bürgerliche (Un-)Moral radikalisierte. Als Frieden und Wohlstand wiederkehrten, wurde daneben die Populärkulturindustrie aktiv, die die Massen primär unterhalten und der Modernisierung ein fröhliches, optimistisches Gesicht verpassen wollte. Linken Erneuerern wiederum gelang es, in ein paar Institutionen Einfluss zu gewinnen und dort Leistungen von bleibendem Wert zu erbringen; sie schufen den Stil einer klassischen Moderne. Traditionalisten hingegen beklagten, wie sehr das urbane Leben die Menschen ihrem Wesen entfremde; religiöse Führer empörten sich über Dekadenz, und Elitaristen bedauerten den Verfall der Standards. Neokonservative Ideologen versuchten gar, eine antimoderne Form der Moderne zu entwickeln.5 Die künstlerischen Experimente provozierten also intensive Konflikte, in denen die ideologischen Extreme die demokratische Vision, die sich zwischen ihnen befand, zerrieben.

Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert

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