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2. Tag, 20. Juni 1930 – Smeralda 1.

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Sie hatte gemerkt, wie er aufgestanden war, sich heimlich angezogen und verstohlen die Kajüte verlassen hatte. Natürlich hatte sie es gemerkt. Die Fähigkeit, jede Bewegung und jedes damit verbundene Vorhaben des Bettpartners vorauszusehen, hatte sie erst so weit gebracht, wie sie jetzt war. Sie hatte sich diese Fähigkeit in einer harten Schule antrainiert. Danach, als er gegangen war, war sie kurz aufgestanden, hörte ihn zwischenzeitlich draußen auf dem Gang poltern und wusch sich. Sie schüttelte die Bettdecke aus, wobei ihr ein abgerauchter Stumpen einer Zigarre des großen Mannes, den er in der Tasche seines Bademantels gehabt haben musste, entgegengeflogen kam. Als sie hinter die Jalousien blickte, sah sie auf einen frischen Morgen. Ein paar vom Sonnenlicht noch nicht absorbierte Sterne funkelten noch auf der Wasseroberfläche. Sie seufzte und setzte sich an den Mahagonisekretär, in dem sie die Liste der Männer aufbewahrte.

Wie immer nach solch einer Nacht fragte sie sich, ob sie in ihrem Leben die richtigen Entscheidungen getroffen hatte, und wie immer kam sie zu dem trotzigen Entschluss, dass es so sei. Sie befand sich in einer Luxuskabine auf einem Luxusdampfer. In zwei Stunden würde sie sich einen Tee bringen lassen. Sie war, das war unbestritten, eine Schönheit. Sie war glücklich.

Und dann, wie immer, wenn sie innerlich so mit sich rang, schlich sich dieser andere Gedanke an: Aber sie war verloren. Nicht verdorben oder schmutzig, sondern verloren. Das Körperliche, bedrohlich nahe an ihrem Beruf prallte mittlerweile an ihr ab. Es war Teil des Opfers, das sie brachte, Teil der Arbeit und in wenigen Fällen war es zuweilen angenehm. Das, was ihr der Beruf allerdings genommen hatte, war mehr als nur ihre körperliche Unschuld. Sie rühmte sich mittlerweile, nachdem sie in etlichen Etablissements gearbeitet und sich langsam, aber sicher immer weiter in gesellschaftliche Schichten hochgearbeitet hatte, das Wesen des Menschen im Allgemeinen und des Mannes im Besonderen zu kennen. Und das war ernüchternd. Selbst die eloquentesten, bestgekleideten, ehrlichen, ernsthaften und prüdesten Exemplare dieser Gattung waren an einer Stelle verwundbar, hatten diese eine Schwäche, diesen Trieb, der im Zweifelsfall ihr ganzes Tun und Treiben bestimmte. Das war auf mitleiderregende Art erniedrigend für die Spezies Mann. Denn sie hatte ihren Vater so lange geliebt, bis er gestorben war und sie das kleine Dorf am Lago Rincon verlassen hatte. Und sie hatte an das geglaubt, was er ihr immer erzählt hatte, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes seien und im Grunde ihres Herzens gut. Aber wenn sie alle so anfällig waren – dann war der Grund ihres Herzens, so rein er auch sein mochte, verfärbt von einer milchig trüben Flüssigkeit, die sich in die Reinheit aller mischte. Nicht dass die Frauen besser wären. Smeralda hatte zwei Typen im Laufe ihres Lebens kennengelernt: Die, die mit allen Mitteln von der Schwäche des Mannes profitieren wollten (zu diesem Typ zählte sie sich selbst), und solche, die Männer für ihre Schwäche abgrundtief verachteten. Es gab natürlich auch welche, die eine Mischform mit Ausgiebigkeit praktizierten. Beide Positionen waren Variationen eines und desselben Gifts, das Desillusionierung hieß. Deshalb war sie verloren. Sie glaubte nicht mehr an das Gute im Menschen. Sie war verloren, weil eine Frau auf die Stärke des Mannes angewiesen war. Aber der Mann war als solcher schwach.

Smeralda strich mit ihrem rechten, schlanken und weißen Zeigefinger über das etwas vergilbte Foto Fischers, der sie anstrahlte. Im grünen Licht der sanft glimmenden Schreibtischlampe wirkte sein Konterfei etwas dicklicher als die Wangen, die sie vor Stunden noch in den Händen gehalten hatte. Von seiner ungestümen Art ließ sich schließen, dass er unverheiratet war, aber das hatte sie schon vorher gewusst. Er war das leichteste Ziel ihrer Arbeit gewesen. Die anderen, sie blätterte weiter, würden sich als schwieriger erweisen, aber keinesfalls – und das war Teil ihres Dilemmas – unmöglich. Auf seine Art war er unschuldig und süß gewesen und sie hatte ihn mit einem ernst gemeinten Kuss belohnt, woraufhin er schleunigst und laut schnarchend eingeschlafen war. Sie stieg, nachdem sie erst jetzt durch einen kurzen Schauder bemerkt hatte, wie kalt ihr war, in frische, seidene Unterwäsche und legte sich ins Bett zurück. Es ist ein gutes Leben, dachte sie sich dabei, ein gutes Leben.

Der letzte Ball

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