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5.

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Rimets Kabine war direkt nebenan. Fischer klopfte und wartete höflich, bis er ein zartes „Herein“ vernahm. Fischer öffnete die Tür und ging einen Schritt in die Kabine. „Die Mannschaften stehen oben bereit, Monsieur“, sagte er förmlich, worauf Rimet sich vom Stuhl erhob und, bereits in Abendgarderobe gekleidet, zur Tür ging, sich dabei aber noch einmal zu den Aufzeichnungen, mit denen er sich offensichtlich bis jetzt beschäftigt hatte, umdrehte. Schließlich sagte er sich von seiner Arbeit los und schenkte Fischer noch ein kurzes Lächeln. „Danke fürs Abholen. Wie war dein Gespräch mit dem Kapitän?“

„Es gab einen Todesfall im Maschinenraum. Ich bin zufällig dort gewesen und der Kapitän wollte von mir hören, was sich zugetragen hatte.“

„Ein Todesfall. Wie unschön“, bemerkte Rimet, ohne wirkliches Interesse an den Tag zu legen. Als sie den Gang in Richtung Treppe hinabliefen, kam ihnen Smeralda entgegen. Sie lächelte die beiden Männer offen an und Fischer lächelte dezent zurück. Als sie ihn passierte, meinte er ihre Hand an seinem Hosenbein zu spüren. Als sie in einen abzweigenden Gang abgebogen war, zischte Rimet: „Obacht, mein lieber Freund. Diese Frau bedeutet Ärger.“ Fischer, der sich wunderte, dass der Fußballpräsident sich auch mit Frauen auskannte, fragte nach: „Wie meinst du das – Ärger?“

Rimet drückte sich etwas näher an seinen Kollegen und senkte die Stimme: „Aber mein Bester. Das sollte doch offensichtlich sein. Diese Dame wird bezahlt.“

Fischer bekam einen roten Kopf. „Wie meinen?“

Munter plapperte Rimet drauflos: „Der uruguayische Fußballverband setzt alles daran, dass dieses Turnier für ihn ein Erfolg wird. Er bezahlt die Überfahrt für uns alle, ebenso Kost und Logis während des gesamten Turniers, das man natürlich gewinnen will. Was läge da näher, als die Verantwortlichen mit einigen Annehmlichkeiten zu bestechen?“

Fischer verstand nicht. „Bestechen? Welche Art von Annehmlichkeiten?“

„Nun, offensichtlich will man beim Gastgeberverband, dass einem die Ausrichter des Turniers gewogen sind. Ein kleines Abenteuer mit einer zugegeben attraktiven Dame kann da schon einmal den Ausschlag geben.“

Fischer blieb auf der mit rotem Teppich ausgelegten Treppe stehen. „Wie …, wie kommst du darauf, dass es sich bei dieser Dame …“, Er musste aufpassen, dass er nicht aus Versehen ihren Namen nannte, „um eine uruguayische Kurtisane handelt?“

„Logik, mein lieber Freund“, schwelgte Rimet in seinem eigenen Wissen. „Erstens würde eine alleinstehende Dame niemals in einem so großen Zimmer auf dem Luxusdeck reisen. Zum anderen habe ich den uruguayischen Verband darum gebeten, dieses Deck nur für uns Funktionäre zu reservieren. Sie aber ist die einzige Person, die dort noch Platz gefunden hat. Also wurde sie dort vom Verband hinbeordert. Aber für weibliche Reize sind Sie ja sowieso nicht anfällig.“

Fischer schaute seinen Vorgesetzten an, um zu erfassen, ob dieser seine Aussage vielleicht ironisch gemeint haben könnte. Im gleichen Atemzug schalt er sich einen Narren. Wie hatte er ernsthaft glauben können, dass diese Frau an ihm als Mann Interesse hätte haben können. Ein ungestümer Liebhaber war er ebenso wenig wie ein Charmeur. Er wollte von ganzem Herzen im Boden versinken, zwang sich jedoch, möglichst unbekümmert zu wirken, während sie raus aufs Deck gingen, wo sie von einer leichten Brise empfangen wurden. Von Weitem hörte Fischer das fröhliche Gemurmel einiger Männer, das ihm im ersten Moment wie Spott vorkam. Smeralda, eine Liebesdienerin, bezahlt, um ihn zu verführen. Noch bevor er sich seines Knotens im Magen bewusst wurde, gesellte sich ein neuer hinzu. Wenn sie tatsächlich aus dem Grunde auf diesem Schiff war, den Rimet genannt hatte, dann würde sie sich nun auch den anderen Delegierten mit ihren „Diensten“ annähern. Er war froh, dass es beim letzten Aufstieg ans Oberdeck ein Geländer gab, an dem er sich festhalten konnte.

Ganz oben angekommen, standen dort auf frisch gewienertem Dielenboden, sorgsam aufgereiht, die Mannschaften Rumäniens und Frankreichs auf jeweils gegenüberliegenden Seiten des weiß lackierten Außengeländers. Die Männer lachten und scherzten. Als sie die beiden FIFA-Offiziellen auf sich zukommen sahen, stellten sie sich sofort wie auf Kommando stramm. Ein Mann mit weißen Trainingshosen, akkurat hochgezogenen weißen Socken und einem weißen Unterhemd trat aus der Reihe vor, um die beiden Neuankömmlinge zu begrüßen. Er hatte kurzes Haar, das sich in seiner Farbe ganz seiner Kleidung anpasste. Er war etwas hager und hatte einige Falten im Gesicht, was ihn aber nicht alt, sondern eher freundlich wirken ließ. Rimet nahm den Mann in seine Arme und gab ihm rechts und links einen Kuss auf die Wange. Dann wandte er sich zu Fischer: „Maurice, dies ist Raoul Cadron, momentaner Trainer der Equipe.“ Fischer war sich leicht unsicher, wie er den Mann begrüßen sollte, und gerade als er sein Gesicht vorbeugte, um es Rimet mit dem Bruderkuss gleichzutun, schüttelte Cadron ihm die Hand.

„Angenehm.“

Um irgendetwas zu sagen, fragte Fischer: „Sie haben schon angefangen zu trainieren?“

„Oh ja. Die Mannschaft soll aktiv bleiben. Das ist die Grundlage.“

Fischer nickte etwas unbeholfen. „Sie sind sicher ein erfahrener Leiter“, fuhr Fischer fort, dem nach dem vertraulichen Gespräch mit Rimet jegliche Fähigkeit, sinnvolle Kommunikation zu machen, abhanden gekommen war. Erstaunlicherweise aber war es nun Cadron, der leicht errötete.

„Nun, ehrlich gesagt kümmere ich mich erst seit heute um die Mannschaft.“

Rimet kam erklärend zu Hilfe: „Der eigentliche ‚Selectionneur‘, Monsieur Barreau, konnte die Equipe leider nicht begleiten. Er hat sich seinen Verpflichtungen an der Musikakademie nicht entziehen können.“ Fischer bemerkte einen leicht angesäuerten Tonfall bei Rimet.

„Wie dem auch sei, ich bin mir sicher, die Mannschaft ist bei Monsieur Cadron bestens aufgehoben.“ Dann wandte sich der Präsident direkt an die Spieler.

„Männer. Ich bin stolz, dass ihr hier seid. Ich weiß, dass ihr einiges an Entbehrungen auf euch nehmt und eure Familie, Freunde und Kinder für einige Zeit alleine lasst, um an diesem historischen Ereignis teilnehmen zu können. Ihr vertretet unsere Landesfarben und ich bin sicher, dass ihr euch ihrer würdig erweisen werdet. Nun. Ich möchte, dass ihr euch als echte Franzosen zeigt und euch gut mit allen anderen Nationen hier an Bord vertragt.“ Damit deutete Rimet auf die gegenüberliegenden Rumänen. „Vielleicht habt ihr euch ja schon gegenseitig vorgestellt. Ich habe den Kapitän angewiesen, heute, am ersten Abend, die zwei ersten Mannschaften auf diesem Schiff zu mischen. Ihr sitzt also jeweils zwischen zwei Spielern der Rumänen. Lernt euch kennen.“ Damit zog Rimet etwas langsamer als nötig seinen Hut. Doch seine etwas unbeholfene Rede löste dennoch Jubel bei den Spielern aus, die nicht nur applaudierten, sondern auch fröhlich dreinblickten. Dann drehte sich Rimet um und wandte sich an die Rumänen. „Übersetze für mich, Maurice.“

Der Trainingsleiter der Rumänen, ein ernst aussehender Mann mit schwarzen, zurückgekämmten Haaren und kantigem Gesicht, kam seinerseits auf Rimet und Fischer zu, schüttelte ihnen die Hand und sagte in gebrochenem Französisch: „Ich freue mich, Messieurs.“

„Ich freue mich auch, Monsieur Rădulescu. Nun, ich nehme an, alle Ihre Männer sind wohlauf?“ Der Übungsleiter der Rumänen blickte etwas nervös. „Ja, Monsieur.“

„Nun denn. Dann will ich auch ein paar aufmunternde Worte an Ihre Mannschaft richten.“ Er streckte sich.

„Männer. Ich bin dankbar, dass ihr es geschafft habt, dabei zu sein auf dieser Reise zu einem historischen Ereignis. Ihr habt alle große Entbehrungen machen müssen, um …“

„Ähm …“ Fischer unterbrach mit einem Husten.

„Ach ja, Maurice, bitte. Übersetze.“

„Ja, also. Das Problem ist, dass ich in drei Sprachen übersetzen müsste. Es könnte also etwas dauern.“

„Drei Sprachen? Was ist das für ein Unsinn. Das sind doch Rumänen. Ein Land.“

„Ja, aber da sind auch Ungarn und Deutsche dabei.“ Moritz rief Alfred Eisenbeisser zu sich, der sofort ein paar Schritte nach vorne machte und sich erklären ließ, dass er für die anderen weiterübersetzen solle. Schließlich konnte Rimet, der angesichts der Unterbrechung etwas ungehalten war, weitermachen.

„Also, jedenfalls wünsche ich allen hier eine gute Fahrt. Ihr werdet heute neben jeweils einem Franzosen sitzen. Keine Angst, wir sind eigentlich ganz nette Leute.“

Fischer blickte anerkennend zu Rimet herüber, der sich in dem ganzen Trubel ein wenig Humor für seine Rede bewahrt hatte. Rumänen und Franzosen stellten sich dann gegenseitig mit einem Händeschütteln vor und Rimet verschwand zufrieden. Fischer wollte noch ein wenig an der frischen Seeluft bleiben und daher suchte er noch einmal das Gespräch mit Alfred Eisenbeisser, der neben ihm stand.

„Da hat die Seekrankheit wohl schon ihre ersten Opfer gefordert…“ Eisenbeisser schaute ihn etwas überrascht an. „Äh, Herr Rădulescu hat gesagt, ein Spieler fehle.“ Eisenbeisser nickte.

„Ja, der Gheorghe ist seltsamerweise nicht mehr da.“

„Wirklich?“ Fischer zog die Augenbrauen hoch. „Seit wann ist das denn?“

„Naja. Gestern Abend ist er nicht mehr in seine Kabine gekommen. Das hat zumindest der Lafinsky gesagt. Und heute war er den ganzen Tag nicht zu sehen gewesen.“

„Ist er …“, Fischer zögerte, da er nicht wusste, wie er sich ausdrücken konnte, ohne dem Verschollenen zu nahe zu treten. „… ein Frauenheld?“ Und hier zog sich wieder sein Magen zusammen, denn in dem Moment, da er es ausgesprochen hatte, stellte er sich vor, wie Smeralda und dieser Gheorghe sich mit heißen Küssen bedeckt hatten, bevor ihm klar wurde, dass er selbst ja die Nacht mit ihr verbracht hatte.

„Nun“, erwiderte Eisenbeisser, „er ist eben ein Mann. Aber dass er nicht zum Morgentraining erschienen ist, sieht ihm gar nicht ähnlich.“

Fischer hatte auf einmal einen furchtbaren Verdacht. Er musste an die Hand denken, die leblos, aber immer noch unaufhörlich in seinem Kopf gegen das Metall schlug. Er verabschiedete sich ziemlich abrupt und eilte auf die Schiffsbrücke.

Pinceti blickte ihn mit traurigen Augen an. Fischer hatte ihm, nachdem er kurz hatte Luft holen müssen, da er die Gitterstufen hinaufgesprungen war, seine Vermutung, dass es sich bei dem Toten um Gheorghe Moldoveanu, einen rumänischen Nationalspieler, handeln könnte, mitgeteilt. Im selben Moment wurde ihm klar, dass ihn der Kapitän für verrückt halten musste oder zumindest doch ziemlich hysterisch. Und schließlich, so schlussfolgerte Fischer, hatte der Kapitän damit auch ziemlich recht. Er schob seinen überdrehten Zustand dem Mangel an Schlaf in die Schuhe und der Aufregung, die ihn im allgemeinen Trubel der letzten Tage erfasst hatte. Und somit erwartete er, von Pinceti mit freundlichen, aber bestimmten Worten von der Kommandobrücke verwiesen zu werden. Stattdessen winkte der Kapitän ihn zu sich und ging dann selbst zur anderen Seite der Brücke, öffnete die Tür, stieg hinab, öffnete eine weitere Metalltür, stieg wieder eine Treppe hinab und führte Fischer weiter in die Untiefen des Schiffes, das er noch am selben Morgen so gerne verlassen hätte.

Schließlich endete die kurze Reise vor einer weißen Tür, auf der ein rotes Kreuz aufgemalt war – das Krankenzimmer. Pinceti schaute sich um, öffnete die Tür und führte Fischer in einen schmalen, mit weißen Regalen besetzten Raum, in dem in der Mitte auf einer Bahre ein Mann unter einer weißen Decke lag. Pinceti blieb vor dem Aufgebahrten stehen, schlug die bis zum Gesicht hochgezogene Decke zurück und fragte Fischer: „Ist dies Gheorghe Moldoveanu?“

Fischer blickte in das bleiche Gesicht eines jungen Mannes, dessen tote Augen ins Nichts starrten. Allerdings war es nicht das Gesicht, das Fischers Aufmerksamkeit fesselte. Er konnte nicht umhin, auf seinen Hals zu schauen, der eine klaffende, waagerechte Wunde in der Mitte aufwies und das blutverschmierte Innere seiner Lunge offenbarte.

Der letzte Ball

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