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1.2 Aber wem gehören die Daten?

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Im Umgang mit den Daten aus dem WWW drängt sich die Auffassung geradezu auf, dass die Daten, die hier veröffentlicht werden, jedem und jeder gehören. Sie sind zugänglich, ihre Urheber*innen haben sie „veröffentlicht“ und damit einem Publikum zur Verfügung gestellt. Keine anderen Merkmale aber treffen auf Informationen zu, die in Büchern veröffentlicht worden sind. Sie sind ebenfalls frei lesbar, ihre Vervielfältigung und Weiterverwendung ist jedoch gesetzlich geregelt. So entspricht es nicht der seriösen Forschungspraxis, Daten aus einem Buch schlicht zu übernehmen, ohne das zu kennzeichnen und auf den*die Autor*in zu verweisen. Die wenigsten wissen jedoch, dass auch für die Verwendung von Daten aus dem WWW eindeutige und verbindliche juristische Vorgaben zu beachten sind.

Das Urheberrecht räumt dem Schöpfer geistigen Eigentums ein Ausschließlichkeitsrecht an seinen eigenen kreativen Leistungen ein.

Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass „veröffentlichte“ Daten dem*der Urheber*in gehören und damit unter das Urheberrecht1 fallen. In vielen Fällen sind also die Daten, die im Internet kursieren, gesetzlich bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers/der Urheberin geschützt. Auch bei kleineren, einfachen Texten ist im Zweifel von einer sogenannten Schöpfungshöhe auszugehen, d. h. dass das „Werk“ – und darunter fallen dann auch internetbasierte (Kommunikations)beiträge – als geschützt gilt.

Bei der Schöpfungshöhe handelt es sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der „persönlich geistigen Schöpfung“ i.S.d. § 2 Abs. 1 UrhG. Geschützt sind Werke, weil es sich entweder um eine persönlich geistige Schöpfung handelt, ein Sprachwerk, ein Musikwerk oder eine schützenswerte Darstellung.

Wenn nun aber das Urheberrecht gilt, bedeutet das, dass wir die Daten, die sich uns wie auf einem „goldenen Tablett“ präsentieren, gar nicht oder nur mit Einverständniserklärung des Urhebers/der Urheberin für unsere Forschung verwenden dürfen?

Sollten wir tatsächlich eine Vervielfältigung anstreben, ist vorher das Einverständnis des Urhebers/der Urheberin einzuholen.

Eine Einverständniserklärung sollte vor der Daten-Erhebung schriftlich fixiert werden und folgende Informationen beinhalten: Angaben über den*die Träger*in und Leiter*in des Forschungsvorhabens; Angaben zum Forschungszweck; Angaben zur Methode der Datenerhebung; Angaben zur weiteren Verwendung der Daten und der involvierten Personen; Zeitpunkt, zu dem die personenbezogenen Daten gelöscht werden; Erklärung über Freiwilligkeit und Möglichkeit zum Widerruf; explizite Einwilligungsformulierung; Ort, Datum und Unterschriften. (siehe Bankhardt 2010)

Aber: Wie können wir eine Einverständniserklärung von jemandem einholen, der*die sich a) nicht zu erkennen gibt, weil er*sie ein Pseudonym (Nickname) benutzt und der*die b) auf keinem (technologischen) Weg kontaktiert werden kann? Für viele ist es die fehlende Antwort auf diese Frage, die sie dazu verführt, sich der Daten einfach anzunehmen, sie ohne explizite Erlaubnis zu verwenden und weiterzuverarbeiten. Es entspricht dem z.B. bei Gatto (2014: 64) beschriebenen „praktischen Weg“: Sprachliche Daten werden gesammelt, aber nicht verbreitet. Wenn die Daten nicht zugänglich gemacht werden (können), ist es allerdings schwierig, die Ergebnisse zu überprüfen.

Dieses Vorgehen ist vor allem deswegen so verbreitet, weil eine Kontrolle, was mit den Daten nach ihrer „Veröffentlichung“ im WWW geschieht, geradezu unmöglich ist. Zudem sind WWW-Daten weitaus leichter zugänglich als Daten, die in gedruckten Büchern veröffentlicht sind. Während hier der Erwerb oder zumindest das Aufsuchen einer Bibliothek (oder sogar eine Fernleihe, die mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann) vonnöten ist, gibt es beim Zugang zu elektronischen Daten oftmals nicht einmal mehr die Barriere der Nutzerregistrierung.

In Form und Inhalt weichen WWW-Daten oftmals von klassischen, herkömmlichen Texten ab, von Texten beispielsweise, die als Romane oder wissenschaftliche Werke veröffentlicht werden. Autor*innen legitimieren sich hierbei im Idealfall durch eine besondere Kompetenz (Expert*innenwissen, Kreativität, Schreibstil etc.), die wiederum Rezipient*innen davon abhalten sollte, gedankliches Eigentum schlicht zu kopieren. Im WWW – besonders aber beim Surfen im Web 2.0 – entsteht möglicherweise gar kein Bewusstsein dafür, dass es sich hier um schützenswerte Werke handelt, selbst bei Beiträgen in Kommentarforen. Inhalt und Form scheinen oftmals keinen besonderen „Wert“ zu indizieren.

Heißt das nun, dass wir gesetzeswidrig handeln wenn wir sprachliche Daten für linguistische Analysen aus dem WWW kopieren um sie unter spezifischen Fragestellungen zu untersuchen?

Nein, denn es ist a) generell nicht ausgeschlossen, eine Einwilligungserklärung für Daten einzuholen. Das entspräche dem bei Gatto (2014) und Baroni et al. (2009) beschriebenen traditionellen, recht aufwändigen und eine hohe Frustrationstoleranz erfordernden Weg, weil Antwortzeiträume lang werden können oder Antworten gar nicht eintreffen. Es gibt aber z. B. im Chat die Möglichkeit, bei Nutzer*innen direkt während des virtuellen Gesprächs anzufragen. Ebenso kann eine Erlaubnis stellvertretend bei Administrator*innen von Chat-Räumen oder Foren erfragt werden. Deren Kontaktdaten sind jeweils im Impressum der entsprechenden Seite aufgelistet. Dass über diesen „Umweg“ Kontakt zu den Nutzer*innen aufgebaut werden kann, ist nicht zu erwarten, da sich diejenigen, die Chat-Seiten etc. betreiben, dazu verpflichten, Daten von Nutzer*innen vertraulich zu behandeln. Da aber sprachliche Belege für wissenschaftliche Zwecke als Zitate gelten, ist es b) nicht gesetzeswidrig sie zu kopieren, wenn sie als Zitate ausgewiesen werden.

Aufgabe 1-1

Formulieren Sie ein Anschreiben an eine*n Administrator*in eines von Ihnen selbst gewählten Chat-Angebots (z. B. Knuddels, Jodel etc.) und bitten Sie darum, Daten von Nutzer*innen für Ihre wissenschaftliche Untersuchung verwenden zu dürfen.

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