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Weltgeschichte ist die Geschichte der Stadtmenschen Im Gespräch mit Oswald Spengler
ОглавлениеNicht nur in puncto Ihrer zyklischen Geschichtstheorie haben Sie eine besondere Sicht auf die Weltgeschichte, Herr Spengler.
Spengler: Es ist eine ganz entscheidende und in ihrer vollen Bedeutung nie gewürdigte Tatsache, dass alle großen Kulturen Stadtkulturen sind. Der höhere Mensch … ist ein städtebauendes Tier. Dies ist das eigentliche Kriterium der »Weltgeschichte«, das sie von der Menschengeschichte überhaupt aufs Schärfste abhebt – Weltgeschichte ist die Geschichte des Stadtmenschen … Daraus folgt aber, und das ist wesentlicher als alles andere: Alle politische, alle Wirtschaftsgeschichte kann nur begriffen werden, wenn man die vom Lande sich mehr und mehr absondernde und das Land zuletzt völlig entwertende Stadt als das Gebilde erkennt, welches den Gang und Sinn der höheren Geschichte überhaupt bestimmt.
Eine Entwicklung, die Sie freilich höchst kritisch sehen.
Spengler: Mit der Zivilisation tritt das Klimakterium ein. Die uralten Wurzeln des Daseins sind verdorrt in den Steinmauern ihrer Städte. Der freie Geist – ein verhängnisvolles Wort! – erscheint wie eine Flamme, die prachtvoll aufsteigt und jäh in der Luft verlodert … Und zuletzt beginnt die riesenhafte Weltstadt, die Stadt als Welt, neben der es keine andere geben soll, die Vernichtungsarbeit am Landschaftsbilde …
Nicht von ungefähr sprechen Sie von der »Todessymbolik« der Stadt.
Spengler: Der Steinkoloss »Weltstadt« steht am Ende des Lebenslaufes einer jeden großen Kultur. Der vom Lande seelisch gestaltete Kulturmensch wird von seiner eigenen Schöpfung, der Stadt, in Besitz genommen, besessen, zu ihrem Geschöpf, ihrem ausführenden Organ, endlich zu ihrem Opfer gemacht. Diese steinerne Masse ist die absolute Stadt. Ihr Bild, wie es sich mit seiner großartigen Schönheit in die Lichtwelt des menschlichen Auges zeichnet, enthält die ganze erhabene Todessymbolik des endgültig »Gewordenen«. Der durchseelte Stein gotischer Bauten ist im Verlauf einer tausendjährigen Stilgeschichte endlich zum entseelten Material dieser dämonischen Steinwüste geworden.
Allerdings, und da ist Ihre geradezu prophetische Weitsicht bemerkenswert, sahen Sie schon zu Ihrer Zeit die Entwicklung der Stadt noch nicht an ihrem Ende angelangt.
Spengler: Die Weltstädte der westeuropäisch-amerikanischen Zivilisation haben noch bei Weitem nicht den Gipfel ihrer Entwicklung erlangt. Ich sehe – lange nach 2000 – Stadtanlagen für zehn bis zwanzig Millionen Menschen, die sich über weite Landschaften verteilen, mit Bauten, gegen welche die größten der Gegenwart zwerghaft wirken, und Verkehrsgedanken, die uns heute als Wahnsinn erscheinen würden.
Herr Spengler, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Oswald Spengler, geboren am 29. Mai 1880 in Blankenburg im Harz, gestorben am 8. Mai 1936 in München, war ein deutscher Geschichtsphilosoph, Privatgelehrter und Schriftsteller, der in seinem Hauptwerk »Der Untergang des Abendlandes« eine zyklische Geschichtstheorie entwickelte als Gegensatz zur vorherrschenden linearen Geschichtsschreibung.