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Gespräche zur Architektur

»Dauer und Festigkeit«

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Die schönste Baukunst auf Erden

Im Gespräch mit Jacob Burckhardt

Herr Professor Burckhardt, lassen Sie uns über den großen Michel­angelo Buonarroti als Architekten miteinander sprechen, bitte.

Burckhardt: Michelangelo hat sich nicht zur Architektur gedrängt. Seine dämonisch gewaltige Formenbehandlung in der Skulptur und Malerei brachte die Bauherren darauf, von ihm auch Rat, Entwurf und Leitung für die Gebäude zu verlangen. Der erste Auftrag (1514 durch Leo X.) war eine Fassade für S. Lorenzo in Florenz; sein Plan wurde allen andern, auch demjenigen Raffaels, vorgezogen. Man bewahrt eine Skizze desselben noch im Palazzo Buonarroti, den er selbst viele Jahre bewohnte und den sein Neffe, der als Dichter bekannte Michelangelo Buonarroti der Jüngere, zu einem Museum für das Andenken des Oheims eingerichtet hat.

Ab wann, mit welchem Bauwerk begann Michelangelos Wirkungsgeschichte als Architekt?

Burckhardt: Ganz frei gestaltend treffen wir ihn erst in der berühmten Grabkapelle der Mediceer (sog. Sagrestia nuova) am rechten Querschiff derselben Kirche. Keinem Künstler ist je freiere Hand gelassen worden; man kann kaum entscheiden, ob er die Kapelle für seine Denkmäler baute oder die Denkmäler für die Kapelle meißelte (um 1529). Als Ganzes ist sie ein leichtes, herrliches Gebäude, welches das Prinzip brunelleschischer Sakristeien auf das Geistvollste erweitert und erhöht darstellt. Es ist nicht bloß die reinere und vollständigere Handhabung einer unteren und einer oberen Pilasterordnung, was hier den ganzen Fortschritt des 16. Jahrhunderts im Verhältnis zum 15. klarmacht, sondern vor allem ein höheres Gefühl der Verhältnisse. Man übersieht daneben einzelne schon überaus bedenkliche Füllformen, z. B. die Nischen über den Türen u. dgl.; man rechtfertigt die Schrägpfosten der oberen Fenster vielleicht sogar durch alt­etruskische Vorbilder und die Ausfüllung der beiden Grabnischen mit einer spielenden Architektur durch den Vorteil, dass die Figuren um so viel größer scheinen.

Worin besteht denn das Besondere seiner Architektur?

Burckhardt: Seine wahre Größe liegt hier wie überall in den Verhältnissen, die er nirgends, auch nicht von den antiken Bauten, kopiert, sondern aus eigener Machtfülle erschafft, wie sie der Gegenstand gestattet. Sein erster Gedanke ist nie die Einzelbildung, auch nicht der konstruktive Organismus, sondern das große Gegeneinanderwirken von Licht- und Schattenmassen, von einwärts- und auswärtstretenden Partien, von oberen und unteren, mittleren und flankierenden Flächen. Er ist vorzugsweise der im Großen rechnende Komponist. Vom Detail verlangt er nichts als eine scharfe, wirksame Bildung. Die Folge war, dass dasselbe unter seinen Händen ganz furchtbar verwilderte und später allen Bravourarchitekten für die größten Missformen zur Entschuldigung dienen konnte …

Zu seinen Spätwerken gehört die Porta Pia.

Burckhardt: Ein verrufenes Gebäude, scheinbar reine Kaprice; aber ein inneres Gesetz, das der Meister sich selber schafft, lebt in den Verhältnissen und in der örtlichen Wirkung der an sich ganz willkürlichen Einzelformen. Diese Fenster, dieser starkschattige Torgiebel usw. geben mit den Hauptlinien zusammen ein Ganzes, das man auf den ersten Blick nur einem großen, wenn auch verirrten Künstler zutrauen wird. Innerhalb der Willkür herrscht eine Entschiedenheit, welche fast Notwendigkeit scheint.

Zu erwähnen wären sicher viele weitere Großwerke wie der Umbau der Diokletiansthermen zur Kirche S. Maria degli Angeli oder sein Beitrag zu den kapitolinischen Bauten. Aber lassen Sie uns abschließend auf den Petersdom zu sprechen kommen.

Burckhardt: Erst als Greis erhielt Michelangelo durch Paul III. den Auftrag zur Vollendung der S. Peterskirche, von welcher hier im Zusammenhang die Rede sein muss. Ohne auf die Geschichte des Baues im Einzelnen einzugehen …

Nach der Zwischenherrschaft des jüngern San Gallo trat Michelangelo ein. Es bedurfte seines ganzen schon gewonnenen Ruhmes und seiner Verzichtung auf jeden Lohn, um seinem Entwurf den Sieg zu sichern. Eine der Freskoansichten des damaligen Roms in der vatikanischen Bibliothek stellt den Bau ungefähr so dar, wie er ihn haben wollte: ein gleicharmiges Kreuz, dessen vorderer Arm in der Mitte der Fassade eine nur viersäulige, aber in riesigem Maßstab gedachte Vorhalle aufweist. Die Kuppel hätte diesen vorderen Arm des Kreuzes ebenso völlig beherrscht als die gleich langen drei übrigen Arme. – Von dem jetzt vorhandenen Gebäude hat Michelangelo zunächst die Außenseiten der hinteren Teile des Unterbaues mit Pilastern und Attika zu verantworten. Sie sind eine bizarre, willkürliche Hülle, die Bramantes Entwurf schmerzlich bedauern lässt; die vier Ecken zwischen den halbrund heraustretenden Tribünen sind durch schräge Wände abgestumpft; die Fenster zeigen eine Bildung, die an Kaprice mit der Porta Pia wetteifert … Viel gemäßigter verfuhr Michelangelo im Innern, dessen Organismus (Pilaster, Nischen, Gesimse, auch wohl die Angabe des Gewölbes) wenigstens soweit ihm angehört, als nicht späterer, zumal farbiger Schmuck einen neuen Sinn hineingebracht hat … Das hier ausgesprochene System ist es, welches einen so ungeheuren Einfluss auf den Innenbau der ganzen katholischen Welt ausgeübt hat und als Kanon in tausend Variationen nachgeahmt wurde. Als einfaches Gerüst ist diese Bekleidung großartig gedacht; das Vor- und Zurücktreten des Gesimses ist verhältnismäßig sparsam gehandhabt, sodass dem Letzteren seine herrschende Wirkung bleibt; die Pilaster sind ebenfalls noch einfach; erst die Nachahmer wollten durch Vervielfältigung der Glieder die Wirkung überbieten. Die Kassettierung der großen Tonnengewölbe, zwar erst beträchtlich später, aber doch wohl nach der Absicht des großen Meisters ausgeführt, ist in ihrer Art klassisch zu nennen und unbedenklich als das beste Detail der ganzen Kirche zu betrachten, während die Einzelbildung der Pilaster und Gesimse doch nur von mittlerm Werte ist.

Die Kuppel Michelangelos, an Form und Höhe derjenigen der frühern Baupläne gewaltig überlegen, bietet vielleicht von außen die schönste und einfachste Umrisslinie dar, welche die Baukunst auf Erden erreicht hat.

Außer meinem Dank für das Gespräch, Herr Professor, wäre diesem Urteil nichts mehr hinzuzufügen.

Jacob Christoph Burckhardt, geboren am 25. Mai 1818 in Basel, gestorben am 8. August 1897 ebenda, war ein Schweizer Kulturhistoriker mit Schwerpunkt Kunstgeschichte; er lehrte an den Universitäten Zürich und vor allem Basel. Friedrich Nietzsche, der als Deutschlands jüngster Universitätsprofessor von Leipzig nach Basel gekommen war, würdigte ihn als »unseren großen, größten Lehrer«. Herausragend: Burckhardts Studien zur Geschichte der Renaissance in Italien.

Der behauste Mensch

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