Читать книгу Der behauste Mensch - Kurt E. Becker - Страница 9
Mit der physischen Welt
in gutem Vernehmen Im Gespräch mit Friedrich Schiller
ОглавлениеHerr Professor, Sie sollen beim Bau Ihres Gartenhauses in Jena selbst Hand angelegt haben, waren also Baumeister in eigener Sache, Ihres eigenen umbauten Raums. Lassen Sie uns aber heute nicht über Ihre praktischen Erfahrungen beim Bauen miteinander sprechen, sondern einen großen Blick tun auf die Natur, von der wir heute wissen, dass sie durch Gebäudeemissionen Schaden nimmt und dadurch eine wesentliche Ursache des Klimawandels forciert. Sind die menschlichen Hervorbringungen Feinde der Natur oder können wir durch unsere Einsicht in die Naturgesetze einen Ausgleich bewirken?
Schiller: Eben der Umstand, dass die Natur im Großen angesehen, aller Regeln, die wir durch unseren Verstand ihr vorschreiben, spottet, dass sie auf ihrem eigenwilligen freien Gang die Schöpfungen der Weisheit und des Zufalls mit gleicher Achtlosigkeit in den Staub tritt, dass sie das Wichtige wie das Geringe, das Edle wie das Gemeine in einem Untergang mit sich fortreißt, dass sie hier eine Ameisenwelt erhält, dort ihr herrlichstes Geschöpf, den Menschen, in ihre Riesenarme fasst und zerschmettert, dass sie ihre mühsamsten Erwerbungen oft in einer leichtsinnigen Stunde verschwendet und an einem Werk der Torheit oft jahrhundertelang baut – mit einem Wort – dieser Abfall der Natur im Großen von den Erkenntnisregeln, denen sie in ihren einzelnen Erscheinungen sich unterwirft, macht die absolute Unmöglichkeit sichtbar, durch Naturgesetze die Natur selbst zu erklären und von ihrem Reiche gelten zu lassen, was in ihrem Reiche gilt, und das Gemüt wird also unwiderstehlich aus der Welt der Erscheinungen heraus in die Ideenwelt, aus dem Bedingten ins Unbedingte getrieben.
Unser Verhältnis zur Macht der Natur ist von Furcht geprägt?
Schiller: Noch viel weiter als die sinnlich unendliche führt uns die furchtbare und zerstörende Natur, solange wir nämlich bloß freie Betrachter derselben bleiben. Der sinnliche Mensch freilich und die Sinnlichkeit in dem Vernünftigen fürchten nichts so sehr, als mit dieser Macht zu zerfallen, die über Wohlsein und Existenz zu gebieten hat.
Sehen Sie einen Ausweg aus diesem natürlichen / kultürlichen Dilemma?
Schiller: Das höchste Ideal, wonach wir ringen, ist, mit der physischen Welt, als der Bewahrerin unserer Glückseligkeit, in gutem Vernehmen zu bleiben, ohne darum genötigt zu sein, mit der moralischen zu brechen, die unsere Würde bestimmt. Nun geht es aber bekanntermaßen nicht immer an, beiden Herren zu dienen, und wenn auch … die Pflicht mit dem Bedürfnisse nie in Streit geraten sollte, so geht doch die Naturnotwendigkeit keinen Vertrag mit dem Menschen ein, und weder seine Kraft noch seine Geschicklichkeit kann ihn gegen die Tücke der Verhängnisse sicherstellen. Wohl ihm also, wenn er gelernt hat zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann!
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Johann Christoph Friedrich Schiller, ab 1802 von Schiller, geboren am 10. November 1759 in Marbach am Neckar, gestorben am 9. Mai 1805 in Weimar, war Arzt, Dichter, Philosoph und Historiker und lehrte in Jena Geschichte. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker, Lyriker und Essayisten. Philosophisch stand er unter dem Einfluss Immanuel Kants; von ihm auch inspiriert, aber mit spezifisch eigenen Akzenten versehen war sein Natur- und Schönheitsbegriff.