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Gespräche zur Anthropologie

»Unmöglichkeit, durch Naturgesetze die Natur zu erklären …«

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Wo Menschen leben können,
leben Menschen

Im Gespräch mit Johann Gottfried Herder

Herr Herder, im Zusammenhang mit der Entwicklung der Natur und der Erde stellen Sie eine höchst interessante Frage – die nämlich, ob wir unseren Wohnplatz, die Erde, uns selbst und nicht den Elementen schuldig sind.

Herder: Wenn diese nach immer fortwirkenden Naturgesetzen periodisch aufwachen und das Ihre zurückfordern, wenn Feuer und Wasser, Luft und Wind, die unsere Erde bewohnbar und fruchtbar gemacht haben, in ihrem Lauf fortgehen und sie zerstören; wenn die Sonne, die uns so lang als Mutter wärmte, die alles Lebende auferzog und an goldenen Seilen um ihr erfreuendes Antlitz lenkte – wenn sie die alternde Kraft der Erde, die sich nicht mehr zu halten und fortzutreiben vermag, nun endlich in ihren brennenden Schoß zöge; was geschähe anders, als was nach ewigen Gesetzen der Weisheit und Ordnung geschehen musste? Sobald in einer Natur voll veränderlicher Dinge Gang sein muss, sobald muss auch Untergang sein; scheinbarer Untergang nämlich, eine Abwechslung von Gestalten und Formen. Nie aber trifft dieser das Innere der Natur, die, über allen Ruin erhaben, immer als Phönix aus ihrer Asche ersteht und mit jungen Kräften blüht.

Das gilt auch für das Wohnen der Menschen, für sein Behaustsein?

Herder: Schon die Bildung unseres Wohnhauses und aller Stoffe, die es hergeben konnte, muss uns also auf die Hinfälligkeit und Abwechslung aller Menschengeschichte bereiten; mit jeder näheren Ansicht erblicken wir diese mehr und mehr.

Konkret ein Wort zu Ihrer Sicht auf den behausten Menschen! Wodurch ist er charakterisiert, was macht ihn wesentlich?

Herder: Jeder liebt sein Land, seine Sitten, seine Sprache, sein Weib, seine Kinder, nicht weil sie die besten auf der Welt, sondern weil sie die bewährten Seinigen sind und er in ihnen sich und seine Mühe selbst liebt. So gewöhnt sich jeder auch an die schlechteste Speise, an die härteste Lebensart, an die roheste Sitte des rauesten Klimas und findet zuletzt in ihm Behaglichkeit und Ruhe. Selbst die Zugvögel nisten, wo sie geboren sind, und das schlechteste, raueste Vaterland hat oft für den Menschenstamm, der sich daran gewöhnte, die ziehendsten Fesseln.

Für das Leben und das Wohnen der Menschen heißt dies konkret was?

Herder: Überall, wo Menschen leben können, leben Menschen, und sie können fast überall leben. Da die große Mutter auf unserer Erde kein ewiges Einerlei hervorbringen konnte noch mochte, so war kein anderes Mittel, als dass sie das ungeheuerste Vielerlei hervortrieb und den Menschen aus einem Stoff webte, dies große Vielerlei zu ertragen … Unter allen … veränderlichen, ziehbaren, empfänglichen Geschöpfen ist der Mensch das empfänglichste: Die ganze Erde ist für ihn gemacht, er für die ganze Erde.

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Johann Gottfried Herder, geboren am 25. August 1744 in Morag, Ostpreußen, gestorben am 18. Dezember 1803 in Weimar, war ein deutscher Dichter, Übersetzer, Theologe, Geschichts- und Kulturphilosoph der Weimarer Klassik. Er war einer der einflussreichsten Schriftsteller und Denker deutscher Sprache im Zeitalter der Aufklärung.

Der behauste Mensch

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