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Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine Im Gespräch mit Johann Wolfgang von Goethe

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Herr Geheimrat, Sie haben eine sehr präzise Vorstellung von der Ethik des Bauens, um es ein bisschen hochtrabend zu formulieren.

Goethe: Der Bauende soll nicht herumtasten und versuchen. Was stehen bleiben soll, muss recht stehen und wo nicht für die Ewigkeit doch für geraume Zeit genügen. Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine.

Ihr Beispiel für hohe Baukunst ist das Straßburger Münster. Da gibt es bei Ihnen einen Vorher-Nachher-Effekt.

Goethe: Als ich das erste Mal nach dem Münster ging, hatt’ ich den Kopf voll allgemeiner Erkenntnis guten Geschmacks. Auf Hörensagen ehrt’ ich die Harmonie der Massen, die Reinheit der Formen, war ein abgesagter Feind der verworrenen Willkürlichkeiten gotischer Verzierungen. Unter der Rubrik Gotisch, gleich dem Artikel eines Wörterbuchs, häufte ich alle synonymische Missverständnisse, die mir von Unbestimmtem, Ungeordnetem, Unnatürlichem, Zusammengestoppeltem, Aufgeflicktem, Überladenem jemals durch den Kopf gezogen waren. Nicht gescheiter als ein Volk, das die ganze fremde Welt barbarisch nennt, hieß alles gotisch, was nicht in mein System passte, von dem gedrechselten, bunten Puppen- und Bilderwerk an, womit unsere bürgerlichen Edelleute ihre Häuser schmücken, bis zu den ernsten Resten der älteren deutschen Baukunst, über die ich, auf Anlass einiger abenteuerlichen Schnörkel, in den allgemeinen Gesang stimmte …

Ihr Eindruck dann, als Sie dieses Bauwerkes zum ersten Mal ansichtig wurden?

Goethe: Mit welcher unerwarteten Empfindung überraschte mich der Anblick, als ich davortrat. Ein ganzer, großer Eindruck füllte meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelheiten bestand, ich wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und erklären konnte. Sie sagen, dass es also mit den Freuden des Himmels sei, und wie oft bin ich zurückgekehrt, diese himmlisch-irdische Freude zu genießen, den Riesengeist unserer älteren Brüder in ihren Werken zu umfassen. Wie oft bin ich zurückgekehrt, von allen Seiten, aus allen Entfernungen, in jedem Lichte des Tags zu schauen seine Würde und Herrlichkeit. Schwer ist’s dem Menschengeist, wenn seines Bruders Werk so hocherhaben ist, dass er nur beugen und anbeten muss.

Erwin von Steinbach, der Erbauer, galt Ihnen als Genie. Warum? Sie haben einen fiktiven Dialog mit dem Baumeister zu Papier gebracht. Lassen Sie uns daran teilhaben.

Goethe: Wie oft hat die Abenddämmerung mein durch forschendes Schauen ermattetes Auge mit freundlicher Ruhe geletzt, wenn durch sie die unzähligen Teile zu ganzen Massen schmolzen und nun diese, einfach und groß, vor meiner Seele standen und meine Kraft sich wonnevoll entfaltete, zugleich zu genießen und zu erkennen. Da offenbarte sich mir in leisen Ahnungen der Genius des großen Werkmeisters. Was staunst du?, lispelt er mir entgegen. Alle diese Massen waren notwendig, und siehst du sie nicht an allen älteren Kirchen meiner Stadt? Nur ihre willkürlichen Größen hab ich zum stimmenden Verhältnis erhoben. Wie über dem Haupteingang, der zwei kleinere zu Seiten beherrscht, sich der weite Kreis des Fensters öffnet, der dem Schiffe der Kirche antwortet und sonst nur Tageloch war, wie hoch drüber der Glockenplatz die kleineren Fenster forderte. Das all war notwendig, und ich bildete es schön … Und so schied er von mir … Deinem Unterricht dank ich’s, Genius, dass mir’s nicht mehr schwindelt an deinen Tiefen, dass in meine Seele ein Tropfen sich senkt der Wonneruh des Geistes, der auf solch eine Schöpfung herabschauen und gottgleich sprechen kann: Es ist gut!

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Johann Wolfgang von Goethe, geboren am 28. August 1749 in Frankfurt am Main, gestorben am 22. März 1832 in Weimar, Politiker, Minister, Naturforscher, Theaterintendant, gilt als Deutschlands bedeutendster Dichter.

Der behauste Mensch

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