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Geplagte Sklaven der drei M Im Gespräch mit Friedrich Nietzsche

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Herr Professor Nietzsche, eine allzu hohe Meinung haben Sie nicht von den Architekten und Stadtplanern in Ihrer Zeit?!

Nietzsche: Ich gehe durch die neuen Straßen unserer Städte und denke, wie von allen diesen gräulichen Häusern, welche das Geschlecht der öffentlich Meinenden sich erbaut hat, in einem Jahrhundert nichts mehr steht und wie dann auch die Meinungen dieser Häuserbauer umgefallen sein werden. Wir haben uns über unser Dasein vor uns selbst zu verantworten; folglich wollen wir auch die wirklichen Steuermänner dieses Daseins abgeben und nicht zulassen, dass unsere Existenz einer gedankenlosen Zufälligkeit gleiche.

Woran mangelt es?

Nietzsche: Stille und Weite, weit gedehnte Orte zum Nachdenken, Orte mit hochräumigen langen Hallengängen für schlechtes oder allzu sonniges Wetter, wohin kein Geräusch der Wagen und der Ausrufer dringt und wo ein feinerer Anstand selbst dem Priester das laute Beten untersagen würde: Bauwerke und Anlagen, welche als Ganzes die Erhabenheit des Sich-Besinnens und Beiseitegehens ausdrücken.

Ihr Ideal eines Gebäudes?

Nietzsche: An einem griechischen oder christlichen Gebäude bedeutet ursprünglich alles etwas, und zwar in Hinsicht auf eine höhere Ordnung der Dinge: Diese Stimmung einer unausschöpflichen Bedeutsamkeit lag um das Gebäude gleich einem zauberhaften Schleier. Schönheit kam nur nebenbei in das System hinein, ohne die Grundempfindung des Unheimlich-Erhabenen, des durch Götternähe und Magie Geweihten, wesentlich zu beeinträchtigen; Schönheit milderte höchstens das Grauen – aber dieses Grauen war überall die Voraussetzung. – Was ist uns jetzt die Schönheit eines Gebäudes? Dasselbe wie ein schönes Gesicht einer geistlosen Frau: etwas Maskenhaftes.

… das schöne Gesicht einer geistlosen Frau: Kommen wir zu Ihrem Urteil über die Menschen, die in Gebäuden und Städten wohnen und arbeiten?

Nietzsche: Die geplagten Sklaven der drei M, des Moments, der Meinungen und der Moden.

Wie wirkt dieses moderne Sklaventum?

Nietzsche: Die Einzelnen denken mit einer Hast und Ausschließlichkeit an sich, wie noch nie Menschen an sich gedacht haben; sie bauen und pflanzen für ihren Tag, und die Jagd nach Glück wird nie größer sein, als wenn es zwischen heute und morgen erhascht werden muss: weil übermorgen vielleicht überhaupt alle Jagdzeit zu Ende ist.

Das Bild der Jagd: Was oder wer wird gejagt?

Nietzsche: Die gebildeten Stände und Staaten werden von einer großartig verächtlichen Geldwirtschaft fortgerissen. Niemals war die Welt mehr Welt, nie ärmer an Liebe und Güte. Die Gelehrtenstände sind nicht mehr Leuchttürme oder Asyle inmitten aller dieser Unruhe der Verweltlichung; sie selbst werden täglich unruhiger, gedanken- und liebloser.

Ihrer Einschätzung nach hat diese Geldwirtschaft erheblichen Einfluss auch auf die Wirtschaft im Allgemeinen und auf die Kultur.

Nietzsche: Da ist die Selbstsucht der Erwerbenden, welche der Beihilfe der Kultur bedarf und ihr zum Danke dafür wieder hilft, aber dafür freilich zugleich Ziel und Maß vorschreiben möchte. Bildung würde von den Anhängern derselben als die Einzige definiert werden, die der Mann, in Bedürfnissen und deren Befriedung, durch und durch zeitgemäß wird, mit der man aber zugleich am besten über Mittel und Wege gebietet, so leicht wie möglich Geld zu gewinnen.

Etwas präziser bitte: Was konkret heißt das für die Bildung und Ausbildung der Menschen?

Nietzsche: Jede Bildung ist hier verhasst, die über Geld und Erwerb hinaus Ziele steckt, viel Zeit verbraucht. Nach der hier geltenden Sittlichkeit steht gerade das Umgekehrte im Preise, nämlich eine rasche Bildung, um bald ein Geld verdienendes Wesen zu werden, und doch eine so gründliche Bildung, um ein sehr viel Geld verdienendes Wesen werden zu können. Den Menschen wird nur so viel Kultur gestattet, als im Interesse des allgemeinen Erwerbs und des Weltverkehrs ist, aber so viel wird auch von ihm gefordert.

Was ist Ihr Ideal hinsichtlich der Bildungsziele?

Nietzsche: Ein tüchtiger Handwerker oder Gelehrter nimmt sich gut aus, wenn er seinen Stolz bei seiner Kunst hat und genügsam und zufrieden auf das Leben blickt. Nichts hingegen ist jämmerlicher anzuschauen, als wenn ein Schuster oder Schulmeister mit leidender Miene zu verstehen gibt, dass er eigentlich für etwas Besseres geboren ist. Es gibt gar nichts Besseres als das Gute! Das ist: irgendeine Tüchtigkeit haben und aus ihr schaffen, virtù im italienischen Sinne der Renaissance.

Ihr Urteil über Architekten?

Nietzsche: Der Architekt stellt weder einen apollinischen noch einen dionysischen Zustand dar: Hier ist es der große Willensakt, der Wille, der Berge versetzt, der Rausch des großen Willens, der zur Kunst verlangt. Die mächtigsten Menschen haben immer die Architekten inspiriert; der Architekt war stets unter der Suggestion der Macht. Im Bauwerk soll sich der Stolz, der Sieg über die Schwere, der Wille zur Macht versichtbaren; Architektur ist eine Art Macht-Beredsamkeit in Formen, bald überredend, selbst schmeichelnd, bald bloß befehlend. Das höchste Gefühl von Macht und Sicherheit kommt in dem zum Ausdruck, was großen Stil hat.

Herr Nietzsche, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Friedrich Wilhelm Nietzsche, geboren am 15. Oktober 1844 in Röcken bei Lützen, gestorben am 25. August 1900 in Weimar, begraben an der Kirchenmauer in seinem Geburtsort, Philosoph, Dichter, Philologe, Großdenker der ewigen Wiederkehr des Gleichen als Grundlage eines bejahenden Lebensprinzips – den einen geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus, den anderen prophetischer Deuter schlechthin der menschlichen Existenz in unserer Zeit.

Der behauste Mensch

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