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Architektur: Ausdruck der Seele Im Gespräch mit Gerhart Hauptmann
ОглавлениеHerr Hauptmann, Ihr Geleitwort zu Kurt Hielschers »Deutschland. Landschaft und Baukunst« enthält Elementares zu Architektur und Behaustsein des Menschen. Ein Freund amerikanischer Hochhauskonstruktionen waren Sie grundsätzlich nicht.
Hauptmann: Wenn die Eisenkonstruktion des amerikanischen Häuserturms den letzten romanischen, den letzten gotischen, den letzten der alten Renaissancebauten, profan oder sakral, ersetzt haben wird, dann freilich ist alles dahin, was wir heute bewegten Gemütes als Deutschland bezeichnen. Es ist dahin, ohne die leiseste Möglichkeit einer Wiedererneuerung.
Hielschers Fotos evozieren bei Ihnen eine fast schon nostalgisch melancholische Interpretation des Behaustseins.
Hauptmann: Man betrachte also mit Aufmerksamkeit jene Baugebilde, … betrachte sie im Ganzen und Einzelnen, in ihrer nützlichen Zweckhaftigkeit sowohl als in dem, worin sie nur Schönheit zum Zwecke haben. Man betrachte ihre äußere Form, mit der sie Wind und Wetter trotzen, und ihre innere, umfriedete Form: Überall wird man finden, dass sie Ausdruck des menschlichen Wesens, der menschlichen Seele, des menschlichen Schicksals sind. Da aber Ausdruck und Sprache ein und dasselbe ist, wird man sagen, dass diese Gebilde sprechen, dass sie menschliches Wesen, menschliche Seele, menschliches Schicksal auf eine nahezu universelle Weise aussprechen.
Was erfahren wir über den Menschen beim Blick auf diese Bauten?
Hauptmann: Medium des Entstehens dieser Gebilde ist die Kunst. Und auch darum sprechen sie, weil Kunst unter anderem durch und durch Sprache ist. Was aber sprechen sie über das menschliche Wesen, die menschliche Seele, das menschliche Schicksal aus? Sie sprechen aus, wie sich das menschliche Wesen zu gestalten sucht, wie sich die menschliche Seele gegen das Schicksal abzugrenzen, zu sichern und in Sicherheit zu entfalten sucht. Sie sprechen aus, wieweit das Schicksal solche Bestrebungen zuließ oder hinderte.
Konkret heißt das was hinsichtlich des Menschen als behaustem Wesen?
Hauptmann: Es handelt sich hier um die Sprache des menschlichen Kollektivwesens, seiner Kollektivseele und des menschlichen Schicksals überhaupt. Das Individuelle ist dabei nirgends rein herauszulösen, wenn man auch sagen kann, dass es im Innern eines Zimmers mehr als im ganzen Hause, im ganzen Hause mehr als in einer Stadt zum Ausdruck kommt.
Fallen Ihnen dazu konkrete Beispiele ein?
Hauptmann: Man sehe daraufhin das Lutherstübchen auf der Wartburg an oder das Eseltreiberstübchen oder auch Goethes Schlafzimmer. Man könnte weiter fortfahren und feststellen, es komme im Innenraum überhaupt mehr zum Ausdruck als im Außenraum, weil dieser im Wesentlichen Schutz und Hülle ist und das Intimste, Eigenste und Zarteste der Seele es ist, was geschützt und umhüllt werden muss.
Der Architekt als Psychologe?
Hauptmann: Über das Psychische der Architektur wird vielleicht einmal mehr als heute gesprochen werden. Man würde dabei die Beantwortung zweier Grundfragen versuchen müssen: inwieweit Architektur Ausdruck der Seele ist und wieweit sie rückwirkend Seelen beeindruckt und bildet.
Ich danke für das Gespräch.
Gerhart Hauptmann, geboren am 15. November 1862 im schlesischen Kurort Obersalzbrunn, gestorben am 6. Juni 1946 in Agnetendorf (Agnieszków) in Schlesien, war ein deutscher Dramatiker, Schriftsteller, Dichter und Shakespeare-Übersetzer. 1912 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.