Читать книгу der verstellte Ursprung - L. Theodor Donat - Страница 21
Оглавление— der Meister
Einmal musste ich bei unserem Scholastikermeister beichten. Davon wurde im Allgemeinen zwar abgeraten, damit Direktiven bezüglich des äusseren Verhaltens, nicht durch Gewissensgründe beeinflusst würden. Aber ich hatte damals gerade keine andere Möglichkeit. Nach meinem Geständnis sagte er mir, dass er mich nicht zur Erneuerung der Gelübde zulassen könne, wenn ich die Sache mit meiner Sexualität nicht in den Griff bekäme. Mit andern Worten, er würde mich von der Ordensgemeinschaft ausschliessen, die mich vom Ideal her sehr anzog. Ich konnte mir damals gar kein anderes Leben vorstellen. Das war eine Drohung, aber keine Hilfe.
Du hast sicher bemerkt, dass wir immer in den Händen von Meistern waren, nach dem Novizenmeister war es der Scholastikermeister. Der Letztere schien mir keine rechte Ahnung von der Wichtigkeit der Evangelien zu haben. Er beherrschte aber den hl. Thomas und hatte Astronomie studiert, beides machte ihn sehr selbstsicher. Er brauchte eine besondere Diät und beschrieb uns seine delikaten gesundheitlichen Zustände, aber er hat ein biblisches Alter erreicht. Er schien es zu lieben, Ordensschwestern Vorträge zu halten, etwa über die „affabilité“.
Freundlichkeit, Leutseligkeit, d.h. die zu trainierende Fähigkeit – aus hoher theologischer Motivation – den Mitschwestern immer ein lächelndes Gesicht zu präsentieren.
Er redete gern über hochstehende Dinge und gehörte irgendwie zur Aristokratie in den Gefilden der Spiritualität.
Im zweiten Jahr kam ich erstmals in eine Gemeinschaft der Heimat-Provinz. Dort lebte ich ein Jahr lang in einem kleinen Schlafsaal, zusammen mit dem mir weniger sympathischen Mitbruder aus dem Noviziat. Während er sich mit seiner Arbeit für die Abschlussklasse seiner Mittelschule brüstete, ignorierte er meine Rapporte über Experimente im Physik- und Chemielabor der Universität oder meine Übungen in Mathematik. Das alles bedeutete viel Stress. Dabei ist nicht zu vergessen, dass uns ein rigides Reglement den Tagesablauf diktierte. Aufgestanden wurde um 5 h 30; egal ob man bis Mitternacht hatte arbeiten müssen. Übrigens beanspruchten die sogenannten Übungen (PS 2) jeden Tag über zwei Stunden. Übungen: welcher Name für das Aufbauen und das Leben einer Beziehung zu Jesus! Aber es ging ja eigentlich nicht um Jesus, sondern um einen fordernden Gott. Diese Zeit in der Hauskapelle und die Erfordernisse eines gemeinschaftlichen Lebens waren ein reelles Handicap für einen Studenten wie mich. Da ich aus Zeitmangel nicht immer auf dem Laufenden war, frustrierten mich einige Vorlesungen.
Die Vorlesungen in physikalischer Chemie verschlief ich fast gänzlich, da sie von 11 h 15 bis 12 h 00 stattfanden. Der Professor sprach langsam mit monotoner Stimme, der Unterricht war eher auf Nichtmathematiker zugeschnitten. Bei meinem Schlafmanko döste ich bald einmal vor mich hin, in Denkerpose, die Stirne mit der Hand gestützt. Und in den wachen Momenten hatte der Mathematiker dann den Faden verloren!
Frustrierend war überdies die Mentalität des Direktors der Gemeinschaft. Ich glaubte, es sei meine Pflicht, ihn auf Sonntagsspaziergängen zu begleiten. Das Über-Ich, die religiöse Erziehung und die Opfermentalität lassen grüssen. Der Mann trat später aus unserem Orden aus und wurde von Mgr. Levèbre – dem Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X und Idol der Traditionalisten – im Rentenalter zum Priester geweiht. Ein Jahr nach meiner Ankunft eröffnete der besagte Direktor ein Kollegium für Problemkinder, das allerdings nur vier Jahre Bestand hatte. So hatte ich im dritten Jahr nach dem Noviziat einen Teilzeitjob als Mathematiklehrer in kleinen Klassen. Während jener Zeit gab es in der Gemeinschaft einige andere junge Mitbrüder, die an der Uni studierten. Das machte das Gemeinschaftsleben lockererer, ausser bei Tisch, wo vorerst ein gestrenger ehemaliger Vizeprovinzial für Ordnung sorgte!
Während meines Studiums lernte ich einen Mitstudenten aus Vietnam kennen und ass ein paar Mal vietnamesisch. So begegnete ich zum ersten Mal einer andern Kultur. Mein vietnamesischer Freund ist unterdessen Bürger meiner Heimat und Professor an einer Universität.
Mit einem der Mitbrüder machte ich die zweitschönste Klettertour meines Lebens. Nach den Jahren ohne Berge war es wunderbar, wieder Höhenluft zu atmen. Auch die Aufenthalte in unserem Ferienchalet begeisterten mich. Sie wären noch schöner gewesen ohne den sehr speziellen Verantwortlichen, der sehr früh aufstand, aber ebenso früh zu Bett ging und beim leisesten Geräusch erwachte und sein Missfallen kundtat. So war an Ausgang kaum und an lustige Ferien-Abende überhaupt nicht zu denken. Als ob es in den Ferien einen kirchlichen Obern gebraucht hätte. Damals fiel mir das aber nicht auf. Positiv war für mich, dass ich in diesen Studien-Jahren zuerst Vespa, später Auto fahren lernte. Das war möglich, weil einer der Mitstudenten zum Direktor ernannt wurde.