Читать книгу Ullisten Getrillum (3) - Lara Elaina Whitman - Страница 10
Haarsträubender Anflug
ОглавлениеVon all dem hatte Ullisten Getrillum, der immer noch seinen irdischen Decknamen Ramirez Estar benutzte, in den Weiten des kanadischen Nordens kaum etwas mitbekommen. Vielleicht hätte er sich eine neue Identität zulegen sollen, aber die Erfahrung mit dem Mann, der sich "Boss" nannte, reichte ihm eigentlich. Und jetzt war nicht einmal Maria Lautner da, um ihm zu helfen. Die Monate, die er zusammen mit Serge Massin über die Eisstraßen gefahren war, hatten deutliche Spuren bei ihm hinterlassen. Er fühlte sich gehetzt und müde und sehnte sich nach einem Ort, an dem er ein wenig Ruhe finden konnte. Kein Wunder, dass er schon lange nicht mehr auf die täglichen Katastrophenmeldungen achtete, über die die irdischen Nachrichtensender täglich berichteten. Auch auf dem Weg nach Chile war er so mit seiner Flucht beschäftigt gewesen, dass er den Gerüchten über Alienattacken nur mit einem Ohr zugehört hatte, die sich die Matrosen auf dem Frachtschiff erzählt hatten, das ihn nach Antofagasta gebracht hatte. Möglicherweise lag es daran, dass er im Gegensatz zu Menschen keine Probleme mit der Existenz von Außerirdischen hatte und für ihn die Tatsache, dass sich auf der Erde angeblich Aliens herumtrieben keine Sensation war. Natürlich würden die Adschirr´arr nicht einfach aufgeben, schließlich wollten sie das Siegelstück haben und sie wollten ihn finden. Sichtungen blieben da also nicht aus, zumal sich diese räudigen Kanny nicht gerne zurückhielten, was sie aber erstaunlicherweise taten. Irgendetwas musste in der Liga los sein, dass die Adschirr´arr diesen Planeten noch nicht überrannt hatten. Immerhin hatten sie in den ersten fünf Jahren auf frisch entdeckte Sternensysteme umfangreiche Kaperrechte. Zu dumm, dass er seinen Kommandanten, Manri Rubellicum, nicht erreichen konnte. Ullisten Getrillum hing noch eine Weile seinen düsteren Gedanken nach, während er auf das Boarding wartete.
Es war bereits später Nachmittag, als das Shuttle endlich startklar war, das sie zur Orbitalstation SILVERCONDOR bringen sollte. Soweit ihn sein neuer Arbeitgeber Los Morrenos informiert hatte, sollten sie dann von dort in einem anderen Shuttle zum Mond weiterfliegen. Ullisten Getrillum hob den Kopf in den Nacken und starrte angespannt in den langsam dunkler werdenden Himmel hinauf. Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu. Ullisten Getrillum kniff die Augen zusammen. Weit oben am türkisblauen Firmament konnte er einen winzigen Punkt erkennen. Es war die Orbitalstation. Für menschliche Augen war sie ohne Hilfsmittel nicht zu erkennen, aber für seine verbesserten Sehkräfte schon. Er löste den Blick wieder von dem grauglänzenden Fleck, da das nicht viel brachte. Stattdessen suchte er angestrengt die Umgebung nach Verfolgern ab, aber es viel ihm nichts auf. Der Stress der letzten Tage, das Eingesperrtsein auf dem Frachtschiff, die ständige Ungewissheit, ob er seine Jäger hatte abschütteln können, hatte ihn ganz schön geschlaucht. Dazu noch die haarsträubenden Untersuchungen im Firmenlabor, die seine Nerven ebenfalls ziemlich strapaziert hatten. Wenn er richtig darüber nachdachte, dann war er nur noch auf der Flucht gewesen, seit er diesen Planeten betreten hatte. Es wurde Zeit, dass er ein sicheres Versteck fand. Hoffentlich hatte er auf dem Mond seine Ruhe vor seinen Verfolgern.
Einige der wartenden Passagiere eilten an ihm vorbei. Ullisten Getrillum sah ihnen nervös hinterher, entspannte sich aber gleich wieder. Auf der Aussichtsplattform des Zentralgebäudes dieses winzigen Flughafens in der chilenischen Atacamawüste gab es ein einfaches Teleskop, das in einer Ecke montiert war. Die Fluggäste scharten sich aufgeregt um das astronomische Gerät, jeder wollte einmal hindurchsehen. Ullisten Getrillum überlegte kurz, ob er sich der Traube von Menschen anschließen sollte, ließ es aber dann sein. Da nicht alle Menschen danach gierten sich die Raumstation durch ein Teleskop anzuschauen, würde er nicht auffallen, wenn er es bleiben ließ. Neugierig musterte er die Reisenden, die ebenso wie er auf den Abflug des Shuttles warteten. Die meisten waren Arbeiter der Mine, was ihn nicht verwunderte, gehörte der Raumhafen doch Los Morrenos. Aber es gab auch ein paar Geschäftsreisende, Touristen und welche, die aussahen wie Wissenschaftler. Sie alle wollten zur Orbitalstation SILVERCONDOR, die in einer geostationären Umlaufbahn langsam ihre Kreise um die Erde zog. Es gab noch drei weitere Stationen, die sich auf festgeschriebenen Bahnen synchron zueinander im Orbit auf einer Höhe von etwa 300 Kilometern bewegten und den Passagiertransfer für die anderen Kontinente abwickelten. Es gab sogar Querflüge von einer Station zur anderen, was Ullisten Getrillum bei dem technologischen Stand den die Menschheit erreicht hatte für eine erstaunliche Leistung hielt. Dabei bedienten die Orbitalstationen SILVERCONDOR und DIDGERIDOO die südlichen Erdteile, während SPACEGULL und ICECUBE für die nördliche Hemisphäre zuständig waren.
Ullisten Getrillum konnte sich noch gut an die Orbitalstationen erinnern, da er bei seiner Ankunft auf diesem Planeten an ihnen vorbeigeflogen war. Die vier Stationen waren ziemlich bizarre Gebilde und hingen wie große silbrig glänzende Quallentiere vor dem samtschwarzen Hintergrund des Alls. Ihre Sonnensegel, mit denen sie Energie erzeugten, zogen sie hinter sich her wie die giftigen, massenhaft in den irdischen Ozeanen beheimateten Nesseltiere ihre Tentakel. Die Sonnensegel bestanden aus filigranen Netzen, die dem Beschuss der aggressiven Raumstrahlung und winzig kleinen Teilchen aus Staub, menschlichem Abfall und Meteoritenstückchen kaum standhalten konnten. Die Techniker waren ständig damit beschäftigt, die Schäden zu reparieren, primitive krabbelnde Roboter an ihrer Seite, die ihnen einen Teil der lebensgefährlichen Aufgabe abnahmen.
Die Sonne stand schon tief, als sich Ullisten Getrillum zusammen mit den anderen fünfzig Arbeitern vor dem Abflugschalter des Miniraumhafens für das Boarding anstellte. Die anderen Passagiere, kleine sich bewegende schwarze Punkte auf dem rissigen Rollfeld, waren bereits abgefertigt worden und bestiegen gerade das Shuttle. Dieser Raumhafen tief in der Atacama Wüste war eine Farce in seinen Augen. Er war nicht mehr als eine Start- und Landebasis für die regelmäßig verkehrenden Shuttles von und zur Erzmine auf dem Mond und für ein paar wenige Passagiere, die, aus welchen Gründen auch immer, diesen abgelegenen Flughafen benutzten. Die Gesellschaft, für die er in den Eingeweiden des Mondes nach den begehrten Rohstoffen graben sollte, war stolz auf ihre Shuttles. Sie waren angeblich nach den neuesten technischen Erkenntnissen gebaut worden und galten unter den Menschen als die sichersten ihrer Art. Wie mochten dann erst die Shuttles anderer Fluggesellschaften aussehen? Er wollte lieber nicht darüber nachdenken. Wohl war ihm bei der Sache ohnehin nicht, doch er hatte keine andere Wahl.
Ullisten Getrillum hatte vor einigen Stunden zugesehen, wie die Raumfähre schlingernd und holpernd auf der von der glühenden Sonne versengten winzigen Landebahn niedergegangen war. Schon das alleine hatte ein mulmiges Gefühl bei ihm hinterlassen. Er hoffte, dass die Piloten bei ihrem Anflug auf die Station weniger ruppig unterwegs waren. Ullisten Getrillum konnte sich nicht vorstellen, wie die Piloten mit dem Ding ein präzises Andockmanöver durchführen sollten. Zum ersten Mal machte er sich darüber Gedanken, ob das noch manuell passierte oder ob Roboter dieses heikle Manöver übernahmen. Mit einem unguten Gefühl im Bauch erinnerte er sich an seinen ersten Flug mit einer der menschlichen Flugmaschinen von London nach Quebec in Kanada, quer über den dunkelschäumenden Ozean. Eine nervenaufreibende Erfahrung. Der Pilot hatte ziemlich schlechte Sicht und musste sich auf sein Können für die Landung verlassen. Das war wenigstens noch innerhalb der Atmosphäre gewesen. Doch jetzt ging es hinaus in das Nichts, in das Vakuum, fort von dem Planeten, der sie wenigstens mit atembarer Luft versorgte, falls etwas schiefging.
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Ullisten Getrillum das Fluggerät, dessen rot-weiße Lackierung sich von dem dunklen Belag des Rollfeldes abhob und darauf wartete seine menschliche Fracht aufzunehmen. Die Arbeiter in der Reihe vor dem Check-in-Terminal tuschelten aufgeregt miteinander. Viele von ihnen flogen zum ersten Mal ins All.
Endlich war Ullisten Getrillum an der Reihe seinen Chip in das Abfertigungsterminal zu stecken. Hier gab es keine menschlichen Frauen, die freundlich lächelnd diese Aufgabe übernahmen, so wie auf den Flughäfen in London und Kanada. Nur ein seelenloser Automat verlangte nach seinem Flugchip und öffnete dann ohne ein Wort des Abschieds seine Schranke um ihn durch zu lassen. Ullisten Getrillum nahm seinen Chip wieder an sich, der mit einem leisen Klicken in eine Schale auf der anderen Seite des Terminalroboters gefallen war und ging dann hinaus auf das Rollfeld. Ein kalter Wind strich durch seine Haare. Nachts wurde es frostig in der Atacama. Nur der Belag des Rollfeldes schickte noch seine Wärme aus und verhinderte, dass das Thermometer in den Minusbereich sank.
Vor dem Gebäude wartete bereits ein Bus auf die Arbeiter, dessen Türen sich schlossen nachdem der letzte der Männer eingestiegen war. Wehmütig warf Ullisten Getrillum einen Blick zurück auf das Abfertigungsgebäude und die rötliche Landschaft, in die der Raumhafen hineingebaut worden war. Wie gerne wäre er auf der Erde geblieben, hinuntergefahren in den Süden dieses Landes, zum Fischen an einem einsamen Ufer, weit weg von all den Verfolgern, aber es ging nicht. Er konnte sich glücklich schätzen, dass er es bis hierher geschafft hatte. Fast hätten sie ihn erwischt, aber nun war er ihnen erneut entkommen und mit ihm das Geheimnis, wo das Siegelstück versteckt war. Sobald das hier vorbei war, würde er sich zur Ruhe setzen, die UCEG verlassen. Er hatte genug davon den Helden zu spielen und für andere die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Es war Zeit aufzuhören.
Innerlich seufzend betrachtete er das Shuttle, dem sich der Bus in einer großen Schleife über das Rollfeld näherte. Es war größer, als es von der Ferne ausgesehen hatte, einem Flugzeug nicht unähnlich. Aus der Nähe sah es nicht vertrauenerweckender aus, im Gegenteil. Ullisten Getrillum fiel sofort auf wie abgenutzt die äußere Isolierung bereits war. Teile des Hitzeschildes waren notdürftig zusammengeflickt worden. Er konnte der Maschine ansehen, dass die Reibung an der Lufthülle der Erde der äußeren Verkleidung stark zusetzte.
Die anderen Männer waren beim Anblick des Raumshuttles ebenfalls verstummt. Ullisten Getrillum erkannte Angst in den Augen einiger, doch tapfer verließen sie den Bus, nachdem sich die Türen zischend geöffnet hatten. Draußen wehte der kühlende Nachtwind noch ein wenig stärker, die Arbeiter zogen ihre wattierten Jacken um sich zusammen. Manche hatten Probleme mit der dünnen Höhenluft des chilenischen Hochlandes und sahen jetzt schon blass und krank aus. Ullisten Getrillum war sich ziemlich sicher, dass die Sterblichkeitsrate in der Mine hoch war. Einige der Arbeiter hätte er nicht eingestellt, so schwächlich wirkten sie, aber die Gesellschaft nahm offenbar was sie kriegen konnte und das waren wohl eher die Verzweifelten, die auf der Erde kein Auskommen fanden. Ullisten Getrillum betrachtete verstohlen die Männer, so wie sie ihn ihrerseits musterten. Er überragte viele von ihnen um Haupteslänge, aber es gab auch noch andere, die groß und stark waren. Ihre Hände zeugten von harter Arbeit und ihre Gesichter von einem harten Leben. Die meisten schienen schweigsame Kerle zu sein, denen die Hoffnung im Gesicht stand mit ein paar Monaten Schufterei in der Erzmine einen guten Gewinn zu machen.
Eine Rampe wurde herangefahren, der Eingang in den Bauch des Raumshuttles öffnete sich zischend. Dieses Mal gab es eine Stewardess, die freundlich lächelnd auf die Rampe hinaustrat und winkte. Die Männer stiegen die steile Treppe hinauf und folgten der jungen Frau, die sie mit ein paar resoluten Worten in ihre Kabinen schob, ihnen die Gurte und Haftsohlen zeigte und wie sie sie anlegen sollten und dann die Glastüren verschloss. Sie lief noch einmal durch die Reihen, bis auch der letzte der Arbeiter ihren Anweisungen nachgekommen war, dann verschwand sie im vorderen Teil des Shuttles, das mit einer hermetisch verschließbaren Tür von den Passagierkabinen getrennt war. Der Pilot des Shuttles meldete sich und gab seinen Fluggästen einen kurzen Überblick über das Wetter und die Flugzeit. Ullisten Getrillum lächelte über diese Marotte, aber er musste zugeben, dass es tatsächlich ein wenig beruhigte und die Angst vor dem Flug dämpfte.
Das Licht wurde gedimmt, die kleinen Passagierkabinen versiegelten sich automatisch, die Klimaanlage surrte leise, während sie anfing Sauerstoff zu produzieren. Langsam glitt das Shuttle die Rollbahn entlang. Ein leises Wummern durchdrang die Kabine. »Elektroantrieb gekoppelt mit Brennstoffmotoren«, dachte Ullisten Getrillum. »So erzeugen Sie also genug Schubkraft, um die Erdanziehung zu überwinden.« Ullisten Getrillum konnte fühlen, wie die Raumfähre von der Landebahn abhob und in einem flachen Winkel nach oben zog, der immer steiler wurde je höher sie kamen. Der Innendruck stieg merklich an, als der letzte Schub aus den Antriebsaggregaten kam. Es war ziemlich unangenehm. Noch nie hatte er bei einer privaten Flugmaschine solche Druckverhältnisse aushalten müssen. Das war wirklich primitiv und gefährlich für untrainierte oder alte Menschen. Nach wenigen Minuten stießen sie durch die oberen Luftschichten der Erdatmosphäre. Der Druck ließ nach, ebenso wie die Schwerkraft. Sein Magen hob sich leicht, als die Schwerelosigkeit nach ihm griff, auch wenn ihn seine Magnetsohlen unter den Schuhen am Boden festhielten. Ullisten Getrillum sah sich die Männer an, die rechts und links neben ihm in den Kabinen immer noch nach Luft rangen. Sie schienen es erstaunlicherweise ohne Blessuren ausgehalten zu haben. Mit der Schwerelosigkeit war leichter fertig zu werden, auch wenn empfindliche Mägen dazu neigten, ihren Inhalt wieder herzugeben. Zum Glück waren die Männer rechts und links von ihm mit weniger empfindlichen Verdauungsorganen ausgestattet.
Der Pilot gab ein paar Anweisungen durch und sagte noch etwas dazu wie lange sie brauchen würden, bis das Andockmanöver begann. Der Bildschirm in der Kabinentür flammte auf, zeigte die üblichen Bilder der Erde, die von Außenkameras übertragen wurden und ein Wahlmenü, mit dem der Sender eingestellt werden konnte. Ullisten Getrillum hatte keine Lust auf einen der Videofilme aus dem Bordarchiv, stattdessen lehnte er sich zurück und versuchte sich zu entspannen. Es würde fast zwei geschlagene Stunden dauern, bis sie diese fliegende Plastikschachtel wieder verlassen konnten, obwohl der Flug vom Erdboden bis zur Orbitalstation eigentlich nur ein Katzensprung war. Ullisten Getrillum schloss die Augen und schlief ein.
Ein leiser Signalton riss ihn aus seinen Träumen. Das Licht wurde gerade wieder abgedunkelt. Die Außenkameras blendeten auf dem Bildschirm die Orbitalstation ein, die wie in Zeitlupe näherkam. Es war ein unwirklich anmutendes Bild. Der Kopf der metallenen Meduse leuchtete in einem weißlichen Licht. Die Andockrampen befanden sich weit weg von den bewohnbaren Teilen. Interessiert betrachtete Ullisten Getrillum die langen, in viele Segmente eingeteilten Tunnel, die von den Andockbereichen zum Hauptsegment führten. Offenbar hatten die Menschen vorgesorgt, falls etwas beim Ankoppeln falsch lief. Das Kopplungsmanöver wurde minutiös übertragen, so dass die Passagiere in dem Shuttle alles detailgetreu verfolgen konnten. Ullisten Getrillum sah neugierig zu. Offenbar setzten die Menschen dafür doch Roboter ein. Das beruhigte ihn ein wenig, war doch die menschliche Reaktionsfähigkeit in seinen Augen mehr als mangelhaft. Der Pilot meldete sich und erklärte in kurzen Worten die Verhaltensregeln im Falle eines Druckabfalles oder Schlimmerem. Ullisten Getrillum warf einen Blick auf seine Nachbarn, die sich wieder einmal nicht im Mindesten für die Informationen zu interessieren schienen. Das passte in das Bild, das er von den Menschen hatte. Das was sie nicht unmittelbar persönlich betraf, blendeten sie einfach aus.
Eine Stunde später gingen endlich die Lichter wieder an und die Kabinen öffneten sich zischend. Unruhiges Tuscheln und Scharren erfüllte schlagartig die abgestandene Luft in dem Shuttle. Die Flugbegleiterinnen ermahnten einige Passagiere in ihren Kabinen zu bleiben und sich ruhig zu verhalten, bis der Druckausgleich zwischen Shuttle und Tunnel hergestellt war.
Ullisten Getrillum warf einen Blick in die Gesichter der Menschen in seiner unmittelbaren Nähe. Sie sahen erschöpft aus. Der Flug hatte sie mitgenommen. Ein unangenehmer Geruch nach Erbrochenem breitete sich kurz in der Atemluft aus, wurde aber rasch von der Anlage abgezogen. Einige der Männer waren ziemlich blass und schienen Schwierigkeiten mit dem Andruck gehabt zu haben, den sie hatten ertragen müssen, um überhaupt hierher zu kommen. Ullisten Getrillum wunderte sich erneut, dass die Menschen das so erstaunlich gut aushalten konnten, so verletzlich und wenig robust wie sie waren. Aber diese Spezies schien ihre Verletzlichkeit mit Zähigkeit, Ignoranz, unausradierbarer Neugier und Ichbezogenheit auszugleichen und die unmöglichsten Dinge klaglos zu ertragen, meistens jedenfalls.
Ein paar Gegenstände schwebten im Shuttle herum, die die Stewardessen rasch einfingen damit sich niemand verletzte. Ullisten Getrillum war dankbar für die Spezialschuhe, die sie noch auf der Erde von ihrem neuen Arbeitgeber erhalten hatten und die ihn auf dem Boden des Shuttles festhielten. Eigentlich war es Vorschrift sie vor dem Flug anzuziehen, aber einige der Männer hatten es offenbar nicht für nötig befunden, den Anweisungen nachzukommen. Ein paar Meter vor ihm schwebten zwei der Männer ziemlich hilflos rudernd in der Luft und wurden unter lauten Flüchen und Knuffen von anderen eingefangen und zurück in die Kabinen gedrängt, wo sie auf die Stewardess warten mussten, die ihnen mit verkniffener Miene Haftsohlen brachte.
Der Ausstieg aus dem Shuttle war eine geduldfordernde Angelegenheit. Die Flugbegleiterinnen sorgten dafür, dass keiner drängelte und sich an die Reihenfolge hielt. Ullisten Getrillum fragte sich, ob sie die Röhre zu den Hauptdecks zu Fuß bewältigen mussten und war überrascht ein Transportsystem vorzufinden, das ihn entfernt an einen Skilift erinnerte. Paarweise wurden sie auf ziemlich unbequeme Sitze verfrachtet, die in regelmäßigen Abständen aus der Decke herunterfielen, um dann in beachtlichem Tempo die mehrere Hundert Meter lange Röhre zu durchqueren. Ullisten Getrillum war bei den letzten, die das Shuttle verlassen konnten und hätte bei dem halsbrecherischen Flug in diesem wackeligen Ding fast die Augen geschlossen, um nicht hinsehen zu müssen. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis sie wieder aussteigen konnten.
In der Ankunftshalle drängten sich die Passagiere bereits in einem unordentlichen Klumpen vor der Schleusentüre zur Abfertigungshalle für den Mondtransit. Akribisch musterte Ullisten Getrillum die Reisenden, die auf den unbequemen Plastiksitzen saßen, gelangweilt in ihren elektronischen Geräten lasen oder trübe vor sich hinstarrten. Die meisten waren Arbeiter und ein paar Wissenschaftler, die zu einer der wenigen Forschungsstationen auf dem Mond unterwegs waren. Ein paar jedoch sahen anders aus und wirkten irgendwie verloren. Touristen vermutete Ullisten Getrillum. Er schob sich zwischen den Arbeitern hindurch und suchte sich einen Sitzplatz am Rande der Halle. Bis zum Abflug zum Mond dauerte es noch eine gute Stunde, die sie hier verbringen mussten, das hatte jedenfalls der Pilot vorhin gesagt.
Niemals hätte Ullisten Getrillum es sich träumen lassen, dass er jemals eines dieser Dinger betreten sollte. Die Menschen waren stolz auf ihre modernen Raumstationen, über die der gesamte Transatlantische und Transpazifische Verkehr lief und von der aus eine Linie zur Mondstation weiterflog, selbstverständlich nur für ausgewählte Kunden, Wissenschaftler diverser Institute und für die Männer der Erzmine Montes Taurus. Die Luft war abgestanden und schmeckte leicht chemisch, es gab eine Roboterstation, die auf Knopfdruck Getränke servierte und eine Mediawand, die Bilder von der Erde übertrug, Nachrichten im Viertelstundentakt und die alles beherrschende Werbung dazwischengeschaltet. Ein primitiver Ort, nicht zu vergleichen mit den großen Raumhäfen der Liga, die sich rund um die METs ausdehnten, den Sprungpunkten, die in jeden zivilisierten Winkel der Ligawelten führten. Er war lange nicht mehr in einer der Himmelsstädte gewesen, mit ihren Parks und Gartenanlagen, Geschäfts- und Wohnbezirken und ihren Slums, die es leider auch gab, den Bordellen und dunklen Vierteln, voller Verbrechen und Armut. Er vermisste diese glitzernden, überbordenden Welten und ihre Möglichkeiten sich zu vergnügen, zu arbeiten, zu lachen, zu weinen, zu leben und zu sterben, ohne jemals einen Fuß auf einen Planeten setzen zu müssen, wenn man das nicht wollte. Dieses Ding hier jedoch fand er ziemlich beängstigend. So musste es vor vielen Tausenden von Jahren, zu den Anfängen der Raumfahrt auf seiner Heimatwelt Buri Natal, auch gewesen sein. Sein Respekt vor der Leistung seiner Vorfahren stieg. Jetzt konnte er das, was sie ausgehalten hatten, am eigenen Leib erfahren und er hätte gerne darauf verzichtet.