Читать книгу Ullisten Getrillum (3) - Lara Elaina Whitman - Страница 15
Keine Chance zu entkommen
ОглавлениеDas Computerspiel hatte Ullisten Getrillum ausnehmend gut gefallen. Es war gar nicht so einfach gewesen, die Punkte zusammenzubekommen um den nächsten Level zu erreichen. Ullisten Getrillum warf einen Blick auf die in der Medienwand integrierte Uhr. Zeit zum Abendessen zu gehen.
Die Kantine befand sich auf Ebene 6 und bestand im Grunde genommen nur aus einer ziemlich großen Halle, angefüllt mit Reihen aus Bänken und einfachen Tischen aus Metall. In der Stirnseite des rechteckigen Raumes war die Essensausgabe integriert. An fünf Automaten konnten die Arbeiter ihre Ration abholen. Bedienungspersonal gab es nicht. Der gesamte Kantinenbetrieb lief vollautomatisch ab.
Ullisten Getrillum blickte sich prüfend um. Erstaunlicherweise war er einer der ersten, was ihm gar nicht behagte, versteckte er sich doch lieber in der Menge. Überall in dem Raum waren Kameras installiert, die ihre spionierenden Augen über die Arbeiter schweifen ließen. Ein untrügliches Zeichen, dass die Betreiber der Erzmine ein reges Interesse an den Privatgesprächen der Leute hatten. Hinter Ullisten Getrillum, der noch immer unschlüssig im Eingangsbereich herumstand, drängte eine größere Gruppe Arbeiter heran. Sie sahen müde und abgearbeitet aus. Einige hatten einen ziemlich unruhigen Blick, ihre Augen huschten nervös herum und schienen auf nichts richtig verweilen zu können.
»Drogensüchtige?«, fragte sich Ullisten Getrillum angewidert. Ullisten Getrillum ließ die Gruppe vorbei, die ihn argwöhnisch beäugte und folgte ihnen dann mit etwas Abstand. Immerhin hatte er keine Ahnung, wie das hier funktionierte. Nachdem er gesehen hatte, dass er nur die Plastikkarte vor das Lesegerät halten musste, mit der er sich identifizieren musste solange er in der Erzmine war, rief er sein Essen ab. Jetzt war er froh, dass er seine Rationen bereits im Voraus bestellt hatte. Ullisten Getrillum nahm das Tablett aus der Verteilstation und schlängelte sich durch die Tischreihen um sich zu den Arbeitern zu setzen, natürlich mit etwas Abstand. Er konnte sehen, dass es der Gruppe nicht recht war. Das erstaunte ihn, waren sie doch alle gleich. Er ignorierte die abweisenden Blicke, denn er wollte nicht ganz alleine an einem der freien Tische sitzen. Außerdem füllte sich nun die Halle erstaunlich schnell mit müde aussehenden Menschen und dann würden sich sowieso noch weitere zu ihnen an den langen Tisch setzen. Und so war es dann auch. Weitere Arbeiter gesellten sich zu ihnen, warfen Ullisten Getrillum einen neugierigen Blick zu und stürzten sich dann schweigend auf ihre Essensration, nachdem sie ihn wohl für harmlos befunden hatten.
»Wovor haben die Angst?«, überlegte Ullisten Getrillum stumm, während er mechanisch kaute. Das Steak schmeckte ein wenig wie Gummi, der Salat war zwar frisch, aber fade, nur die Nachspeise, ein Pudding, war einigermaßen schmackhaft. Wenigstens war das Essen essbar, nicht gut, aber essbar. Wo die wohl auf dem Mond das frische Gemüse anbauten?
Nach einer Weile begannen sich die Männer zu unterhalten. Meistens sprachen sie über ihren harten Alltag, über das politische Weltgeschehen und über die viel zu wenigen und noch dazu ziemlich wählerischen Nutten, die es auf der Mondstation gab. Offenbar wurde nicht jeder von den Damen als Kunde angenommen. Manche unterhielten sich über ihren kommenden Urlaub, aber es waren alles unverfängliche Themen. Keiner beschwerte sich über Missstände in der Erzmine oder ungerechte Behandlung. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er hier saß und sie ihn nicht kannten. Die Männer waren jedenfalls sehr misstrauisch und auf der Hut. Hier würde er heute nichts erfahren, dabei brannte wie ein glühendes Eisen in ihm die Frage ob die Arbeiter die Möglichkeit hatten hinaus auf die Mondoberfläche zu gehen. Er nahm sein Tablett und stand leicht schwankend auf. Das Essen hatte ihn satt gemacht und ein wenig müde, was er mit Erstaunen registrierte, konnte das doch gar nicht sein. Was gäbe er dafür, eine Blutprobe von sich analysieren zu können. Er fühlte sich so als hätte ihm jemand ein leichtes Schlafmittel in das Essen gemischt. War es möglich, dass die Minenbetreiber ihre Arbeiter außerhalb der Schichten ruhigstellten? Unschlüssig stand er da, das Tablett zwischen den Händen. Ein schrilles Signal riss ihn aus seiner Lethargie. Die Arbeiter um ihn herum machten erschrockene Gesichter, rührten sich aber nicht von ihren Plätzen.
»Setz dich endlich wieder hin!«, sagte sein Tischnachbar zu ihm und zog ihn am Arm zurück auf die Bank.
»Was ist passiert?«, fragte Ullisten Getrillum und versuchte die Benommenheit abzuschütteln.
»Kohlenmonoxidalarm!«, presste der Mann neben ihm heraus.
Ungläubig betrachtete Ullisten Getrillum die Männer an seinem Tisch. Sie blickten nur stumm vor sich hin, atmeten nur noch flach, so als ob das helfen würde. Ein paar Tische weiter kippten ein paar von den Bänken. Die anderen zerrten sie hoch während wie in einer einzigen riesigen Welle, die von hinten nach vorne durch die Halle schwappte, alle Mann auf die Tische stiegen. Da Kohlenmonoxid schwerer war als Luft und infolgedessen auf den Boden absank, versuchten sie so dem tödlichen Gas zu entgehen. Ullisten Getrillum machte es ihnen nach. Die Metalltische ächzten unter dem Gewicht der Arbeiter. Ein saugendes Geräusch fegte über den Boden der Halle, das in ein grässliches Gurgeln und Schlürfen überging, während von der Decke, aus unsichtbaren Düsen, Sauerstoff in die Halle geblasen wurde.
»Bei den Feuern von Algol! Das ist ja noch primitiver, als ich angenommen habe!«, dachte Ullisten Getrillum schockiert.
Ein dunkler langanhaltender Ton ließ Erleichterung in die Gesichter der Männer treten. Misstrauisch stiegen sie von den Tischen herunter und setzten sich wieder. Die meisten aßen einfach weiter, so als wäre nichts gewesen, doch einige waren kreidebleich im Gesicht. Ullisten Getrillum vermutete, dass das die Neuankömmlinge waren.
»Kommt das öfter vor?«, fragte er den Arbeiter neben sich.
»Manchmal, nicht oft«, bekam er eine unwirsche Antwort.
Ullisten Getrillum fragte nicht weiter. Der Mann wollte ganz offensichtlich nicht darüber sprechen. Mit einem kurzen Gruß nahm er sein Tablett und ging. Wenn die alle so auskunftsfreudig waren, dann würde er seine Fragen niemals loswerden. Seine Benommenheit war wieder verschwunden. Wenigstens wusste er nun, dass das Essen in Ordnung war. Vielleicht sollte er doch noch einmal in die Bar gehen. Der Barkeeper wusste möglicherweise mehr darüber.
Die Bar war proppenvoll, Jo der Barmann hatte alle Hände voll zu tun und deshalb bestimmt keine Zeit seine Fragen zu beantworten. Missmutig sah Ullisten Getrillum sich um und überlegte ob er einfach wieder gehen sollte. Noch bevor er sich umdrehen konnte, um die Bar wieder zu verlassen, legte sich eine schmale Hand sachte auf seinen Arm. Ullisten Getrillum fuhr herum, rempelte dabei ein paar Arbeiter an, die ihn böse anknurrten. Er ignorierte sie, blickte stattdessen in das Gesicht der Frau, die er gestern bereits hier gesehen hatte. Sie lächelte zaghaft.
»Habe ich dich erschreckt?«, säuselte sie und legte den Kopf schräg.
»Möglicherweise«, antwortete Ullisten Getrillum in neutralem Tonfall.
Sie lächelte noch einmal, dieses Mal mutiger. »Du gefällst mir! Wie heißt du?«
Ullisten Getrillum zog die Augenbrauen hoch. Es schien so, als wäre ihm soeben die Gunst einer der hiesigen Prostituierten gewährt worden. Immerhin roch sie gut und schien keine Drogen zu nehmen. Alles in allem war sie ganz annehmbar, üppig ausgestattet, kein schönes Gesicht, aber gepflegt. Sie ließ es sich ungeniert gefallen, dass er sie von Kopf bis Fuß musterte. Langsam sollte er wohl etwas von sich geben, wollte er nicht als Volltrottel dastehen, deshalb sagte er, »Ramirez und du?«
»Janice«, antwortete sie und strich mit einem Finger seine breite Brust entlang, während sie ihm von unten einen verheißungsvollen Blick aus ihren blauen Augen zuwarf, die mit falschen Wimpern geschmückt waren.
Ullisten Getrillum schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Im Augenblick war ihm nicht nach Sex, auch wenn es schon eine Ewigkeit her war, dass er bei einem weiblichen Wesen gelegen hatte. Allerdings, wenn es wirklich so war, dass die Damen des Gewerbes ihre Gunst nicht jedem schenkten, dann sollte er sie wohl nicht verprellen. Natürlich war er sich nicht sicher, ob er anatomisch dazu in der Lage war, schließlich war er kein Mensch. Äußerlich waren die Unterschiede nicht besonders groß, aber er war sich nicht sicher, dass er wirklich genauso funktionierte wie ein Menschenmann. Er musste es wohl oder übel darauf ankommen lassen. Immerhin konnte er seine Deformation auf die Nachwirkungen der radioaktiven Strahlung auf der Erde schieben. »Möchtest du etwas trinken, Janice?«, fragte er sie deshalb freundlich.
Sie zog einen Schmollmund und klimperte mit den falschen Wimpern, bevor sie antwortete, »ein Wasser wäre nett.«
Das war ein gutes Zeichen. Er hasste betrunkene Prostituierte. Mit einem Wink gab er Jo ein Zeichen und bestellte zwei Wasser. Zum Glück waren die zwei Getränke günstiger, als der Kaffee. Janice nippte lasziv an dem Wasser, so als wäre es Champagner und betrachtete ihn neugierig.
»Willst du nicht mit mir woanders hingehen? Hier ist es so laut!«, fragte sie ihn, während sie näher an ihn heranrückte.
Die Dame war ganz schön aufdringlich. Ullisten Getrillum überlegte angespannt, wie er aus der Geschichte mit Anstand herauskam, aber es fiel ihm nichts ein. Es blieb ihm also nichts Anderes übrig, als ihr zu antworten. »Ich fürchte hier gibt es nichts, wo es etwas ruhiger wäre.«
»Wir könnten auf dein Zimmer gehen!«, sagte sie mit samtener Stimme und rieb eines ihrer Beine an ihm wie eine rollige Katze.
»Das würde ich gerne, aber morgen ist mein erster Arbeitstag«, antwortete Ullisten Getrillum ungerührt.
»Oh, so schwächlich? Du siehst gar nicht so aus, als würdest du nicht einmal eine halbe Stunde durchhalten«, provozierte sie ihn.
Die umstehenden Männer, die erwartungsvoll gelauscht hatten, lachten grölend. Ullisten Getrillum ließ sich seine Verärgerung nicht anmerken. Offenbar war es ein Vergehen, die Gunst von Janice zurückzuweisen, deshalb trank er sein Glas aus und nahm sie um die Hüften. »Na, dann suchen wir uns ein stilleres Örtchen, dann beweise ich dir das Gegenteil«, sagte er scherzend, obwohl er dazu tatsächlich überhaupt keine Lust hatte.
Eine Stunde später lag er dennoch zufrieden auf seinem Bett und Janice zog ihre spärliche Kleidung wieder an, nachdem sie geduscht hatte. Sie verstand ihr Handwerk, das musste er ihr lassen.
»Kann ich dich etwas fragen, Janice?«, sagte er, während er sie verstohlen beobachtete.
»Frag nur, mein Süßer.« Sie blickte erwartungsvoll auf ihn herunter, nachdem sie ihre hochhackigen Schuhe angezogen hatte und nun ihren Rock vom einzigen Stuhl im Zimmer pflückte. Sie hatte prächtige kraftvolle Schenkel und samtene Haut.
»Warst du schon einmal draußen auf der Mondoberfläche?« Gespannt wartete er auf ihre Antwort.
Erstaunt zog sie die Augenbrauen hoch. »Draußen? Im Vakuum?«
Ullisten Getrillum nickte stumm, aber sie schüttelte vehement den Kopf.
»Reizt es dich denn nicht, auf dem Mond spazieren zu gehen?«, Ullisten Getrillum setzte sich auf und lehnte sich an die Wand am Kopfende des Bettes.
»Nein, auf keinen Fall. Viel zu gefährlich. Außerdem gibt es keine Raumanzüge für Meinesgleichen. Nur die Wartungstrupps haben welche. Und du brauchst eine besondere Ausbildung dafür, sonst kommst du gar nicht durch die Schleuse hinaus.« Sie betrachtete ihn neugierig. »Was willst du denn dort draußen?«
»Ich weiß nicht. Ich finde es einfach spannend. Wer kann schon von sich behaupten, auf dem Mond spazieren gegangen zu sein.« Ullisten Getrillum grinste breit. Das war zwar eine ziemlich einfältige Erklärung, aber er konnte ihr schlecht die Wahrheit sagen.
Sie lächelte verständnisvoll. »Du bist nicht der einzige der sich das wünscht, aber es geht leider nicht. Vielleicht eines Tages.«
»Da hast du bestimmt recht. Ach, heute war ein Alarm, ich war gerade in der Kantine. Gibt es diese Alarme öfters?«, wechselte er das Thema, trat aber damit gleich in das nächste Fettnäpfchen.
Mit besorgter Mine sah sie ihn an. »Du solltest dir nicht so viele Gedanken darüber machen.« Sie stand auf. »Ich muss gehen!«
»Du hast Recht. Ich werde mich daran gewöhnen. Es war schön mit dir«, sagte er beschwichtigend. Er musste vorsichtiger mit seinen Fragen sein, denn er konnte es sich nicht leisten aufzufallen. Neugierde war hier offenbar nicht erwünscht, so wie die Leute reagierten.
Janice White gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange und ging. Enttäuscht starrte er eine Weile an die Decke seines kleinen Zimmers. War er nun wirklich in diesem Drecksloch eingesperrt, ohne Möglichkeit hinauszukommen? Es war doch nur ein Katzensprung hinüber in den Gassendi-Krater. Das mussten doch auch die Menschen bewerkstelligen können. Dunkel schwante ihm, dass es egal war, ob sich sein Raumkreuzer auf der Mondoberfläche in wenigen Metern Entfernung oder irgendwo in der Andromedagalaxie befand, denn die menschlichen Hilfsmittel schienen für ihn unerreichbar zu sein. Grübelnd zog er die Decke hoch und beschloss erst einmal zu schlafen. Morgen war sein erster Tag und außerdem sollte er nicht zu früh aufgeben.