Читать книгу Ullisten Getrillum (3) - Lara Elaina Whitman - Страница 14

Puerto Montt

Оглавление

Esmeralda Parador dachte wieder einmal über die Ereignisse nach, die sie hierher nach Chile verschlagen hatten. Seit sie in diesem Land angekommen war fühlte sie sich erstaunlich frei. Drei Monate war sie nun schon in Puerto Montt. Sie erinnerte sich gerne an die Fahrt erst mit dem Zug und dann mit dem Überlandbus. Die Strecke von Temuco über Osorno durch die "chilenische Schweiz" genannte Gegend hinunter in den Süden von Chile war wunderschön gewesen, zumal damals der Sommer gerade erst angefangen hatte. Die Zeit war wie im Flug vergangen und der sechswöchige Intensivkurs in Chilenisch hatte sie anfangs ziemlich geschlaucht. Doch nach einiger Zeit sprang sozusagen der Knopf auf und von da an ging es immer besser. Mittlerweile verstand sie die meisten Menschen ohne Probleme und sprach selbst schon sehr flüssig und fast akzentfrei. Natürlich reichte es noch nicht, um über schöngeistige Literatur zu diskutieren oder sich in gehobenen Kreisen zu bewegen, aber das würde sicher auch nicht mehr lange dauern, zumal sie viel las. Seit ein paar Wochen arbeitete sie sogar für ein regionales Reisebüro das Motorradtrekkingtouren in der Carretera Austral veranstaltete. Die Gäste, die kamen, waren gut betucht, da die Anreise ziemlich viele ECOS kostete und auch sonst nicht billig war, jedenfalls für einen Normalverdiener nicht zu bezahlen. Manchmal brachte ihr das sogar ein ordentliches Trinkgeld ein. Sie fuhr den Bus, der die Touristen die ziemlich anspruchsvolle Strecke von Puerto Montt bis hinunter zu dem kleinen Ort Villa O´Higgins begleitete. Dafür brauchte sie keine hochgeistigen Gespräche zu führen, da das niemand von ihr erwartete. Sie musste nur in der Lage sein, ab und zu einen Defekt am Bus oder an den Motorrädern zu beseitigen und das war sie. Natürlich hätte sie nicht arbeiten müssen. Schließlich hatte sie einen regelmäßigen Zahlungseingang aus einem Pensionsfond, von dem sie wusste, dass er der Organisation des Erzbischofs gehörte. Zusätzlich bekam sie Geld von einer staatlichen Stelle aus den USA. Offenbar tarnte die CIA sich ebenfalls, wenn sie ihre aktiven Mitarbeiter bezahlte. Es wunderte sie zwar, dass sie bereits Gehalt erhielt, da sie sich noch gar nicht bei ihrem Kontaktmann gemeldet hatte, aber vermutlich hatte das der Erzbischof für sie geregelt. So viel finanzielle Mittel hatte sie noch nie in ihrem Leben zur Verfügung gehabt und das meiste davon schob sie auf ein Sparkonto, weil sie es nicht brauchte. Trotzdem war es unauffälliger wenn sie so tat, als müsste sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Dass sie den Job in dem Reisebüro gefunden hatte, freute sie. Es fühlte sich für sie an wie ein richtiges Leben. Es machte Spaß und sie konnte die Gegend kennenlernen. Die Architektur der kleinen Städte um Puerto Montt herum erinnerte sie an Europa. Wären da nicht die schneebedeckten Vulkane und die fremdartigen Bäume gewesen, hätte sie tatsächlich das Gefühl gehabt in der Schweiz oder in Österreich zu sein. Kein Wunder, dass der Volksmund die Gegend mit der Schweiz verglich. Auch die Namen der Einwohner zeugten vom europäischen Erbe. Mittlerweile fühlte sie sich pudelwohl in Chile. Selbst ihr Heimweh nach Armenien hielt sich in Grenzen und an Ramirez Estar und all die anderen Ereignisse dachte sie auch kaum noch. Sie hatte nicht einmal Zeitung gelesen, nur Romane auf chilenisch in denen es um nichts weiter ging, als um Liebe und Leidenschaft. Mord- und Spionagegeschichten mied sie. Davon hatte Esmeralda Parador in ihrem Leben weiß Gott schon genug gehabt. Die nächsten drei Monate, die ihr noch blieben, würde sie genießen, bevor sie sich dem eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit in Chile widmen musste.

Sie seufzte leise und dehnte sich entspannt. Esmeralda Parador saß auf dem winzigen Balkon ihres Appartements und beobachtete die Menschen, die unten auf der Straße vorbeiflanierten. Es war Sonntag und ganz Puerto Montt schien bei dem außergewöhnlich schönen Wetter auf den Beinen zu sein. Ihr Appartement im 3. Stock bestand nur aus einem Wohnraum, einem winzigen Badezimmer und einem kleinen Flur, in den in einer Nische sogar eine richtige Küchenzeile eingebaut worden war. Obwohl das Appartementhaus eine Zentralkantine besaß, in der sie dreimal täglich hätte essen können, kochte sie oft selbst. Die Wohnung war zwar klein, aber zentral gelegen, was die Größe wieder aufwog. Sie brauchte kein eigenes Auto, um irgendwo hinzukommen. Das Appartementhaus lag fast am Anfang der Straße Miraflores, ganz in der Nähe des alten Hafengebietes Angelmó und nur einen Steinwurf vom Meer entfernt. Am Caleta Angelmó befand sich auch das Reisebüro, für das sie arbeitete. Täglich fuhren hier die Fährschiffe ab, hinüber zur Isla Tenglo oder hinunter in die Carretera Austral, um die Dörfer mit Waren zu versorgen, da sie nicht auf dem Land transportiert werden konnten.

Der Geruch nach Curanto, einem Meeresfrüchte-Speck-Gericht, zog ihr in die Nase. Vielleicht sollte sie hinuntergehen ins Hafenviertel. In einem der zahlreichen Marisquerías, dem Äquivalent Puerto Monttscher Essbuden im Fischmarkt von Angelmó, wurde mit Leidenschaft Curanto gekocht. Sie aß das wahnsinnig gerne. Danach könnte sie noch in einem der Kioske in der Feria Artesanal einen neuen Pullover von der Isla de Chiloé erstehen. Ihrer war durch die zahlreichen Wanderungen, die sie in den letzten Wochen gemacht hatte, ziemlich strapaziert. Sie mochte die warmen wasserabweisenden handgestrickten Pullover aus der Wolle des Corriedale Schafes, das hier im Süden von Chile, in Patagonien, schon seit vielen Jahrzehnten gezüchtet wurde. Die besten Pullover wurden ihrer Meinung nach von den Frauen aus Ancud, einem kleinen Ort auf der Isla de Chiloé, gefertigt.

Kurzentschlossen stand sie auf, griff sich ihre Handtasche und verließ das Appartement. Es war ein schöner sonniger Tag. Das Thermometer kletterte sogar auf über 20º Celsius. Der Osorno, der im Hintergrund des Häusermeeres seine weißüberzuckerte Spitze in die Höhe reckte, funkelte und glitzerte in den wärmenden Strahlen. Der Osorno war nicht der einzige Vulkan in der Gegend. Puerto Montt wurde praktisch von ihnen umzingelt, denn etwa dreißig Kilometer östlich befand sich der Vulkan Calbuco. Er war sehr aktiv. In den letzten Tagen hatte es sogar Rauchwolken gegeben, die aus seiner über 2000 Meter hohen Spitze herauspafften wie aus einer Dampflokomotive.

Nach ein paar Minuten war sie in dem angesagten Viertel und schlenderte zu ihrer bevorzugten Essbude am Ende des Marktes. Das Minirestaurant hatte nur zwei Tische die schon ein wenig abgewetzt aussahen, mit jeweils vier Stühlen darum herum, deren Zustand nicht besser war. Der erste Tisch war besetzt, aber am anderen war noch ein Stuhl frei. Es war völlig normal, sich einfach zu anderen Gästen dazu zu setzen. Esmeralda Parador bestellte ein Curanto und ein Glas Wasser. Verstohlen musterte sie die Besucher des Lokales. Am anderen Tisch saß eine chilenische Familie und unterhielt sich lautstark gestikulierend, während an ihrem Tisch drei junge Männer saßen, die ziemlich schweigsam waren und müde in ihrem Gericht herumstocherten. Für Touristen sagten die zu wenig. Außerdem hätte sie ihren Kopf dafür verwettet, dass die drei irgendwo aus dem Orient kamen.

Der Eigentümer des Marisquería brachte ihr mit einem freundlichen Lächeln ihren Teller. »Guten Appetit«, wünschte er ihr, dann wandte er sich an die drei Männer und fragte, »schmeckt Ihnen ihr Essen etwa nicht?«

Die drei sahen hoch, müde Augen hefteten sich irritiert an die Lippen des Wirtes.

»Doch, doch! Es ist ausgezeichnet. Wir haben nur gerade schlechte Nachrichten bekommen«, sagte einer von ihnen, mit einem leicht türkischen Akzent.

»Oh, das tut mir sehr leid«, antwortete der Wirt mit bedauernder Miene und ging.

Esmeralda Parador sah, während sie schweigend aß, dass die drei sie immer wieder verstohlen musterten. Das war kein normales Verhalten. Nur Geheimdienstleute oder Menschen, die etwas zu verbergen hatten oder sich vor etwas fürchteten, taten so etwas.

Nach ein paar Minuten fingen sie an auf Türkisch miteinander zu sprechen. Wenn sie gewusst hätten, dass Esmeralda Parador die Sprache einigermaßen verstand, hätten sie das bestimmt nicht getan. Esmeralda Parador lauschte mit angehaltenem Atem und hätte fast vergessen zu essen. Die drei unterhielten sich über einen Mann namens Özgur Batman, den der türkische Geheimdienst in die Mangel genommen hatte. Einer von den dreien an ihrem Tisch war wohl ein entfernter Cousin von diesem Mann. Das hätte sie eigentlich nicht weiter interessiert, wäre in dem Gespräch nicht die Zementfabrik in Ararat vorgekommen und ein weiterer Batman, der zwei vom syrischen Geheimdienst Gesuchten in Alexandria zur Flucht auf ein Frachtschiff verholfen hatte, das nach England auslief. Ihr stockte der Atem, sie musste sich beherrschen nicht nachzufragen. Hastig aß sie fertig und stand auf, um an der Theke zu bezahlen. Das nächste Internetcafé war in der Innenstadt. Es hatte auch sonntags geöffnet. Vielleicht konnte sie da mehr in Erfahrung bringen.

Vorbei war es mit der Ruhe. Sie schimpfte sich einen Idioten ausgerechnet heute zum Essen gegangen zu sein, da sie die ganze Sache im Grunde genommen nichts mehr anging. Sehnsüchtig dachte sie an ihr kleines Appartement und die Sicherheit, die sie hier empfunden hatte, weit weg von all den Ränkespielen der Großmächte. Zehn Minuten später stand sie vor dem Internetcafé in der Benaventestraße. Sie kannte den Besitzer des Geschäftes, da sie hier regelmäßig ihre Romane herunterlud, weil sie selbst keinen Anschluss besaß. Zum Glück war nicht viel los und sie bekam sofort eine freie Kabine zugewiesen. Natürlich würde sie nicht nach Batman suchen und schon gar nicht nach Worten wie Geheimdienst und Syrien. Es gab ein kleines syrisches Käseblatt, das trotz Pressezensur relativ unvoreingenommene Berichte ins Netz stellte und das sogar in englischer Sprache. Esmeralda Parador durchsuchte die Ausgaben der letzten drei Monate und wurde fündig. Nur ein paar Tage nachdem sie herausgefunden hatte, dass Ramirez Estar nach Akaba unterwegs war, hatte es mehrere Anschläge in Syrien und in Jordanien gegeben. Fast sofort stieß sie auf sein Foto mit der Unterschrift "Topterrorist, dringend gesucht". Das konnte nicht sein! Ramirez Estar war alles Mögliche, aber bestimmt kein Terrorist. Was war da los? Fieberhaft suchte sie weiter, fand aber nichts dazu. Ob man ihn wohl geschnappt hatte, fragte sie sich grübelnd, während sie das XNet durchforstete. Ihre Augen blieben an einem kleinen Artikel hängen, eher einer Randnotiz.

FREIZÜGIGE EUROPÄERIN VERURSACHT SKANDAL IN AKABA

Belustigt zog sie die Augenbrauen hoch. Hatten die nichts Besseres, worüber sie sich aufregen konnten? Doch als sie sich die Beschreibung näher durchlas zuckte sie zusammen. Die Fotos waren aus irgendeinem Grund nicht aufrufbar, aber das was da stand ließ ein Bild in ihrem Kopf entstehen, ein Bild von drei riesenhaften seltsam gekleideten Personen. Sie konnte eins und eins zusammenzählen. Sie war sich sicher, dass die auch nach Ramirez Estar suchten. Das würde so einiges erklären, vor allem den gehetzten Eindruck des Mannes und diese Lichtbombe in Jerewan. Über diese Technologie hatte sie bis heute nichts herausfinden können. Grübelnd betrachtete sie den Bildschirm. Aber was wollten die Syrer wirklich von Ramirez Estar? Das war alles mehr als seltsam? Einer Eingebung folgend suchte sie nach Aliensichtungen und wurde fast erschlagen, von der Fülle an Informationen die sie erhielt.

»Wow, da hat sich ja eine Menge getan!«, flüsterte sie ungläubig.

Eine Stunde später hatte sie die gefundenen Informationen gesichtet, aussortiert und auf das was ihr wesentlich erschien gekürzt. Das was ihr da entgegensprang, war beängstigend. Es gab mehrere Sichtungen die ihr als wahrscheinlich erschienen und zwar auf allen Kontinenten. Und es hatte einen Anschlag auf eine Familie in England gegeben, die offenbar von Außerirdischen entführt worden war. Es gab tatsächlich Augenzeugen und ein Video dazu. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, fand sie endlich das Video. Schockiert betrachtete sie die riesigen Gestalten, die trotz des Qualms von dem brennenden Haus gut erkennbar waren. Eine gelblichgrüne Fratze mit heraushängender langer Schlangenzunge blickte für ein paar Sekunden direkt in die Kamera. Erschrocken zuckte sie zurück. Was war das denn? Die sahen aber anders aus, als die drei anderen Fremden, denn die hatten Menschengesichter, wenn auch ein wenig zu künstlich. Stirnrunzelnd dachte sie nach. Ihr Expertenauge suchte nach Hinweisen auf eine Fälschung, aber das Video war gänzlich unbearbeitet, so als ob es direkt von einer Kamera ins Netz gestellt worden war. Rohdaten also. Die Britische Regierung hatte eine Menge Dementis zu dem Thema über alle Nachrichtenkanäle laufen lassen. Aber trotz der glaubhaft formulierten Ableugnungen seitens der Regierung, die den Krater im Boden als Gasexplosion hinstellten und die Aliens als gut maskierte Männer, war sie sich sicher, dass da etwas dran war. Sie hatte noch nie derart gut gearbeitete Masken gesehen. Die Kerle hätten ja auch noch dazu auf Stelzen herumlaufen müssen, bei der Größe. Und keine Gasexplosion konnte so ein tiefes Loch erzeugen, mit derart seltsamen Brandspuren und zerpulvertem Gestein. Konnten tatsächlich Alien auf der Erde sein? War Ramirez Estar hier ums Leben gekommen? Hatten sie ihn hier erwischt? Er musste dort gewesen sein, das sagte ihr ihr Gefühl. Warum hatten die angeblichen Aliens dann die Familie mitgenommen? Doch nur, weil der Mann hatte entkommen können, oder? Anders machte das keinen Sinn. Rasch speicherte sie die Informationen auf einem Stick und löschte ihre Bewegungen im Netz. Dazu hatte sie bereits vor einiger Zeit ein kleines zuverlässiges Programm geschrieben. Sie musste nachdenken und vielleicht sollte sie ihren Kontaktmann anrufen. Allerdings hätte sie dann hier ihre Zelte abbrechen müssen und nach Antofagasta umziehen müssen. Drei Monate zu früh. Wollte sie das wirklich riskieren? Außerdem war nächste Woche die Rallye Carretera Austral an der sie teilnehmen musste. Mit einem Motorrad, für das Reisebüro, als Werbung sozusagen. Ihr Chef war schon ganz begeistert davon. Sie war zurzeit leider die einzige seiner Angestellten, die ein Motorrad fahren konnte und er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass es gut für das Reisebüro war daran teil zu nehmen. Die Rallye wurde auf öffentlichen Straßen gefahren. Es gab aus ökologischen Gründen kein Offroad. Sie war sehr beliebt, aber gefährlich, weil das Wetter völlig unberechenbar war. Frauen waren da eher selten dabei. Esmeralda Parador war nicht überzeugt davon, dass das eine gute Publicity war, aber sie hatte es ihm nicht ausreden können und wollte sie noch die nächsten Monate dort arbeiten, dann musste sie in den sauren Apfel beißen. Ganz wohl war ihr nicht, aber sie musste ja nicht gewinnen, nur teilnehmen und heil durchkommen. Hoffentlich hielt sich die Presse ein wenig zurück. Wer weiß, wer sich die Aufnahmen ansah. Am besten sie behielt den Helm die meiste Zeit auf. Nicht auszudenken, wenn sie jemand erkannte, obwohl sie mittlerweile nur noch kinnlange Haare hatte und ziemlich braun geworden war. Das hatte ihren Typ zumindest etwas verändert.

Entschlossen legte sie den Fall Ramirez Estar und die seltsamen Aliens endgültig zu den Akten. Ihre Prioritäten lagen weiß Gott woanders, als sich um Männer in Tiermasken zu kümmern. Sie war noch nicht wirklich bereit dazu zu glauben, dass tatsächlich Aliens auf der Erde gelandet waren. Noch nicht.

Ullisten Getrillum (3)

Подняться наверх