Читать книгу Schockästhetik: Von der Ecole du mal über die letteratura pulp bis Michel Houellebecq - Lena Schönwälder - Страница 14

1.2.3 Das Erhabene

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Zu den mitunter einschlägigsten Traktaten bezüglich des Erhabenen zählt wohl Edmund Burkes A Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful (1757). So observiert er:

Whatever is fitted in any sort to excite the ideas of pain and danger, that is to say, whatever is in any sort terrible, or is conversant about terrible objects, or operates in a manner analogous to terror, is a source of the sublime; that is, it is productive of the strongest emotion which the mind is capable of feeling.1

Das Sublime bzw. Erhabene wird hervorgebracht durch Gegenstände jeglicher Art, die die Idee des Schmerzes oder der Gefahr transportieren und damit im Subjekt die stärkste Em­pfindung hervorbringen, derer es fähig ist.2 Dass dieser Schmerz bzw. »ter­ror« gleich­zeitig Lust erzeugt, vermag unter bestimmten Bedingungen – nämlich der (ästhetischen) Distanz (d.h. Unbe­troffenheit im wahren Leben) – der Fall sein.3 Verwunderung (»asto­nishment«) stellt sich als höchste Empfindung ein, die durch das Erhabene hervorgebracht wird: Das menschliche Gemüt ist in einem solchem Moment derartig von dem Objekt seiner Betrachtung erfüllt, dass es zur Wahrnehmung eines anderen nicht mehr in der Lage ist und es auch an der vernunftmäßigen Reflexion des betrachteten Objekts scheitert.4 Burke entwickelt quasi einen Katalog an Qualitäten des Erhabenen und Ideen bzw. Empfindungen, die damit verbunden sind. So ist Unklarheit (»obscurity«) – und damit einhergehend auch Vagheit – entscheidendes Merkmal des das Gefühl des Erha­benen generierenden Objekts. Eine jede Vorstellung von Gefahr gewinnt durch den Schleier der Unbestimmtheit ein Moment des Entsetzens. In den Künsten ist Burke zufolge daher auch die Literatur in höchstem Maße geeignet, das Gefühl des Erhabenen durch Abstraktion und Auslassung einzugeben, da sie in der mimetischen Reprä­sentation einer Vorstellung oder eines Gegenstands stets hinter dem Gemälde zurückbleibt.5 Mit dem Begriff der Unklar­heit verknüpft sich dann auch konkreter die Idee der Dunkelheit (»darkness«) bzw. allge­meiner der Beraubung (»privation«). Darunter subsumieren sich ferner die Termini der Leere (»vacuity«), der Einsamkeit (»solitude«) und Stille (»silence«), welche in analoger Weise den Zustand einer Privation (sei es von Licht oder Substanz) bezeichnen.6

In gleichem Maß sind Weite (»vastness«) und die Vorstellung von Unendlichkeit (»infinity«) Quellen der erhabenen Angstlust, übersteigen sie doch die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung:

Infinity has a tendency to fill the mind with that sort of delightful horror, which is the most genuine effect, and truest test of the sublime. There are scarce any things which can become the objects of our senses that are really, and in their own nature infinite. But the eye not being able to perceive the bounds of many things, they seem to be infinite, and they produce the same effects as if they were really so.7

Naturerscheinungen wie Ozeane, Berge oder Sternenhimmel, Sonnenaufgänge etc. wurden in diesem Zusammenhang zu klassischen Topoi des Erhabenen, da sie dem mensch­­lichen Subjekt übermächtig und gigantisch erscheinen.8 Und es sind gerade die Vorstel­lungen von Unendlichkeit, die den Menschen an die Grenzen des für ihn sinnlich Erfassbaren führen, und damit zu den bewegendsten erhabenen Ideen überhaupt zählen.9 Darüber hinaus kann der Eindruck von Unendlichkeit durch Gleichförmigkeit (»unifor­mity«) und Sukzession (»succession«) erweckt werden, d.h. durch Aneinander­reihung des Immer­gleichen wird die Vorstellung einer künstlichen Unbegrenztheit (»artificial infinite«) er­zeugt.1011

Den Wirkungsspielraum bzw. die Wirkungsweisen des Erhabenen, die Burke in seiner Philosophical Enquiry absteckt, wurden dann auch für den deutschen Idealismus fruchtbar gemacht und von Kant und Schiller wiederaufgegriffen. Ähnlich wie Burke definiert Kant in seiner Kritik der Urteilskraft (1790) das Erhabene als »das, mit welchem in Verglei­chung alles andere klein ist«.12 Er stellt damit also auch eine Beziehung zum Unbe­grenzten, zum Enormen, Unendlichen her und definiert dabei zunächst das »mathema­tisch« Erhabene, welches eine räumliche Ausdehnung bzw. eine quantitative Unbegrenztheit bezeichnet (z.B. eben Ozeane, das Weltall, Berge etc.).13 Davon grenzt Kant das »dynamisch« Erhabene der Natur als Macht ab, der der Mensch zunächst unterlegen ist, doch in sicherer Distanz durchaus als ästhetisch reizvoll zu empfinden vermag:

Kühne überhängende gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörerischen Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung […] u. dgl. machen unser Vermögen zu widerstehen, in Vergleichung mit ihrer Macht, zur unbedeutenden Kleinigkeit. Aber ihr Anblick wird nur um desto anziehender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden […].14

Auf den schrecklichen Moment, in dem sich der Mensch als »Naturwesen«15 als physisch unterlegen erkennen muss, folgt der Augenblick der »negativen Lust«,16 die in dem Ver­mögen besteht, sich als »Vernunftwesen« über jene Überwältigung erhaben zu fühlen. Denn das menschliche Gemüt zeigt sich vermittels der Vernunft dem sinnlichen Vermögen der Einbildungskraft überlegen, was sich darin manifestiert, dass der Mensch die Idee der Unendlichkeit, die als solche nicht darstellbar ist, überhaupt denken kann (§ 26). Damit zeichnet sich auch eine deutliche Akzentverlagerung bezüglich der Begrifflichkeit des Erhabenen ab, die sich bereits bei Burke ablesen lässt, welcher weniger von einem erhabenen Gegenstand (als Seinsmerkmal eines Objekts) als vielmehr von einem Gefühl des Erhabenen spricht. Was vormals der Dingwelt zugeschrieben wurde, wird bei Kant allein dem Subjekt attribuiert: »das eigentlich Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft: welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellen läßt, rege gemacht und ins Gemüt gerufen werden«.17 Das Erhabene wird somit zur Chiffre der Selbstaffirmation und des Triumphes der Vernunft über die Kreatürlichkeit des Natur­men­schen.

Ähnlich konzipiert auch Schiller in Anlehnung an Kant das Erhabene als sekundäre Lust, die in der Überlegenheit des Vernunftmenschen gegenüber seiner Machtlosigkeit als physisches Naturwesen besteht: »Erhaben nennen wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit, ihre Freiheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den kürzeren ziehen, über welches wir uns aber moralisch, d. i. durch Ideen erheben.«18 Schillers Ausführungen zum Erhabenen basieren auf der Grundannahme, dass der Mensch als Sinnenwesen von zwei maßgeblichen Trieben geleitet wird – und zwar einerseits dem »Vorstellungstrieb« bzw. »Erkenntnis­trieb« und dem »Selbsterhaltungstrieb« andererseits. Diese setzen ihn in ein Abhängigkeitsverhältnis zur Natur, welches für den Menschen spürbar wird, »wenn es die Natur an den Bedingungen fehlen läßt, unter welchen wir zu Erkenntnissen gelangen« bzw. »wenn sie den Bedingungen widerspricht, unter welchen es uns möglich ist, unsre Existenz fortzusetzen«.19 Moralisch unabhängig kann sich der Mensch dann fühlen, wenn er sich einerseits mehr denken kann als unter den naturgegebenen Bedingungen erkenntlich ist; andererseits kann er sich kraft des Willens über die naturgebundenen Begierden hinweg­setzen. Solche Objekte, die sich dem Erkenntnistrieb widersetzen, sind jene, die die Idee der Unendlichkeit implizieren; jene, die hingegen dem Selbsterhaltungstrieb trotzen, sind »furchtbare« Gegenstände, die »den Bedingungen unsers Daseins widerstreite[n]«.20 Da­mit nimmt Schiller eine Unterscheidung vor, die im Grunde jener Kants vom mathematisch und dynamisch Erhabenen entspricht, jedoch terminologisch bei ihm als »Theoretisch­erhabenes« und »Praktischerhabenes« gefasst wird. Letzteres bezeichnet er auch als Erha­benes der Macht, für das sich eine weitere Unterscheidung anbietet, die den verschiedenen Beziehungsarten Rechnung trägt, in denen sich das Subjekt zum Gegenstand des Erha­benen befinden kann: das Kontemplativ- und Pathetischerhabene. Zur ersten Kategorie zählen jene Objekte, die zwar eine Naturmacht darstellen (wie ein Meeressturm, Gewitter, ein Vulkan etc.), die jedoch erst vermittels der Einbildungskraft auf den Selbsterhal­tungstrieb bezogen werden müssen und damit erst in der Vorstellung des Subjekts furcht­bar werden.21 Das Pathetischerhabene hingegen ist das Leiden selbst – das im ersten Fall ja gleichsam hinzugedacht werden muss –, genauer: die »Vorstellung eines fremden Leidens, verbunden mit Affekt und mit dem Bewußtsein unser innern moralischen Freiheit«.22 Doch ähnlich wie Burke und auch Kant macht Schiller die Bedeutsamkeit der Distanz als Bedingung für das Gefühl des Erhabenen geltend, ohne welche ein ästhetisches Urteil unmöglich ist.

Die traditionelle ästhetische Debatte um das Erhabene, wie sie von Burke begründet und von Kant und Schiller fortgeführt wurde, wird schließlich erst im 20. Jahrhundert von Jean-François Lyotard wiederaufgegriffen. Dabei beruft er sich vornehmlich auf die Kant’sche Definition des Erhabenen, um sie in Bezug auf die bildnerische Kunst der Avantgarde einer radikalen Neuinterpretation zu unterziehen.23 Das Nicht-Darstellbare, d.h. das Versagen der Einbildungskraft als Mittler zwischen Sinnlichkeit und Ratio, abso­lute Begriffe wie Unend­lichkeit darzustellen, wird bei Lyotard zum Kernbegriff und zum »negative[n] Zeichen […] für die Unermeßlichkeit der Macht der Ideen«.24 Die Gemein­samkeit von moderner und postmoderner Kunst der Avantgarde liegt ihm zufolge daher in dem Streben, dem Unver­fügbaren »Raum« zu gewähren. Im Rückgriff auf Hei­deggers »Ereignis«-Begriff konzipiert Lyotard das Nicht-Darstellbare als ein »es geschieht«, ein gegenwärtiges Ereignis in all seiner Blöße, und das Erhabene als Schockmoment der doppelten Beraubung: einer primären Beraubung des Ereignisses selbst, die Schrecken erzeugt, und einer sekundären Beraubung der Drohung, die sich als Erleichterung entäußert. Sein Kommentar zur avantgardistischen Kunst lautet wie folgt:

Angespornt durch die Ästhetik des Erhabenen, können und müssen die Künste, welches auch immer ihre Materialien sind, auf der Suche nach intensiven Wirkungen von der Nachahmung lediglich schöner Vorbilder absehen und sich an über­raschenden, ungewöhnlichen und schockierenden Kombinationen versuchen. Und der Schock par excellence ist, daß es geschieht, daß etwas geschieht und nichts, daß die Beraubung suspendiert ist.25

Lyotard rehabilitiert damit den Begriff des Erhabenen im Kontext einer Ästhetik der Postmoderne, die sich dem Versuch verschreibt, das schiere Faktum der Existenz eines Nicht-Fassbaren aufzuzeigen.

Schockästhetik:  Von der Ecole du mal über die letteratura pulp bis Michel Houellebecq

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