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III. Ungewissheit

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III. Ungewissheit

Lange Zeit noch musste ich im Freiburger Gefängnis bleiben, fortwährend zwischen der Hoffnung auf baldige Befreiung und der Verzweiflung, dass man mich an Russland ausliefern würde, hin und her schwankend. Jeden Tag änderte sich daher meine Gemütsstimmung sehr oft. Dieser ewige Wechsel wirkte furchtbar deprimierend auf mich. Tödlich langsam schleppte sich die Zeit hin; endlos wurden die Tage, obgleich ich mich auf alle mögliche Weise zu beschäftigen suchte. Mit Büchern war ich versehen; dafür sorgten meine Kameraden und Professor Thun; Schreibzeug hatte man mir bewilligt. So las ich denn viel und suchte meine Gedanken, Eindrücke und selbst Erinnerungen zu Papier zu bringen.

Aber nicht nur die Ungewissheit des eigenen Schicksals und die quälende Befürchtung einer Auslieferung an Russland wirkten auf mich ein, auch der Gedanke an das Schicksal meiner Freunde und die weitere Entwicklung des „Bundes für Befreiung der Arbeit“ machte mir Sorgen. Unsere junge Organisation war noch im Stadium des Werdens. Wir waren ein an Zahl geringes Häuflein, und die Mittel waren gar karg. Als ich nach Deutschland ging, um unsere Erstlinge über die Grenze zu schaffen, hatte ich gleichzeitig den Plan, den Transport für die Zukunft zu organisieren. Nebenbei hatte ich noch verschiedene Angelegenheiten sowohl in Bezug auf die Geldbeschaffung als auf die Organisation zu erledigen. Bei meiner Abreise aus der Schweiz hatte ich gleichfalls eine Menge der verschiedensten Geschäfte zurückgelassen, die meine möglichst baldige Rückkehr erforderten. Alle meine Genossen hatten die Hände voll zu tun, jedem war die Zeit kostbar. Und nun saß ich nicht nur hier im Gefängnis, verdammt zur Untätigkeit, sondern auch alle übrigen Mitglieder unseres Bundes waren in ihrer Tätigkeit gelähmt, weil sie den Lauf meiner Affäre verfolgen mussten, um auf diese oder jene Weise für meine Befreiung zu wirken. Das Bewusstsein, an dieser Hemmung unserer Zukunftspläne, wenn auch unfreiwillig, schuld zu sein, wirkte niederschlagend auf mich. Schon diese Dinge allein steigerten meine Ungeduld aufs höchste.

Meine Lage kann man sich, glaube ich, vorstellen, wenn man sich einen Menschen denkt, der ein höchst wichtiges und dringendes Geschäft zu besorgen hat und plötzlich ein Bein bricht, so dass er, statt sein Ziel zu erreichen, ins Krankenhaus gerät. Aber dieser Bedauernswerte würde dann von seinem physischen Schmerz gänzlich beherrscht; ich dagegen war frei von solchem Schmerz, aber gerade deshalb steigerten sich meine seelischen Folterqualen ins unendliche.

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Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien

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