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Der Herr Staatsanwalt

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Der Herr Staatsanwalt

Kurz nach meiner Verhaftung wurde ich zu einem Photographen geführt, der eine Aufnahme machte. Mir war nicht ganz geheuer dabei, denn ich musste befürchten, dass mein Bild nach Russland geschickt werde, wo man mich erkennen könnte; aber ich konnte natürlich nichts dagegen tun, weil ich nicht zeigen durfte, dass ich nach dieser Richtung etwas zu befürchten habe. Außerdem war ja die Photographie auch notwendig für die Recherchen in der Schweiz; es kam darauf an, dass man dort auf Grund derselben mich als Buligin anerkannte.

In der Tat wurde denn auch von den schweizerischen Behörden bestätigt, dass diese Photographie Buligin darstelle, auf dessen Pass ich reiste. Dieser Teil der Untersuchung war also erledigt. Auch die Beweise, die ich beibrachte, dass ich an den „Missetaten“ des Jablonski und des Schweizers nicht beteiligt war und keine verbotenen Bücher in Deutschland verbreitet hatte, wurden anerkannt. Die russischen Bücher und Schriften, die in meinem Besitz waren, waren eben sozialdemokratischen Charakters und in Deutschland nicht verboten.

Immerhin vergingen Wochen, bis alle Formalitäten erledigt waren. Nach ungefähr anderthalb Monaten nach meiner Verhaftung erklärte mir endlich der Untersuchungsrichter, dass er in den nächsten Tagen die Sache abschließen werde, und zwar werde er berichten, dass keine Anhaltspunkte für eine Strafverfolgung gegen mich vorliegen. Die Entscheidung liege dann beim Staatsanwalt, dieser könne entweder zustimmen und mich unverzüglich in Freiheit setzen, oder aber er könne trotzdem die Sache an das Gericht übergeben. Im letzteren Falle aber würden die Richter zweifellos dem Antrage des Untersuchungsrichters zustimmen, und selbst wenn man wider alles Erwarten den Prozess eröffnen sollte, so könne nicht daran gezweifelt werden, dass entweder meine Freilassung erfolgen müsse oder im schlimmsten Falle eine Strafe festgesetzt werde, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt betrachtet werden würde. Auf diese Weise wäre meine Freilassung nur die Frage einiger Tage, und ich könnte ganz sicher sein, dass die Sache glatt ablaufe.

Ich glaubte ihm gern und wies den Gedanken von mir, dass hinter den Worten des Untersuchungsrichters noch etwas anderes verborgen sein könnte. Zwar kamen bald einige Umstände hinzu, die Argwohn erregen mussten, aber es ist ja so menschlich, das für wahr zu nehmen, was man heiß begehrt; wenn Hoffnung winkt, da findet sich stets ein Mittel, alles in rosigem Lichte zu sehen. So ging es mir damals auch.

Einige Tage nach dieser Erklärung des Untersuchungsrichters wurde ich in das Besuchszimmer gerufen. Hier fand ich die Frau meines Freundes Nadjeschda Axelrod und einen greisen Herrn, den Staatsanwalt. In strengem, drohendem Tone erklärte er uns beiden, er gestatte nur unter der Bedingung eine Unterredung, dass wir deutsch sprechen; bei dem ersten russischen Worte würde er uns trennen. Dieser Ton und das ganze Verhalten des grimmigen Greises stimmte durchaus nicht mit der Perspektive einer baldigen Befreiung, wie sie mir der Untersuchungsrichter eröffnet hatte. – „Welche Gründe hat dieser Herr für sein Verbot, russisch zu sprechen“, fuhr es mir durch den Sinn, „wenn ich ohnehin bald befreit werden soll?“ Er war bereits im Besitz der Akten, und er kannte das Ergebnis, zu dem der Untersuchungsrichter gekommen war. Aber ich hatte in jenem Moment kaum die Möglichkeit, den Gedanken nachzugehen, und zog den Schluss, er sei einfach ein eingefleischter Formalist. „Das Gesetz schreibt vor, dass die Unterhaltung eines in Untersuchung befindlichen Gefangenen zu überwachen ist“, dachte ich mir, „und so zwingt er mich und Frau Axelrod, deutsch zu sprechen, damit er uns verstehen kann; es liegt also nichts Verdächtiges vor, was auf die Vereitelung meiner Hoffnung hindeuten könnte.“

Das strenge Auftreten des grimmigen Staatsanwalts – v. Berg war sein Name – hatte jedenfalls einen niederschlagenden Eindruck auf mich und Frau Axelrod gemacht, und wir wussten kaum, was wir einander sagen sollten. Infolgedessen wechselten wir einige inhaltslose Phrasen und nahmen sehr bald Abschied.

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Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien

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