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Zellenwechsel
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Die nächsten Tage sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Gleich am folgenden Tage kam der Verwalter Roth in meine Zelle und erklärte mir in liebenswürdigster Weise, mit der Miene eines vollendeten Biedermannes ohne Arg und List, dass ich in eine Zelle im Erdgeschoss übersiedeln müsse, weil das obere Stockwerk, wo ich bisher untergebracht war, renoviert würde. Er tat dabei, als entschuldige er sich vor mir ob der Störung und bedauere, dass die andere Zelle nicht so bequem sei.
Diese Änderung kam mir jedenfalls sehr ungelegen, denn vor allem basierte der Fluchtplan gerade auf der Lage der Zelle, in der ich mich befand. Einer meiner Freunde hatte ein Zimmer im Hause gegenüber dem Gefängnis gemietet, und da das Fenster meiner Zelle nach der Straße lag, so verständigten wir uns in außerordentlichen Fällen durch verabredete Zeichen. Die Lage im ersten Stockwerk bildete kein Hindernis für die Flucht. – Neben diesen sozusagen geschäftlichen Erwägungen wurde mir der Abschied aus der bisherigen Zelle aus anderen Gründen schwer. Es waren mit diesen vier Wänden bereits mancherlei Erinnerungen und nicht nur finstere und traurige, sondern auch freundlicher Art verbunden. Besonders unangenehm war mir der Gedanke, dass das Fenster im Erdgeschoss jedenfalls nicht nach der Straße liegen würde, und das Beobachten der Straße war meine liebste Zerstreuung. An den Markttagen spielten sich dort allerhand interessante Szenen zwischen den Käufern und Verkäufern, Bauersleuten aus der Umgebung, ab; an anderen Tagen fanden auf dem Platze militärische Übungen statt, und dieses mir fremde Getriebe interessierte mich. Besonders liebte ich es aber in der Dämmerstunde, auf das Fenster zu klettern und die Kinder zu beobachten, die zu dieser Stunde sich auf dem Platze herumtummelten und alle möglichen Spiele anstellten. Ihrem fröhlichen Gelächter und Geschrei lauschend, versetzte ich mich im Geiste nach der Heimat, nach dem Süden Russlands und gedachte der eigenen Kindheit...
Das alles sollte mit der Übersiedelung in die neue Zelle fortfallen. Diese erschien weniger geräumig, finster, und die Fenster führten nach dem Hofe. Dieser letzte Umstand machte die Flucht nahezu unmöglich. Zwar blieben mir noch zwei, drei andere Fluchtpläne, doch zeigte sich später, dass keiner von ihnen wirklich ausführbar war. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass schließlich ein solcher Versuch überhaupt nicht nötig sein würde, weil man mich doch auf legalem Wege freilassen werde. Ich berechnete schon, wie viel Tage mich noch von diesem Augenblick trennen. Die Überführung in die andere Zelle erschien mir als nebensächlicher Zufall, der sich aus der Erzählung des Verwalters ganz harmlos erklärte. Meine Freunde fassten die Sache allerdings anders auf. Als sie mich einige Tage nicht am Fenster sahen, glaubten sie, man habe mich bereits insgeheim nach Russland geschafft.
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