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„Herein“, murmelte Ms. Robinson mit ihrer hohen Stimme, als David an die Tür klopfte. Er öffnete die Tür und betrat den Raum. Ohne, dass er dazu aufgefordert wurde, setzte er sich auf den kleinen schwarzen Ledersessel gegenüber von Ms. Robinson. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Die Direktorin hatte ihn scheinbar nicht bemerkt. Sie saß immer noch in derselben Position wie vorher, mit dem Kopf über einem Haufen Papierkram und unterschrieb Briefe. Neben ihrer rechten Hand stand eine rote Kaffeetasse von den San Francisco 49ers auf dem Tisch, in der sich noch der kalte Kaffee vom Vortag befand. Ihre dunklen Haare hatte sie sich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, damit sie nicht auf die Blätter herunterhingen.

Ob Tales wohl auch schon etwas mit ihr hatte? So nötig wie beide es haben, würde es mich jedenfalls nicht wundern.

In dieser Hinsicht war er trotzdem neidisch auf Tales. Viele der jungen Lehrerinnen waren teilweise mehr als einfach nur ansehnlich und zudem gut proportioniert.

„David“, stöhnte Ms. Robinson zugleich genervt und angestrengt auf.

„Hm“, brummte er den Anschein gebend, er wäre interessiert an dem, was sie gleich sagen würde.

„Deine Mutter und ich haben uns unterhalten“, fing Ms. Robinson an und legte den Kugelschreiber aus der Hand.

„Wo? Auf einer Swinger Party oder bei der Partnervermittlung?“, entgegnete er wütend.

„Hältst du wohl den Mund! Denk ja nicht, dass, nur weil wir verwandt sind, du mir gegenüber sagen kannst was du willst!“, schrie sie empört. Sie hatte sich wohl vor sich selbst erschreckt, da sie nach ihrer Schimpftirade verwirrter aussah als David. Ms. Robinson war ein eigentlich sehr zurückhaltender und schüchterner Mensch Schülern gegenüber, aber wenn sie müde und überarbeitet war, wie grade jetzt, dann konnte sie energischer werden, als sie es selber für möglich hielt.

„Und genau das ist auch der Grund, warum ich dich herbestellt habe. Ich muss mit dir etwas Wichtiges besprechen, David.“

Sie hatte sich wieder etwas beruhigt.

„Wenn Mom etwas will, soll sie es mir sagen und nicht an dich outsourcen. Wenn es wieder darum geht, dass ich sie zu Unrecht hasse und mich mit ihr versöhnen soll, dann bin ich hier raus.“

Mit diesem Satz stand er auf und schnappte sich seine Tasche. Er hatte keine Lust, sich erneut der belanglosen Beschwerden von seiner Mutter hinzugeben und am Ende zu lügen, dass er es überdenken würde. Doch dieses Mal sollte das Gespräch nicht von seiner sich ständig unfair behandelt fühlenden Mutter handeln.

„Setz dich wieder hin“, sagte sie genervt.

Ihre Augenringe waren fast so dunkel wie der ranzige Kaffee in ihrer American Football Tasse. Sie hatte die Nacht am Tresen einer Disco mit etlichen Cocktails verbracht, welche ihr ein Typ spendiert hatte, nur um sie dann später auf der verschmutzten Clubtoilette, in welche sie sich vorher übergeben hatte, ordentlich durchzuvögeln.

„Was soll das denn? Es ist schwachsinnig, mich wegen etwas, das außerhalb dieses Gebäudes passiert ist, hier vorzuführen!“

„Schwachsinnig ist wie du dich ausführst, obwohl deine Mutter nicht schuld an diesem Gespräch ist!”

Natürlich war es ihre Schuld. Sie hatte Bobby alleine gelassen. Sie hatte gewollt, dass er für immer aus ihrem Leben verschwand. Sie hatte keine Träne vergossen als er verschwunden war. Vielleicht hatte sie ihn sogar vorsätzlich verschwinden lassen. Schließlich gab es nie eine Vermisstenmeldung, geschweige denn auch nur die Idee ihn zu suchen. Als wüsste sie genau, dass es sinnlos wäre, weil er sich längst im Keller einer ihrer Stecher befand oder schon sechs Fuß unter der Erde lag.

„Ihr liegt etwas an dir, und es macht sie traurig, dass du ihr keine Chance gibst, ihr das zu zeigen“, erklärte Ms. Robinson ihm und deutete ihm an, sich wieder zu setzen.

David verharrte einen kurzen Moment und schnaufte tief durch. Es war tatsächlich dasselbe wie jedes Mal, dachte er. Wieso konnte diese verdammte Hure nicht einfach ihre Klappe halten und sich nicht jedes Mal von seiner Mutter beschwatzen lassen.

„Ich sagte, wenn es wieder so ist wie immer, dann bin ich hier raus. In diesem Sinne also: Schöne Ferien Ms. Robinson, genießen Sie ihren Urlaub und passen Sie auf, dass Sie sich kein Sonnenstich beim Ficken am Strand holen.“

„Ich bin noch nicht fertig!“, meckerte sie ihn an. Mittlerweile hatte sie ihre Stimme wieder unter Kontrolle und sprach wieder so leise wie vorher.

„Ich aber“, sagte David während er, mit dem Rücken zu ihr gekehrt, zur Tür ging und ihr mit der linken Hand zuwinkte.

„Ich habe dich nicht wegen deiner Mutter…“

Doch er hörte sie schon längst nicht mehr. David hatte bereits den Raum verlassen und die Tür mit so einer Wucht zugeschmettert, dass der veraltete Wandkalender aus dem Jahre 2017 – das Jahr in dem das Übel seinen Lauf nahm und Ms. Robinson zur Direktorin ernannt wurde - zu Boden fiel.

Er befand sich erneut im traurig aussehenden Flur der Schule. David holte seine Kopfhörer aus seiner linken Hosentasche und steckte sich einen davon in sein Ohr. Dass er diesen wenige Augenblicke später wieder herausnehmen musste, da dieser außer einem Rauschen keinen Ton von sich gab, störte ihn nicht. Es fühlte sich gut an, der völlig verkaterten Direktorin Paroli geboten zu haben und nun eine lange Pause von alle dem vor sich zu haben.

„David“, rief die Direktorin ihm aufgeregt hinterher und ließ die Tür hinter sich offen. Alles was er ihr mitzuteilen hatte, war sein Mittelfinger, den er ihr ausgestreckt nach hinten hielt.

„David Williams! Du wirst mir jetzt zuhören!“, rief sie ihm empört nach. Sie ließ sich durch einfachste Gesten schnell auf die Palme bringen, kam aber ebenso schnell wieder herunter. Das wusste er und nutzte es zu seiner Belustigung aus. Ihre hochhackigen Schuhe klackerten besonders laut auf den Fliesen, als sie ihm hinterherlief.

„Ich will dich doch nur warnen! Bitte, David, hör mir zu!“

Sie hatte ihre Schritte beschleunigt und rannte ihm jetzt beinahe schon hinterher. Doch er ließ sich nicht beirren und ging weiter schnurstracks den Flur in Richtung Ausgang entlang.

„David!“, schrie sie.

„David!“

Sie klang inzwischen gar nicht mehr wütend, sondern ängstlich.

„Sag meiner Mom, dass sie mit mir selber reden soll, wenn sie etwas will!“, entgegnete er ihr und stürmte aus der Vordertür. Mit seinen 1,83m lag er knapp 6cm über dem amerikanischen Durchschnitt, was ihm bei der Flucht vor Ms. Robinson sehr gelegen kam, da sie mit ihrer Körpergröße von lediglich 1,66m deutlich kürzere Beine als er hatte.

Etwa eine Minute, nachdem David das Gebäude bereits verlassen hatte, verließ auch sie das Gebäude. Doch sie konnte ihn nirgends entdecken. Der Junge hat keine Ahnung, was ihn erwartet, wenn er zuhause ankommt, dachte sie und schrie verzweifelt ein weiteres Mal seinen Namen. Ein silberner Mercury Cougar im New-Edge-Design fuhr vor dem Eingang vor und bremste mit quietschenden Reifen. Das Fenster wurde heruntergelassen, und David streckte seinen Kopf heraus.

„Halten Sie sich endlich aus meinem Leben raus!“, brüllte er ihr zu, dann beschleunigte er und verschwand aus den Augen der Direktorin. Das Letzte, was sie von ihm hörte, war das Quietschen seiner Reifen, als er Mr. Kennington ausweichen musste, der kurz zuvor von Trae eine neue Lieferung Crack in Empfang genommen hatte. Ms. Robinson setzte sich erschöpft auf die Treppenstufe vor den Eingang ihrer Schule.

„Verdammt! Scheiße!“, ließ sie ihren Emotionen freien Lauf.

Sie verweilte einen Moment, dann sprang sie wie vom Blitz getroffen auf und rannte zurück ins Gebäude. Ihre Schuhe hatte sie ausgezogen, um auf dem Weg zum nächstbesten Telefon keine Zeit zu verlieren. Das Erste, das sie fand, hing über einem Feuerlöscher und war eigentlich für Notrufe reserviert. Doch bevor sie nach dem Hörer greifen konnte, begann es von selbst zu klingeln. Das Klingeln des Telefons war schrill und klang unnatürlich. Sie zitterte. Etwas in ihr wusste, dass die Person am anderen Ende – wenn es denn eine war – ihr nicht wohlgesonnen war. Kalter Schweiß lief ihre Stirn hinunter und kühlte ihren erhitzten, roten Kopf. Trotz der hohen Temperaturen fror sie am ganzen Körper. Ihre Beine, die aus ihrem sommerlichen Rock herausschauten, waren mit einer Gänsehaut überzogen. Das Klingeln wurde lauter. Jetzt klang es beinahe bedrohlich. Alles in ihr riet ihr davon ab, den Hörer abzunehmen. Doch da war diese Neugier in ihr. Diese verdammte, elende Neugier, die sie einfach nicht losließ. Sie hatte ihr noch nie etwas Gutes gebracht. Schon damals nicht, wo sie es sich für eine Flasche Wein von jedem Jungen hatte besorgen lassen. Ihre Neugier sorgte dafür, dass sie den meisten erlaubte, es ohne Kondom zu tun. Und ehe sie sich versah, war es geschehen. Sie hatte sich infiziert. HIV. Wegen ihrer elenden Neugier hatte sie sich mit HIV infiziert. Und jetzt würde ihre Neugier wieder siegen, weil es einfach in ihrer Natur lag. Weil es in der Natur eines jeden Menschen lag, seine Neugier auszureizen. Egal wie oft sie uns schon niedergemacht oder geschadet hatte. Sie hob ihren rechten Arm, um ihn nach dem Telefon auszustrecken, zog ihn jedoch sofort wieder zurück.

Vielleicht hört es auf. Oh bitte lieber Gott mach, dass es aufhört.

Ihre Augen waren fest fixiert auf den Hörer, so als würde er sie jede Sekunde angreifen können. Sie machte einen Schritt in Richtung ihrer offenen Bürotür. Das Telefon klingelte energischer und hüpfte fast aus seiner Halterung heraus. Mit weit aufgerissenen Augen, die immer noch das Telefon anstarrten, lief sie zu ihrer offenen Tür, doch als sie kurz davor war, sie zu erreichen, fiel sie mit einem lauten Klick ins Schloss und verriegelte sich selbst. Sie wollte schreien, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt und ließ keinen Laut zu. Der Hörer hüpfte in seiner Halterung auf und ab. Langsam bewegte sie sich wieder auf ihn zu. Erneut streckte sie die Hand nach ihm aus. Dieses Mal zog sie sie nicht zurück und nahm den Hörer ab. Sie atmete einmal tief durch, schloss die Augen und zählte innerlich bis zehn. Fast wie in Zeitlupe führte sie den weißen Plastikhörer zu ihrem Ohr. Es gab kein Zurück mehr.

„Hallo“, hauchte sie ängstlich in den Hörer, bevor sie für immer verstummte.

Die Schule

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