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Jeder hat eine bestimmte Musikrichtung, die er bevorzugt beziehungsweise am liebsten hört. Davids Musik war der Rock’n Roll. Er brannte für ihn. Aus diesem Grund drehte er die Lautstärke des Radios ganz besonders auf, als Little Richard grade begann, Tutti Frutti zu singen. Mit den Fingern klopfte er den Takt auf dem Lenkrad mit und bewegte seinen Mund so zu dem Lied, als würde er es selbst singen. In ein paar Minuten würde er zuhause sein und das Wochenende durchschlafen. Er hatte keine Lust, sich wieder mit seiner Mutter wegen ihres ausgiebigen Liebeslebens zu streiten. Der Streit letzte Woche, bei dem sie sogar so weit gegangen war und ihn geschlagen hatte, hatte ihm gereicht. Natürlich hatte er dem nichts entgegengesetzt. Schließlich gehörte er nicht zu der Sorte Menschen, die jedes Mal, wenn man ihnen dumm kommt, anfangen zuzuschlagen.

David trat auf die Bremse und kam vor der roten Ampel zum Stehen. Sein Blick schweifte aus dem Fenster über Männer in Anzügen, die in Eile durch die Gegend liefen, Eltern, die versuchten ihre Kinder möglichst dicht bei sich zu behalten, Obdachlose und so weiter. Seine Augen blieben an einem Obdachlosen mit braunem Vollbart und einem verwaschenen, grauolivfarbenen T-Shirt haften. Der Obdachlose trug ein Pappschild um den Hals auf das: „Brauche Trinken!“, gekritzelt worden war. Er stand dicht an der Hauswand angelehnt, um sich halbwegs im Schatten zu befinden. Flehend sah er jeden der vorbeigehenden Menschen an und bettelte um ein wenig Kleingeld.

„Bitte Miss, geben Sie mir etwas Geld, ich habe so Durst. Bitte helfen Sie einer armen Seele“, flehte er eine Frau mittleren Alters an, die mit ihrer kleinen Tochter an ihm vorbeiging.

Erschrocken und angewidert vom Anblick des Obdachlosen nahm sie ihre Tochter und erhöhte das Tempo ihre Schritte.

„Komm schnell, Lucy“, sagte sie zu dem kleinen Mädchen an ihrer Hand.

„Aber Mami, warum können wir dem armen Mann nicht helfen?“, fragte Lucy besorgt und beobachtete ihn traurig.

„Er ist selber schuld, dass er jetzt auf der Straße leben muss. Außerdem hat er bestimmt Krätze oder Lepra“, sagte sie, womit sie auf sein rechtes graues, trübes Auge hinwies.

„Krätze äußert sich durch Ausschlag und starken Juckreiz, gnädige Frau“, sprach sie ein älterer Mann an, der dem Obdachlosen eine Flasche Wasser gab, von welcher dieser sofort einen Schluck zu sich nahm. Sie blieb stehen und warf ihm einem tödlichen Blick zu.

„Ach ja, und Lepra kann zwar die Augen betreffen, würde aber dann sichtliche Verstümmelung oder Lähmung verschiedener Körperteile mit sich ziehen. Außerdem ist die Infektionsgefahr bei beiden Krankheiten nur bei längerem intensivem Körperkontakt besonders realistisch. Wenn Sie Ihr Kind schon anlügen wollen, dann lügen Sie es wenigstens so an, dass es realistisch wirkt“, fuhr er fort, ohne ihrem Todesblick größere Aufmerksamkeit zu schenken.

„Ich danke Ihnen. Gott segne Sie, mein Herr. Gott segne…“

Der Obdachlose verstummte, als er David sah und ihre Blicke sich trafen. Er krümmte seinen Hals auf die eigenartigste Art und Weise, die seine Wirbel zuließen und begann urplötzlich, schallend zu lachen. Das Lachen hatte große Ähnlichkeit mit dem eines verrückten Serienkillers, dem klar geworden war, dass er jemanden umgebracht hatte, der ihm eigentlich am Herzen lag. Sein rechter Zeigefinger schoss empor und zeigte auf David.

„Fahr endlich, du Affe“, brüllte ein wütender korpulenter Mann aus dem Jeep hinter ihm, „Bist du farbenblind Junge? Es ist grün!“

Seine Worte wurden von den kontinuierlich benutzten Hupen der hinter ihm stehenden Autos begleitet.

„Verdammt“, schrie der Obdachlose David entgegen und begann sich immer weiter von ihm wegzubewegen. Die losen Sohlen seiner Schuhe klatschten bei jedem Schritt auf dem Boden, was jedoch in den lauten Geräuschen der pulsierenden Stadt um ihn herum unterging.

„Du bist verdammt, Junge! Der Teufel hat dich in seiner Hand!“, schrie er ein weiteres Mal, während er ihn immer noch verrückt anlachte.

Offensichtlich aus seiner Schockstarre erwacht, legte David den ersten Gang ein und fuhr los. Erschöpft ließ sich der Bettler schwer atmend auf den Boden fallen. Selbstzufrieden grinste die Frau den verdutzten alten Mann an, der den Bettler grade eben erst vor ihr verteidigt und ihm eine Wasserflasche gegeben hatte. Das war genau die Wendung, die sie gebraucht hatte, um nicht vor ihm und ihrer kleinen Tochter dumm dazustehen. Die Kleine versuchte grade, eine auf dem Boden liegende, bunte Kaugummiverpackung aufzuheben, um nachzusehen, ob sich darin nicht doch noch ein allerletztes Kaugummi befand. Sie strich ihre nussbraunen Haare aus ihrem langsam faltig werdenden Gesicht und zog ihr kleines Mädchen von der Kaugummipackung weg.

„Ich habe außerdem gehört, dass geistige Verwirrung eine Folge von Aids sein kann. An Ihrer Stelle würde ich mich erstmal gründlich untersuchen lassen. Nicht, dass Sie neben seinen Flöhen und Läusen, die sowieso schon auf Sie übergesprungen sind, auch noch das Pech haben, in Kürze Ihr Testament aufsetzen zu müssen.“

Dann setzte sie sich zufrieden ihre Sonnenbrille auf und entfernte sich mitsamt ihrer Tochter von den beiden Männern, an die sie sich heute Abend schon nicht mehr erinnern würde.

Die Schule

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