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Grüße aus dem Erdbeerland

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Ich bin entsetzt. Ich weiß genau, was jetzt kommt. Wie ein Déja-vu schiebt sich folgendes Bild vor mein geistiges Auge.

Ich stehe schwitzend in der Küche und koche Marmelade. Der Rest der Familie liegt an diesem brütend heißen Sonntag im Schatten auf dem Liegestuhl.

In der Jetzt-Zeit kneife ich kurz, aber fest, die Augen zusammen und hoffe wider jede Vernunft, dass die Erdbeeren weg sind, wenn ich wieder hinsehe. Hex hex, versuche ich es mit dem bewährten Zauberspruch der Bibi Blocksberg und widerstehe nur knapp der Versuchung, die Arme auszustrecken und mit den Fingern zu schnalzen, denn das machen Magier doch immer.

„Du glaubst doch nicht im Ernst an Hexen“, schimpfe ich mich innerlich aus und öffne widerstrebend die Augen. Michael sieht mich jetzt ganz liebevoll mit seinem speziellen, charmanten „kleiner-Junge-Grinsen“ an, zuckt die Schultern und murmelt „wie gesagt, ich soll dich ganz lieb von meinen Eltern grüßen. Sie waren gestern im Erdbeerland und haben ein bisschen über die Stränge geschlagen.“

Ich spare mir die Antwort. Mein Blick aber hat einen solch schlagkräftigen Ausdruck, dass mindestens eine Bewährungsstrafe anstünde, sollte ihn ein Richter je zu Gesicht bekommen.

„Du weißt doch, wie Mama ist“, plappert Michael weiter. Das weiß ich in der Tat. Aber ich beschließe, den Mund zu halten. Meine Ehe ist mir wichtig. Ich bin eindeutig kein Bewunderer meiner vornehmen Schwiegermutter. Genauer gesagt halte ich Katharina für eine raffsüchtige, habgierige und egoistische Person. Es fällt mir schwer, mich im Zaum zu halten.

Schnell drehe ich mich um und laufe zum Waschbecken. Ich drehe den Wasserhahn auf und halte meine Handgelenke unter das erfrischend kalte Wasser. „Und was geht mich das an?“ Dabei bemühe ich mich sehr um einen gelassenen Tonfall. Es ist sowieso eine eher rhetorische Frage, denn ich kenne die Antwort darauf schon. „Mama schafft es nicht, das ganze Obst zu verarbeiten. Sie war drauf und dran, es wegzuwerfen und hat fast geweint, weil das eine solche Lebensmittelverschwendung wäre.“ Fassungslos sehe ich meinem Mann in die Augen. Offensichtlich ist er gerade wieder zum Kind geworden. „Ich habe meiner Mutter gesagt, dass du gerne ein bisschen Marmelade kochst“, fährt er ungeachtet der Blitze weiter in das Gewitter. „Das ist doch kein Problem für dich, sogar die Gläser habe ich dir mitgebracht“, beendet er seinen Vortrag und seine Stimme klingt wie die des Dorfpfarrers bei der Weihnachtsbotschaft.

Ich atme tief ein, halte die Luft so lange an, wie ich nur kann und atme dann wieder aus. Ich verharre in dieser Position, bis der Atemreiz so groß wird, dass ich zu husten anfange. Michael klopft mir kurz auf den Rücken und läuft dann erneut in den Flur. Nur Sekunden später kommt er mit einem großen Korb voller Einmachgläser zurück, den er neben die Beeren stellt.

Ich erinnere mich noch zu gut an meine miesen Erfahrungen aus dem Vorjahr. Zögerlich greife ich deshalb nach einem Glas, öffne es und schnuppere vorsichtig daran. „Pfui Kuckuck“, murmele ich und schraube den Deckel schnell wieder zu. Die Spinne an der Decke ist auch noch da, stelle ich fest, als ich wieder einmal die Augen verrolle und gen Himmel blicke. Die Gläser standen garantiert den ganzen Winter über im Keller und haben einen eklig modrigen Geruch angenommen. Normalerweise ist Katharina sowas von etepetete, aber ihr Geruchssinn lässt definitiv zu wünschen übrig.

„Ich mache das nur, wenn du mir hilfst!“, versuche ich das Erdbeerruder herumzureißen und ernte einen gönnerhaften Blick meines Mannes. „Würde ich ja gerne, Schatz, aber ich muss doch mit Max zum Schulfest. Oder soll er ganz alleine hin gehen?“

Ich überlege kurz. Die Schulfeier habe ich komplett vergessen! Michael hat schon letzte Woche versprochen, dort vorbei zu schauen, weil ich später noch arbeiten muss. Max war sehr enttäuscht, dass sich seine Mutter keine Zeit für seinen Projekttag nehmen und lieber zum Sport gehen will. So ein Unsinn! Und ich soll das wegen Michaels Eitelkeit auch noch so stehen lassen.

Es ist mir schwergefallen, die Situation nicht aufzuklären, aber ich habe dann doch darauf verzichtet und Max stattdessen zur Wiedergutmachung versprochen, mit ihm ins Kino zu gehen. Wie blöd von mir. Ich muss mich unbedingt ändern, so geht das nicht weiter, schließlich bin ich auch schon dreimal sieben alt und kann selbst entscheiden, wo und wann ich arbeite. Michael sollte stolz sein, dass er eine Frau hat, die ihn unterstützt! Nur fehlt mir bei dieser Hitze im Moment echt die Kraft, in die Schlacht zu ziehen. Deshalb verschiebe ich das Ganze wohl besser in die Zukunft.

Die Erdbeerschlacht ist also verloren.

Aber Max für die Maßlosigkeit meiner „Schwieschwies“ büßen zu lassen, geht nicht. Das kann ich unserem einzigen Sohn einfach nicht antun. Er ist schließlich erst zehn. In dem Alter ist man noch sensibel und anfällig für äußere Einflüsse. Ich will nicht, dass mein Kleiner traurig ist, nur weil ich zu faul bin, ein paar Kilo Erdbeeren zu verarbeiten. Es reicht schon, dass er von seinen Schulkameraden mit unserem Nachnamen gehänselt wird.

Als hätten ihn meine Gedanken herbeigerufen, steht Max plötzlich in der Tür und grinst mich spitzbübisch an. Mein Nesthäkchen! Seine weizenblonden Haare stehen mal wieder kreuz und quer vom Kopf ab und sein T-Shirt, das er eben erst angezogen hat, trägt bereits Spuren eines Ballkontaktes. Für das Schulfest wird er ein Frisches anziehen müssen und so den überquellenden Wäschekorb noch weiter füllen. Aber ich kann ihm nicht böse sein, er ist halt ein richtiger Lausbub.

„Ich bin startklar!“ ruft Max und streckt seine schmutzige Hand nach einem Muffin aus. Dafür erntet er einen Klaps auf die Finger „Hände weg! Gehe sie dir erst mal waschen und kämm dir deine Haare. Du siehst aus, als kämst du gerade aus dem Bett!“ Max gähnt und reckt sich ausgiebig. „Das ist modern, Mom!“ Ich schnaube. „Mama“, korrigiere ich ihn streng, „Ich mag diese englischen Ausdrücke nicht. Und ein frisches Hemd brauchst du auch noch.“ Max nickt. „Geht klar. Aber nur, wenn ich dann Kuchen kriege.“ Das ist jetzt ein Geschäft, dem ich bedenkenlos zustimmen kann, deshalb nicke ich und beginne, die anderen Törtchen in eine Transportbox zu packen, die ich dem verdutzten Michael in die Hand drücke. Dann schnappe ich mir ein Küchenmesser, um die Erdbeeren zu putzen. Ich muss mich beeilen.

Bevor Michael den Raum verlässt, zögert er einen Moment, die Türklinke schon in der Hand. Er dreht sich zu mir um und betrachtet konzentriert irgendwas auf dem Boden. „Ach, noch was“, druckst er herum. Ich sehe auf und funkele ihn an. Das Maß ist voll. Jetzt geht erst mal gar nichts mehr! „Bevor ich es vergesse, am Montagmorgen um acht Uhr kommen wieder Leute vorbei, die sich das Haus ansehen wollen“, leiert er wie auswendig gelernt herunter. Bevor ich den Mund zum Protest öffnen kann, fällt die Tür hinter ihm ins Schloss. So sieht er nicht, dass ich tanzen kann wie Winnetou mit seinem Tomahawk.

Eva

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