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Das Fußballturnier und der Besuch der „Schwieschwies“

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Nach dem Mittagessen fällt mir bei einer weiteren Tasse Kaffee ein, dass ich das heutige Fußballturnier vergessen habe. Max ist wie immer als Ersatzspieler eingeteilt und soll sich heute von fünfzehn bis siebzehn Uhr bereithalten. Da es nicht regnet und auch nicht schneit, wird er wohl nicht zum Einsatz kommen. Obwohl, es könnte Schwimmbadwetter geben. Vielleicht seine Chance, mitspielen zu dürfen.

„Du verstehst das nicht, Mama“, hat Max gesagt und genervt die Augen verrollt, als ich mal mit ihm über diese Sache reden wollte. Da unser Sohn mit seiner undankbaren Position offenbar zufrieden ist, werde ich mir einen Kommentar auf ewig verkneifen, nehme ich mir vor. Ob ich das schaffen werde, ist ein anderes Thema. In dieser Hinsicht bewundere ich meinen Mann. Michael hält sich da immer fein raus. Die Eltern der meisten Spieler sind aber auch Bankkunden und die will er nicht verärgern.

Meine „Schwieschwies“ werden bestimmt Punkt Drei in der Tür stehen, weil Michael ihnen garantiert nichts vom Turnier erzählt hat. Es kann also sein, dass ich heute meinen freien Nachmittag opfern muss. Ich nehme Katharina die 28 Gläser Erdbeermarmelade übel, die seit gestern im Flur rumstehen und mir so immer wieder ins Auge fallen. Im Keller lagern noch gefühlte 1000 Gläser Altlasten, und das weiß Katharina ganz genau.

Michael neigt ebenfalls zu einer völlig übertriebenen Vorratshaltung und geht mir damit auf die Nerven. Ich traue mich nicht mehr, ihn einkaufen zu lassen. Wenn ich ihn bitte, ein Glas mit Sauerkirschen mitzubringen, muss ich mit mindestens vier bis sechs zusätzlichen Konserven rechnen. Sein Motto: „Früher oder später brauchst du die sowieso, die fressen doch kein Brot!“

Katharina hat noch die schlimmen Zeiten miterlebt, da kann ich ihre Macke verstehen, aber Michael hat nie gehungert. Vielleicht ist er erblich vorbelastet. Zwei derart gestrickte Personen bringen die Lagerfähigkeiten im Keller regelmäßig an die Grenze.

Ich stelle mir vor, wie Katharina gleich den Flur betritt und kann den Satz des Tages schon beinahe hören. Meine Schwiegermutter wird die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, die Augen aufreißen und völlig überrascht davon sein, wie viel Marmelade ich aus den paar Erdbeeren gekocht habe. Dann wird sie sagen: „Stell die Marmelade doch bei euch in den Keller. Die wird doch nicht schlecht, ihr esst doch viel mehr als wir.“

„Maaamaaa!“, dringt nun ein Schrei an mein Ohr und ich lasse fast den Teller fallen, den ich gerade leise aus der Spülmaschine holen wollte.

„Was ist denn? Ist was passiert?“, frage ich erschrocken. Mäxchen grinst.

„Nee, aber wir gehen jetzt schon, wir holen doch noch Bastian und Frederick ab“. sagt er und zögert einen Moment. Ich stelle das Geschirr ab und drücke ihn fest an mich. „Viel Glück!“, murmele ich in sein Ohr „spiel mit und mach ein Tor, o.k.?“

Max windet sich aus meiner Umarmung, wischt sich die Wange ab und schüttelt sich wie ein nasser Hund. Dann grinst er und schlingt doch noch mal für den Bruchteil einer Sekunde die Arme um mich. Er ist so schnell groß geworden, unser Sohn. Langsam wird auch er auf Abstand gehen, so wie Laura, die sich kaum mehr in den Arm nehmen lässt.

„Mensch, Mama, ich wandere nicht aus, ich gehe Fußball spielen“, mault Max, bringt seine nicht vorhandene Frisur wieder in Ordnung und spurtet los.

Das erinnert mich daran, dass auch ich ein bisschen Dampf machen muss. Noch ist unser Haus weit entfernt von einem perfekten Zustand, dank des „Erdbeerdilemmas“.

Dabei ist Edgar ein ambitionierter Hobbydetektiv mit dem Ziel, Karriere als Staub-und Schmutzfinder zu machen. Sein Spezialfachgebiet ist das Entdecken von kaum sichtbaren, hauchdünnen Staubspuren. Die finden sich im Hause Faules immer. Mir fällt meine Freundin, die Küchenspinne ein und ich schaue mal nach, wie es ihr geht. Aber dieses treulose Wesen ist nicht mehr zu sehen. Resolut entferne ich ihr Spinnengewebe mit meinem Staubwedel.

Jetzt wird Edgar zwar traurig sein, aber es bleiben ihm ja noch genug staubintensive Flächen. Er wird es also verkraften. Vielleicht sollte ich ihm zum Geburtstag mal weiße Glacéhandschuhe schenken. Diese Idee gefällt mir. Sie gefällt mir sogar so gut, dass ich den Notizblock aus der Schublade ziehe und sie aufschreibe. Dann mache ich meine Lieblingsputzmusik an, fege schwungvoll tanzend mit dem Staubwedel über das Sideboard und lasse meine Gedanken wieder schweifen.

Hoffentlich kommt Michael rechtzeitig vom Fußballplatz zurück. Sonst muss ich mir etwas einfallen lassen. Ich kann Katharina und Edgar ja unmöglich einfach rausschmeißen. Also brauche ich einen Vorwand, um meine „Schwieschwies“ wieder los zu werden, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Im Restaurant wird heute eine große Gesellschaft erwartet.

Eigentlich soll Michael unseren Sohn nur zum Turnier fahren. Die Mutter eines anderen Jungen wird Max dann heimbringen. Aber wie ich meinen Mann kenne, trifft er bestimmt noch Hinz und Kunz und schaut garantiert nicht auf die Uhr.

Ich muss nochmal mit ihm reden. Er soll seinen Eltern endlich sagen, dass ich eine kleine Stelle angenommen habe. Es ist doch mittlerweile selbstverständlich, dass Frauen berufstätig sind. Schon mal was von Emanzipation gehört?

Heute halte ich nochmal den Mund, denn Michael hat mich beschworen nichts zu verraten. Er sagt, er schäme sich dafür, dass er „seine Lieben nicht alleine ernähren kann“. Genau so hat er das formuliert! Alleine ernähren, wie das schon klingt. Im Keller lagert noch genug Marmelade, dass sich in diesem Haus so schnell niemand vor dem Hungertod fürchten muss.

Schnell poliere ich die Kuchengabeln und betrachte zufrieden den hübsch gedeckten Esstisch, den ich mit frischen Blumen dekoriert habe. Selbst die Servietten passen zur Jahreszeit und haben kein Weihnachtsmanndekor.

Für eine kleine Pause reicht die Zeit nicht mehr, denn schon klingelt es an der Tür. Fröhlich fällt der Kuckuck in den Gesang der Klingel ein. „Aha“, denke ich „mal wieder auf die Minute pünktlich“.

Wie gut, dass es im Hause Faules eine original Schwarzwälder Kuckucksuhr gibt, die hier den Ton angibt. Ein Hochzeitsgeschenk von Michaels Eltern. Ein hässliches Ding! Wie oft schon habe ich mitten in einem spannenden Film eine entscheidende Szene nicht mitbekommen, nur weil dieser blöde Vogel so aufdringlich und zu allem Elend auch noch laut ist.

Ich hänge die Küchenschürze an den Haken und sehe kurz an mir herunter. Irgendwie komme ich mir heute dicker vor als sonst. Sollte ich etwa schon wieder zugenommen haben?

Ein Blick in den Spiegel zeigt, dass die Frisur einigermaßen sitzt. Aber es stimmt schon, ich habe meine Haare an den Seiten wirklich ein bisschen zu viel abgeschnitten. Ich grinse noch schnell mein Spiegelbild an, wenn auch nur, um meine Gesichtsmuskulatur zu entspannen, dann setze ich mein herzlichstes Lächeln auf und öffne die Tür.

„Hast du geschlafen?“, dröhnt Edgars Stimme durchs Haus.

„Hallo, ihr beiden. Wie schön euch zu sehen“, beginne ich das Treffen gnadenlos mit einer ersten Lüge.

Diplomatie heißt das übrigens, das weiß ich von Katharina, denn die ist darin Profi. Sie geht ja auch immer ganz in ihrer Rolle als liebenswürdige, besorgte Ersatzmutter auf. Aber das Theater funktioniert bei mir nicht. Die Erinnerungen an meine Mutter sind leider nur noch verschwommen. Ich war noch klein, als meine Eltern den Unfall hatten, bei dem sie ums Leben kamen. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die beiden nette, aufrichtige Menschen waren.

„Edgar, schrei doch bitte nicht so mit dem Kind“, meldet sich Katharina zu Wort. Sie beugt sich vor und haucht jeweils ein Küsschen neben meine Wangen. Das ist die Art, wie man sich in ihren Kreisen seit einiger Zeit begrüßt. Ich habe das mal bei „Germanys next topmodel“ gesehen. Aber Heidi sagt dazu immer noch sowas in der Art „moa“. Das mache ich jetzt auch und Katharina sieht mich irritiert an, gibt aber keinen Kommentar ab. Bestimmt kennt sie die Sendung und schaut sie sich auch regelmäßig an, aber das würde sie nie zugeben. Deshalb verzichte ich darauf, zu fragen und bitte meine „Schwieschwies“ stattdessen ins Wohnzimmer.

Edgar poltert durch die Tür, bleibt auf dem Absatz stehen, reckt den Hals und schaut Richtung Fenster. Ich trete einen Schritt näher und werfe einen Blick nach draußen, wo ich nichts Besonderes erkennen kann.

„Hat dir Michael eigentlich gesagt, dass am Montag Leute vorbeikommen, die starkes Interesse an einem TraumHeim haben?“, fragt er. Seine Wangen sind rot, entweder vor Vorfreude oder von dem „Dornfelder Rotwein“, den er sicher daheim noch getrunken hat, um sich auf den Besuch vorzubereiten.

Ich nicke eifrig. „Geht klar. Ich bin daheim.“ Mein Schwiegervater blickt weiter stur nach draußen. Ich versuche immer noch herauszufinden, warum er das tut, als Edgar den Kopf schüttelt und meint; „Das hätte es früher nicht gegeben!“

Ich bin ratlos. Anscheinend stehe ich gerade voll auf der Leitung, denn ich weiß beim besten Willen nicht, worauf er hinauswill. „Kannst du nicht wenigstens die Fenster mal putzen, damit man nicht schon von draußen sieht, dass du es mit dem Haushalt nicht so genau nimmst?“ kommt er jetzt direkt zur Sache.

Ich japse wie ein Fisch auf dem Trockenen und beiße mir fest auf die Unterlippe, um ruhig zu bleiben. ICH WILL KEINEN KRACH! Katharina mischt sich ein; „Ach lass doch das gute Kind“, sagt sie und wedelt mit der Hand, als wolle sie eine Fliege verscheuchen. Ich schaffe es nur mit Mühe zu schweigen, während meine Schwiegermutter ebenfalls das Fenster inspiziert. Ich recke stolz die Brust. Das Fenster ist definitiv nicht schmutzig.

„Was machst du denn nur den ganzen Tag? Du arbeitest doch gar nicht!“, nörgelt Edgar weiter. „Ist es da wirklich zu viel verlangt, das Haus etwas ordentlicher zu halten?“

Jetzt reicht es. Ich stemme die Hände in die Hüften und funkele ihn an. Wie gerne würde ich ihm reinen Wein einschenken und gewiss keinen „Dornfelder“, aber ich beherrsche mich und atme stattdessen in den Bauch, so wie ich es gelernt habe. Transformationsatmung nennen das die Yogis.

„Unsere Gäste fühlen sich bei uns immer wohl. Sie finden es gemütlich hier“. zische ich und bemühe mich selbst dabei noch um einen versöhnlichen Ton. Zusätzlich falte ich die Hände zu einer Raute, eine bewusste Geste des Friedens. „Ich hätte Botschafterin werden sollen, diplomatisch wie ich bin“, denke ich stolz. „Was, in dieses Chaos lädst du Leute ein?“ hackt Edgar weiter auf mich ein. „Du hast ja Nerven!“

Bevor ich platze und meinen roten Kopf nicht mehr mit der Sommerhitze rechtfertigen kann, verschwinde ich lieber in der Küche und malträtiere die Kaffeemaschine, um Dampf abzulassen. Ich versuche es erneut mit der Atemübung.

Angeblich soll diese jeden gestressten Menschen in Windeseile zur Ruhe bringen. Aber es funktioniert nicht. Ich brauche DRINGEND einen neuen Ratgeber. Meine Freundin Marie hat bestimmt das Passende für mich auf Lager.

Um meine Emotionen sofort in den Griff zu bekommen, brauche ich das einzige Mittel, das in einer akuten Nervenkrise wirklich zuverlässig und in Sekundenschnelle hilft: Schokolade.

Glücklicherweise habe ich sogar erlesene Pralinen im Haus. Eigentlich wollte ich sie verschenken, jetzt versuche ich mit zittrigen Händen die Verpackung aufzureißen und ärgere mich über die Folie, die einfach nicht reißen will. Als sie es endlich doch tut, mache ich mich über die Pralinen her, ohne auch nur nachzusehen, was drin ist und verputze die ganze Schachtel.

Mir wird plötzlich schlecht, aber immerhin habe ich mich wieder so weit im Griff, dass ich Kaffee und Kuchen ins Wohnzimmer tragen kann. Als sei nichts gewesen, stelle ich die Kanne vorsichtig auf den Tisch. Eigentlich würde ich Edgar die Torte lieber auf direktem Weg und am Stück ins Gesicht drücken, wie bei Dick und Doof. Aber ich begnüge mich mit der visuellen Vorstellung.

„Ach, der Kuchen sieht aber lecker aus, meine Gute. Hast du den selbst gebacken?“ versucht sich Katharina bei mir einzuschmeicheln. Das funktioniert zwar nicht, aber ich lasse den guten Willen gelten und entspanne mich etwas.

Edgar schweigt und beißt gierig in den Kuchen. Staunend verfolge ich, wie das halbe Stück in seinem Mund verschwindet. Ich spüre, dass meine Nackenmuskulatur komplett verspannt ist. Auch der altbekannte Kopfschmerz ist schon wieder da. Das hat mir gerade noch gefehlt.

Eva

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