Читать книгу Eva - Lilian Adams - Страница 8

Fallende Muffins

Оглавление

Meine selbstgehäkelten Topflappen fallen mir ins Auge. Die nächsten muss ich etwas fester häkeln, denn perfekt halten diese die Hitze noch nicht ab. Ich greife sie mir trotzdem und öffne dann die Ofentür.

Ein Schwall heißer Luft dringt mir entgegen und macht unsere Küche vollends zur Sauna. Als ich dabei bin, das erste Blech aus dem Ofen zu heben, kommt Michael unverhofft hereingestürmt und rempelt Laura an, die mal wieder mitten im Weg steht. Mitten im Weg stehen ist sowieso ihre Spezialität. „Aua! Pass doch auf, Papa“, kreischt sie empört. Ich erschrecke und reiße dabei automatisch die Arme hoch. Wie Dominosteine machen sich die Muffins auf den Weg und kullern auf den Boden, ohne dass ich nur den Hauch einer Chance habe, sie mit meinem Bauch zu bremsen. Fassungslos schaue ich ihnen nach und entdecke in meinem Blickfeld dabei noch einen weiteren Störfaktor.

Cherie, der Nachbarshund ist ja auch schon wieder da. Hat der eigentlich kein Zuhause? Und wie ist der überhaupt schon wieder reingekommen? Bevor ich reagieren kann, rast Cherie heran, schnappt sich ein Teilchen und lässt es jaulend sofort wieder fallen. Dann schüttelt er sich erschrocken und verliert dabei einige Haare aus seinem Mischlingsfell. Man kann zusehen, wie sie in Zeitlupe anmutig zu Boden sinken. Cherie sieht mich vorwurfsvoll und zutiefst verletzt an und jault kurz auf.

Klingt wie „Faules“ Ich schüttele mich, um meine Anwandlung von Wahnsinn loszuwerden. „Mist, Mist, Mist“ jammere ich, als ich mich wieder auf das Malheur konzentriere. Nur wenige Muffins sind auf der mit Papier geschützten Seite gelandet. Ich hebe sie auf, betrachte sie kritisch und drehe jeden einzelnen in meiner Hand, um eine genaue Kontrolle über ihren Zustand zu bekommen. Wie eine Krankenschwester aus Emergency Room. Einige sortiere ich aus, die anderen lege ich vorsichtig auf die Arbeitsplatte.

Die ganze Arbeit, fast für die Katz! Ich spüre, dass ich schon wieder auf meiner Unterlippe herum kaue. Das tue ich oft, wenn ich nachdenke. Ich bin gerade dabei, mir das abzugewöhnen, aber auch das ist gar nicht so leicht. Dummerweise schaut Michael in meine Richtung, als meine Zähne noch außerhalb der Lippe hängen und ich ernte sofort seinen bösen Blick, verstaue sie wieder im Mund und versuche, abzulenken.

„Die da sind eigentlich auch viel zu schade zum Wegwerfen, ist ja nichts dran“, beschließe ich mit Blick auf die ramponierten Teile, die den Sturz nicht völlig unbeschadet überstanden haben. Zum Weiterverkauf taugen sie natürlich nicht. Aber wir können sie ja essen.

Nur fünf Muffins sind überhaupt nicht mehr zu retten. Sie haben sich im wahrsten Sinne des Wortes unter dem Tisch verkrümelt.

Laura sieht mit verschränkten Armen zu, wie ich mich nun bücke, um sie aufzuheben. Meine Kniegelenke knacken bedenklich. Ich sollte Sport machen. Ächzend krabbele ich unter unseren Küchentisch und sammele die größeren Brocken auf. Laura hat mich fest im Blick. Ihr Gesichtsausdruck erinnert mich an eine Zitronenverkostung der extrasauren Sorte. Lauras Lippen sind nur ein dünner Strich. „Fast wie Katharina“, denke ich erschrocken.

Meine Schwiegermutter verwendet auch gerne diesen herablassenden Blick. In ihrer Gegenwart fühle ich mich ständig minderwertig. Michaels Mutter sieht einfach immer, in wirklich jeder Lebenslage, aus, wie aus dem Ei gepellt. Damit ihre Dauerwellenfrisur Wind und Wetter überlebt, braucht sie bestimmt eine halbe Dose Haarspray am Tag. Mindestens. Das Ergebnis allerdings kann sich sehen lassen. Morgens, neun Uhr, Regen, ihre Frisur sitzt. Mittags, Windböen der Stärke zehn, ihre Frisur hält. Abends, ein Orkan tobt, die Frisur rührt sich nicht. Meistens geht mir Katharina mit ihrer Perfektion schrecklich auf die Nerven, aber das behalte ich natürlich für mich. Müssen ihre Schuhe immer exakt zu der Handtasche und dem Schmuck passen?

Ich krieche weiter unter dem Küchentisch herum, um auch an die letzten Krümel heranzukommen. Laura und Michael beobachten mich interessiert. Cherie folgt mir mit begeistertem Hecheln, rempelt mich mehrfach an, um sich vorzudrängeln, schafft es aber nicht und bekommt deshalb auch von der Beute nichts ab. Das wollen wir doch mal sehen! „Gib mir mal einen Teller und Kehrbesen mit Schaufel“, bitte ich Laura. Sie setzt sich in Zeitlupe in Bewegung und kehrt Ewigkeiten später erst zurück.

Ich komme mir vor, wie die armen Häftlinge früher, diese Schwerverbrecher, die in kleine Käfige gesperrt in die Hitze gestellt wurden. Ich merke, wie mir schlecht wird, deshalb beseitige ich das Chaos mit langsamen Bewegungen, bevor ich unter dem Tisch hervorkrieche und mich mühsam aufrappele. Zum Trost schnappe ich mir einen der kleine Kuchen, puste mal kurz darüber und beiße gierig hinein! Lecker! Die Bananen im Teig, weil mir die Zutaten ausgegangen sind, waren eine richtig gute Idee. Aus der Not heraus geboren, aber sind das nicht alle genialen Erfindungen? Ich stopfe den Rest in den Mund, atme tief aus und spüre sofort, wie der Stress von mir abfällt.

Das ist mein Yoga! Warum auf rosa Matten verrenken, wenn es eine perfekte Alternative gibt?

Dass ich auf Kuchen eigentlich verzichten wollte, habe ich kurzfristig total vergessen. Michael und Laura nicht. Beide stehen mit vor der Brust verschränkten Armen da wie Beauftragte der Inquisition. Sie werfen sich einen finsteren Blick zu und zucken gleichzeitig die Schultern. Vater und Tochter. Unverkennbar. Mir doch egal! Ich habe Zucker für meine Nerven gebraucht.

„Wolltest du nicht Diät machen, Mama?“, Laura hebt ihre rechte Augenbraue, ein Kunststück, das sie seit ihrer Kindheit beherrscht.

„Und du solltest aufhören, dir diese Pampe auf die Augen zu schmieren“, kontere ich unter der aufmunternden Wirkung der Schokolade, die ich in den Teig gepackt habe. Laura holte tief Luft, fuchtelt dramatisch mit den Armen, dreht sich um und rauscht aus dem Zimmer. „Lang macht die Tür das nicht mehr mit, ständig zugeknallt zu werden“, denke ich und überschlage die Kosten für den Austausch.

„Musst du sie denn immer kritisieren? Sie ist ein junges Mädchen und macht sich hübsch für die Jungs!“ Michael runzelt missbilligend die Stirn.

„Findest du ihre Kriegsbemalung etwa schön?“, hake ich nach. Michael denkt kurz nach und schüttelt dann den Kopf.

„Eigentlich nicht. Aber ich bin ja auch ein alter Mann.“ Ich werfe den Kopf in den Nacken. Es kracht. Ich bin sowas von verspannt. Kein Wunder. Schon wieder dieses heiße Eisen. Seit Michaels vierzigster Geburtstag vor der Tür steht, dreht er am Rad. Man könnte meinen, sein Leben sei dann vorbei. Egal, über was ich mich mit ihm unterhalte, früher oder später fällt ihm garantiert sein Alter wieder ein und er lenkt das Gespräch darauf. Mittlerweile kann ich das zuverlässig an seinen Mundwinkeln erkennen. Die fallen dann nämlich auch immer nach unten. Und dann sieht er tatsächlich alt aus. Bisher habe ich ihm das allerdings noch nicht gesagt.

Michael wird immer viel jünger geschätzt, als er tatsächlich ist. Ich finde ihn ja sowieso sehr attraktiv. Michael sieht gerade mit den grauen Schläfen interessant aus. Nur sollte er nicht immer die Augen zusammenkneifen. Das verstärkt die Stirnfalte, die er sich inzwischen zugelegt hat.

Ich halte ihm einen Muffin vor die Nase. „Willst du? “ Er schüttelt angewidert den Kopf. „Du weißt doch, dass ich auf Diät bin. Und ICH schaffe das auch.“ Ich kneife die Lippen zusammen, um nichts zu sagen. Michael ist schlank mit seiner Größe von einem Meter achtzig. Der kleine Bauchansatz, zu dem er neuerdings neigt, stört nicht im Geringsten. „Wenn er weiter abnimmt, sehe ich neben ihm wie eine Tonne aus“, fällt mir ein.

Ich bin stolze fünfzehn Zentimeter kleiner als mein Mann. Natürlich hab ich es mit hochhackigen Schuhen versucht, aber ich kann nicht gut darin laufen. Ich hake mich gerne bei meinem Mann unter, wenn wir unterwegs sind. Aber Michael hat eine riesige Schrittlänge. Ich muss zwei Schritte machen, wo er nur einen braucht. Einmal bin ich mit meinem Pumps im Pflaster hängen geblieben. Michael hat von meiner Misere gar nichts mitbekommen und ist einfach weitergelaufen. Dabei steckte mein Fuß noch fest. Er hat mir fast den Arm ausgekugelt.

„Ich soll dir Grüße von meinen Eltern ausrichten“, meldet sich Michael zu Wort. Ich nicke erfreut. Michael besucht die beiden meistens samstags morgens, während ich das Haus putze. Oft kommen meine Schwiegereltern auch sonntags zu Kaffee und Kuchen vorbei. Was heißt oft? Eigentlich immer, bis auf sehr wenige Ausnahmen. Normalerweise verabschieden sie sich pünktlich um fünf, damit sie ihre Lieblingssendung nicht verpassen. Mir bleibt so genügend Zeit, das Geschirr wegzuräumen, bevor ich zur Pizzeria fahre.

Manchmal allerdings sitzen sie zu entspannt auf ihren Stühlen. Das sind die Momente, in denen ich nervös werde, denn Katharina und Edgar wissen nicht, dass ich als Küchenhilfe in einer Pizzeria arbeite. Michael hat darauf bestanden, dieses klitzekleine Detail zu verschweigen, um seine Eltern nicht aufzuregen.

Eigentlich weiß niemand von meinem Job. Selbst die Kinder nicht. Laura und Max denken, ich gehe mit Marie zum Sport und danach zu Francesco essen. Dabei haben wir das nur ein einziges Mal gemacht. Das war an dem Tag, als ich den Arbeitsvertrag unterschrieben habe.

Michael schämt sich dafür, dass er nicht genug verdient, um die teuren Wünsche unserer Kinder finanzieren zu können. Er findet es schlimm, dass seine Frau berufstätig ist.

Dabei stehe ich zu meiner Arbeit. Hier bekomme ich wenigstens ein bisschen Anerkennung. Offiziell bin ich natürlich nur die Küchenhilfe. Aber etliche der Gerichte, die am Wochenende die Küche verlassen, wurden von mir persönlich zubereitet. Ich habe Francesco vor einer Weile mal um eine Gehaltserhöhung gebeten und bin abgeblitzt. Darüber habe ich mich zwar geärgert, aber beschlossen, nichts zu unternehmen. Wozu Stress machen? Davon haben wir schon genug durch unsere Wohnsituation.

Eva

Подняться наверх