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Besuch von Cherie
ОглавлениеAm nächsten Morgen stehe ich schon bei Sonnenaufgang auf. Obwohl meine Beine wackeln, denn ich bin hundemüde, bin ich optimistisch. Wochentage mag ich sowieso am liebsten. Dann geht Michael auf die Arbeit und die Kinder sind in der Schule. Für mich heißt das, dass ich am Vormittag eine Zeit lang hier absolute Ruhe habe und mir meine Arbeit so einteilen kann, wie ich es möchte. Ich bin erleichtert, dass es gestern dann doch nicht zum Familienkrach kam. Ich finde, das ist mein Verdienst und es macht mich stolz, dass ich einigermaßen Herr der Lage geblieben bin. Auf ein Zerwürfnis mit meinen Schwiegereltern habe ich nun wirklich keine Lust. Nahe genug dran waren wir allerdings.
Max hat tatsächlich eine Halbzeit gespielt und anschließend gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd, weil er ein Tor geschossen hat. Damit hat anscheinend keiner gerechnet und die Mannschaft hat ihn entsprechend gefeiert. Michael hat sich den ganzen Nachmittag nicht blicken lassen, aber das habe ich ja nicht anders erwartet. Er habe Kunden getroffen und sich mit ihnen unterhalten, war seine vorhersehbare Erklärung. Vielleicht könne er ihnen sogar einen Bausparvertrag verkaufen. Die Leute haben wohl sowas angedeutet. Hoffentlich klappt es, denn die Vermittlungsprovision könnten wir gut gebrauchen. Manchmal ärgert es mich schon, dass wir jeden Cent umdrehen müssen.
Prinzipiell könnte ich viel mehr zum Familieneinkommen beisteuern und wieder offiziell in einem Restaurant kochen. Mein Traum war es ja schon immer, ein eigenes kleines Restaurant zu haben. Nicht groß, aber exklusiv, mit einer Küche voller frischer Zutaten aus der Region und einer besonders gemütlichen Gaststube. Aber so eine Sache will natürlich gut überlegt sein und lässt sich ohne Geld nicht umsetzen.
Michael meint, wenn ich mehr Stunden in der Pizzeria arbeiten würde, rentiere sich die Sache nicht mehr, weil der Mehrverdienst fast ganz für die Steuer draufginge, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich so schlimm ist. Da finde ich sein zweites Gegenargument einleuchtender. Die Arbeitszeiten in der Gastronomie sind wirklich nicht für eine Hausfrau und Mutter geeignet.
Ich bekäme meine Familie wohl nur noch kurz in meiner Pause per Skype zu Gesicht, würde ich wieder als Chefköchin arbeiten. Den Traum werde ich also noch für einige Zeit begraben müssen. Schade, aber ich wollte schließlich Kinder.
Also beschließe ich, statt zu grübeln lieber in Sachen Familienfrieden aktiv zu werden und mein eigenes „wunderschönes Heim“ mal aufzuhübschen. Dazu schnappe ich mir den grünen Putzeimer mit den Blümchen und beginne, sauber zu machen.
Leider habe ich meine Lieben viel zu sehr verwöhnt. In Momenten wie diesen verfluche ich mich selbst dafür. Auf dem Wohnzimmertisch stehen die leeren oder halbvollen Gläser von gestern Abend und jede Menge Zeug knirscht unter meinen Füßen. Vorsichtig trete ich noch einmal drauf. Klingt wie Chips. Und ein weiteres Indiz am Tatort bringt die Gewissheit. Der Rest der Packung steht noch auf dem Tisch. Keiner hat daran gedacht, die Tüte zu verschließen. Der Inhalt ist garantiert knatschig. Ich mache den Geschmackstest. Nein, da ist definitiv nichts mehr zu machen!
Nachbars Hund ist auch schon wieder da. Er mag mich und ist mir ein treuer Begleiter. Wie jeden Morgen hat er mich auch heute am Gartentürchen erwartet, meine Zeitungstour mit mir gedreht und dann nach Hause begleitet. Sein Herrchen lässt ihn immer zum Pinkeln in den Garten und er weiß natürlich auch, wo er seinen Hund findet, falls dieser später nicht auf dem Rasen liegt. Das Loch im Gartenzaun ist ja groß genug. Da passt ein Kamel durch.
Jetzt liegt Cherie mal wieder laut schnarchend auf unserer Couch, obwohl er da eigentlich gar nicht hin darf. Er weiß das ganz genau, aber anscheinend stört es ihn nicht. Sobald ich die Terrassentür auflasse, wartet er, bis ich um die Ecke bin. Dann kommt er rein und legt sich auf unser Sofa. Obwohl es schon die Höhe ist, dass mir sogar ein fremder Köter auf der Nase rumtanzt, scheuche ich ihn jetzt nicht sofort auf, denn ich liebe diesen süßen Kerl und er sieht niedlich aus, wenn er schläft.
Jetzt wacht er allerdings gerade langsam auf und sieht mich ziemlich erschrocken an, als er nach mehrmaligem Fiebsen und Zucken endlich ein Auge aufbekommt. Wahrscheinlich hat er schlecht geträumt. Als er merkt, dass er ertappt worden ist, glaube ich, einen schuldbewussten Gesichtsausdruck wahrnehmen zu können. Aber vielleicht ist das auch nur Wunschdenken. Cherie rappelt sich mühsam auf und gähnt ausgiebig. Er hat bösen Mundgeruch und mir wird übel. Ihn beeindruckt das wenig. Er reckt und streckt sich ohne ein Zeichen von Eile.
Heute habe ich allerdings keine Zeit für Mätzchen und ich probiere es mit guten Worten. „Komm schon, Junge, runter vom Sofa!“, sage ich leise, denn ich möchte ihn nicht erschrecken. Er ist schließlich schon alt und mir ans Herz gewachsen. Sein Blick ist traurig, aber er rührt sich nicht von der Stelle. Erst als ich die Arme in die Hüften stütze und ihn grimmig ansehe, macht er sich in Zeitlupe auf den Weg und trottet zielsicher Richtung Küche. Wenn der denkt, ich renne jetzt gleich hinterher und fülle ihm seinen Fressnapf, irrt er sich gewaltig. Strafe muss schließlich sein. Schlimm genug, dass ich ihn überhaupt mit Leckerlis füttere.
Kurz darauf kommt mein bester Freund zurück. Er schleicht richtig und jault jämmerlich. Ich knicke ein. Ist ja nur ein Hund, der will mich nicht absichtlich ärgern. Also gebe ich dem armen Tier doch mal was Feines zu fressen und drücke bei der Gelegenheit auch gleich auf den Knopf der Kaffeemaschine.
So ein bisschen Koffein wird mir sicherlich guttun.
Jetzt brauche ich einen genialen Schlachtplan. Um die Fenster zu putzen, reicht die Zeit definitiv nicht mehr. Zu meinem Pech gab es gestern Abend ein Sommergewitter. Warum nur muss Katharina die Leute immer schon so früh bestellen? Seit einiger Zeit kommen die Besucher oft montags und das ist der denkbar ungünstigste Tag, um im Hause Faules eine Idylle vorzufinden. Am Wochenende sind alle Familienmitglieder daheim, erholen sich von den Strapazen der Woche und haben deshalb nur wenig Kraft, geschweige denn Lust, aufzuräumen.
Da ich sonntags immer erst spät nach Hause komme, müssen meine Lieben auch nicht damit rechnen, dass ich sie anmeckere, weil sie ihr schmutziges Geschirr nicht in die Spülmaschine geräumt haben. Manchmal sieht es bei uns aus, als wäre gerade das FBI zu einer ausgiebigen Hausdurchsuchung da gewesen. Quatsch, jetzt übertreibe ich schon ein wenig. Aber chaotisch geht es wirklich zu.
Laut Marie hängt das größtenteils an mir, weil ich nicht konsequent genug bin. Sie hat sicher Recht, aber es kostet mich mehr Energie, alles wie ein Mantra tausendmal zu wiederholen, als es selber zu machen. Großer Fehler, ich weiß, ich arbeite daran.
Letztens habe ich Katharina gebeten, die Besuchstermine auf den Dienstag zu legen. Sie hat die Nase gerümpft und mir empfohlen, meinen Sporttag doch einfach von Sonntag auf Dienstag zu verlegen. Ich habe ja die ganze Woche Zeit, Gymnastik zu machen, sie verstehe sowieso nicht, warum ich das ausgerechnet am Wochenende machen muss, wo doch die Familie daheim ist und Vorrang haben sollte.
Wenn Michael meinen „Schwieschwies“ nicht bald die Wahrheit sagt, werde ich es tun! Oder vielleicht lieber doch nicht. Michael hat Angst, dass sein Vater einen Herzanfall bekommt, wenn er erfährt, dass sich eine Faules als Küchenhilfe abrackern muss.
Und dann gibt es noch ein viel größeres Hindernis, denn wahrscheinlich würde Edgar mir anbieten, mit ins Immobiliengeschäft einzusteigen und das wäre mein persönlicher Untergang. Deshalb reiße ich meinen Mund lieber nicht so weit auf.
In letzter Zeit läuft das Geschäft für „TraumHeim“ Häuser anscheinend gar nicht mehr so gut. Obwohl dauernd Leute vor unserer Tür stehen- keiner gibt sich mehr zufrieden, nur ums Haus zu laufen - jammert Katharina jeden Sonntag, dass der Umsatz nachgelassen habe. „Wenn das so weitergeht“, seufzt sie dann regelmäßig, macht eine bedeutungsvolle Pause und klimpert mit den Wimpern.
Damit ich mir selbst und den Interessenten, die gleich hier erscheinen werden, eine Ikea-Familien-Idylle präsentieren kann, wirbele ich ein letztes Mal durch den Wohnbereich. Ich komme mir vor wie die „Bezaubernde Jeanny“. Doch als ich einfach mal die Arme vor der Brust verschränke, leicht mit dem Kopf nicke und mit dem Auge zucke, tut sich nichts. Schade!
Meinen Kindern habe ich schon am Samstag angedroht, ihre Zimmer eigenhändig aufzuräumen, sollte ich sie heute nicht in einem perfekten Zustand vorfinden. Michael hat die beiden am Morgen im Auto mit in die Stadt genommen. Das hat mir ein paar zusätzliche Minuten Zeit verschafft. Obwohl sie für diesen väterlichen Taxiservice eine halbe Stunde früher aufstehen mussten, waren Laura und Max von der Idee, chauffiert zu werden, begeistert, denn der Schulbus ist immer brechend voll. Meiner Meinung nach müsste man da auch mal was unternehmen. Selbst die armen Tiere haben auf dem Weg zum Schlachthaus mehr Platz beim Transport als Kinder auf dem Weg zur Schule. Wenn man mich fragt, ist das ein richtiger Skandal!
Durch meine Konzentration auf die zahllosen Ungerechtigkeiten der Welt bekomme ich einen richtigen Energieschub und in Windeseile arbeite ich mich durch das Chaos. Es ist mühsam, all die Dinge, die meine Familie einfach liegengelassen hat, wieder an ihren Platz zu bringen. Schon nach kurzer Zeit sind die Treppenstufen voller Sachen, die in die einzelnen Zimmer gehören. Da ich fürchterlich unausgeschlafen bin, werfe ich großzügig weg, was meiner Meinung nach in die Tonne gehört. Einige Zeit später sieht unser Wohnbereich eigentlich ganz hübsch aus. Nicht wie aus dem Hochglanzmagazin, aber dafür wohnt hier ja auch eine echte, vierköpfige Familie plus „Gast-hund“.
Bei meinem Einsatz ist auch Lauras Bikinioberteil hinter dem Sofa wiederaufgetaucht. Wie ich weiß, sucht sie es schon eine ganze Weile. Während ich mir noch ein gutes Tässchen Kaffee koche und ein Brötchen von gestern auf dem Toaster aufbacke, ertappe ich mich dabei, wie ich munter vor mich hin summe.
Sagte ich doch, das wird ein schöner Tag!