Читать книгу Eva - Lilian Adams - Страница 9
TraumHeim
ОглавлениеSchuld daran sind meine Schwiegereltern. Edgar ist durch und durch Unternehmer. Anstatt eines seiner „TraumHeimHäuser“ als reines Musterhaus zu nutzen, hat er es lieber gewinnbringend gleich wieder verkauft. An uns. Kein Wunder, dass er so erfolgreich ist.
Zwar haben wir das Haus günstig bekommen, aber wie so oft im Leben, gibt es auch hier einen großen Haken. Edgar hat uns die Sache schmackhaft gemacht, als wir jung verheiratetet waren und nur ein geringes Budget hatten.
„Ach Kind, wie hältst du das aus? Mit einem Baby in diesem Chaos zu hausen, das sind ja unhaltbare Zustände!“, kreischte Katharina entsetzt, als sie uns wieder einmal zum ungünstigsten Zeitpunkt besuchte. Laura bekam Zähne und brüllte die ganze Zeit. Entsprechend sah es in meinem Haushalt aus.
Wir hatten eine sehr kleine Wohnung und zu wenig Schränke. Meine Schwie - Schwies (bedeutet schwierige Schwiegereltern) fanden keinen Platz zum Sitzen, weil überall auf den Stühlen Wäschekörbe standen.
Edgar stand etwas verloren herum und fing dann an zu grinsen wie der Clown in diesem Horrorfilm. Dieser Gesichtsausdruck hat mir schon immer Angst gemacht. Wenn Edgar den aufsetzt, wird es ernst!
Aber diesmal machte er uns ein Angebot, das wir nicht ausschlagen konnten, nicht in unserer Wohnsituation. Unsere Küche war so winzig, dass man mit zwei Personen kaum Platz hatte, sich umzudrehen. Wir suchten schon länger nach einer anderen Bleibe für uns und unser Baby, waren aber bisher nicht fündig geworden.
An diesem Tag bot uns Edgar eines seiner Häuser an. Zum Verkauf. Absolut günstig!
Ab und zu kämen mal Leute vorbei, die sich das Haus vom Bürgersteig aus betrachten würden. Keine Einbrecher, sondern Interessenten. Das sei alles! Dagegen konnte man ja echt nichts sagen. (Außer, dass man seinem einzigen Sohn als reicher Unternehmer ein Haus ja auch hätte schenken können!) Auf der anderen Seite war es mir so lieber, ich wollte nicht immer „danke“ sagen müssen. Wir sind also auf den Deal eingegangen.
Ein paar Jahre lang lief alles glatt. Inzwischen war unser Max auf der Welt und ich stellte öfter mal den Kinderwagen unter den Fliederbaum im Garten. Laura sollte ab und an nach dem Baby gucken, während sie ansonsten nach Herzenslust im Garten spielen durfte. Die „TraumHeiminteressenten“ standen manchmal am Zaun und schauten zu, wie unsere Tochter den Kinderwagen wippte. Eine richtige Idylle. Sie waren aber auch zwei wirklich entzückende Kinder, die ich von unserem großen Panoramafenster aus immer im Blick hatte.
Ich war eine ziemliche Glucke, das bin ich heute noch. Es war eine tolle Zeit, als die beiden noch so klein waren.
Aber einige Jahre später wurde unser „TraumHeim“ immer mehr zu einem Alptraumheim.
Es fing recht harmlos damit an, dass Edgar eine Magen-Darm-Grippe hatte und Katharina deshalb kurz unbeaufsichtigt im Büro ließ. Dass dabei nichts Gutes rauskommen konnte, war ja klar!
Ausgerechnet jetzt kamen ein paar superschlaue Kunden auf die Idee, ein Musterhaus von INNEN ansehen zu wollen. Um ein Gefühl für die Proportionen zu bekommen, argumentierten sie. Erst lehnte meine Schwiegermutter ab. Doch dummerweise hatte Katharina bereits geprahlt, dass ihr eigener Sohn in einem „TraumHeim-Haus“ lebt und seine ganze Familie darin Platz hat. Deshalb haben die Leute darauf bestanden, uns mal zu „besuchen“. Ohne das Haus besichtigen zu können, käme kein Geschäft zustande. Also vereinbarte Katharina einen Besuchstermin und ich hatte das Nachsehen.
Ich musste das Haus auf Vordermann bringen, unserer zickigen Tochter und unserem motzenden Sohn gut zureden und bei meinem Mann auch noch Verständnis für die Unverschämtheit seiner Mutter heucheln. Ich hätte Katharina killen können, so sauer war ich.
Die Interessenten sind in aller Seelenruhe durch unser Zuhause geschlendert, haben überall herumgeschnüffelt und die Nase gerümpft und sich dann dazu entschlossen, bei einem anderen zu kaufen, weil „im Haus der Familie Faules eine schlechte Aura dominiert“. Das muss man sich mal vorstellen! Das hat diese Tussi tatsächlich gesagt!
Katharina war übrigens auch außer sich vor Wut. Ich hoffte, dass sie niemandem mehr diese miese Aura zumuten würde. Aber die gute Katharina war begeistert von der fantastischen Geschäftsidee, die ihr so unverhofft in den Schoß gefallen war. Sie begann, mit der Besichtigungsnummer zu werben. Jedes Mal, wenn sich nun jemand für ein „TraumHeim“ interessiert, bedeutet das für mich puren Stress. Ich habe Michael schon tausend Mal gesagt, er soll das abstellen, aber bisher nichts erreicht.
Wer will denn schon sein Zuhause zur Schau stellen? Live, wie bei Big Brother! Ich zumindest hasse das. Trotzdem will ich deswegen keinen Familienkrach provozieren und halte den Mund, obwohl es mir manchmal schwerfällt.
So oft kommen die Besichtigungen nicht vor, beruhige ich mich immer, wenn das Blut mal wieder in meinem Kopf zu rauschen anfängt. Katharina legt die Termine inzwischen immer auf einen Vormittag mitten in der Woche, um unser Familienleben nicht zu stören.
Über die Grüße meiner „Schwieschwies“ freue ich mich. Normalerweise ignorieren sie mich gerne. Sonntags, wenn unsere lieben Gäste schon am gedeckten Tisch mit dem guten Geschirr sitzen, versuche ich extra lange in der Küche zu bleiben. Oft backe ich ihnen etwas besonders Aufwendiges und schaffe mir so einen guten Grund für meine lange Abwesenheit.
In jedem Café wären meine Torten definitiv der Renner. Sie sehen toll aus und schmecken auch so. Aber daheim kann es passieren, dass alle zögern und nur eine papierdünne Kostprobe essen wollen. Irgendwer ist immer gerade auf Diät und schaut mit verkniffenem Mund und knurrendem Magen auf meinen Teller. Denn da liegt immer ein großes Stück meines jeweiligen Meisterwerkes.
Das mache ich absichtlich, um die Gesellschaft ein bisschen zu ärgern. Meist ist es die hagere Katharina, die ihren leeren Teller mit der flachen, diamantgeschmückten Hand abdeckt und gequält verkündet, der Hosenbund spanne ein wenig, nächste Woche wieder gerne.
Die Kettenreaktion erfolgt dann immer zuverlässig. Max und ich sind die einzigen, die herzhaft zugreifen. Edgar darf maximal ein schmales Stückchen Kuchen essen, dafür sorgt Katharina eisern. Woher wohl sein Kugelbauch kommt, der jeder Schwangeren im neunten Monat Konkurrenz machen könnte?
Dass meine Gedanken schon wieder abgeschweift sind, merke ich erst, als Michael mich mit diesem besonderen Blick anstarrt. Mit den Fingern macht er zusätzlich Klavierübungen, eine seiner Angewohnheiten zur Stressbewältigung. Dabei hat er niemals ein Musikinstrument gespielt. Er ist hoffnungslos unmusikalisch und kann keinen Takt halten.
Es dauert einen kleinen Moment, aber dann beschleicht mich ein vages Gefühl des Unbehagens. Ein Krümel hängt in meinem Hals und ich beginne zu husten. Schnell greife ich zu einem Glas, schütte etwas Mineralwasser hinein und leere es unter Michaels aufmerksamen Blicken in einem Zug. Ich fühle mich wie ein Wurm unterm Mikroskop. Er weiß, dass ich es nicht mag, wenn er mich so anstarrt.
Michael räuspert sich und ich halte ihm das Glas entgegen. Aber er schüttelt den Kopf und holt hörbar Luft: „Ach übrigens!“
Dann bricht er ab und überlässt es mir, nachzuhaken. Gedankenlos falle ich auf diesen alten Trick mal wieder herein und plappere los „übrigens was?“
Michael nutzt sein Stichwort, saust in den Flur und kommt nur Sekunden später mit einer großen Kiste voller Erdbeeren zurück. Mühsam hievt er sie auf den Küchentisch.