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Kapitel 8

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»Was willst du hier?«

»Ich dachte, ich komme dich mal wieder besuchen.«

»Wozu soll das gut sein?«, schnauzt es aus einem bartstoppeligen, faltigen Gesicht. Er schafft es mit Mühe, aus seinem Sessel aufzustehen, und kommt ein paar Schritte auf mich zu geschlurft.

Gute Frage, denke ich und zucke mit den Schultern. Ich bereue es schon fast wieder, dass ich hier rausgefahren bin.

»Du könntest dich wenigstens anmelden.«

»Du gehst nie ans Telefon, schon vergessen?«

Papa reißt mir den Kuchen aus der Hand und knurrt etwas, das wie »Weiß nicht, ob noch Kaffee da ist« klingt. Dann hantiert er mit zittrigen Händen in der Küche herum. Dabei macht er extra viel Krach, um mir zu zeigen, welche Umstände ihm der ungebetene Gast macht.

Meinen Vater als kauzigen Einsiedler zu bezeichnen, stellt eine groteske Beschönigung dar. Er ist ein lupenreiner Misanthrop, der die Menschheit als verheerende Krankheit betrachtet und nichts inständiger erhofft, als dass es mit ihr bald zu Ende gehen möge, damit der Planet und er endlich wieder ihre Ruhe haben. Bis es soweit ist, hat er sich in einem Wochenendhäuschen vergraben, das versteckt auf einem großen Waldgrundstück südlich von Hamburg liegt. Ich lasse mich in einen Ohrensessel fallen, der verdächtig nach Sperrmüll aussieht und auch so riecht, und warte auf den Kaffee. Selbst schuld, sage ich mir. Ich bin fast vierzig Kilometer gefahren, um mir anhören zu müssen, dass ich hier unerwünscht bin. Mache ich das eigentlich nur, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, oder habe ich wirklich Interesse daran, meinen Vater zu sehen? So oder so: Alle paar Monate sitze ich hier und ärgere mich.

Zugegeben, unser Verhältnis ist chronisch getrübt. Wir machen uns schon seit Jahren gegenseitig Vorhaltungen, die nicht ganz unwesentliche Punkte betreffen. Ich gebe ihm die Schuld dafür, dass er es geschafft hat, drei Ehen in den Sand zu setzen. Eine davon – es war die zweite – mit meiner Mutter. Er wiederum findet, dass ich meine Talente vergeude, indem ich vergammelte Möbel restauriere, anstatt Wirtschaftskapitänin geworden zu sein. Der Vorwurf rührt daher, dass ich zwar einen ziemlich guten Abiturdurchschnitt (eins Komma drei) geschafft habe, es aber ablehnte, einen seiner Masterpläne in die Tat umzusetzen (mit Leben zu füllen). Der erste sah vor, dass ich Betriebswirtschaftslehre studiere und die erste Frau werde, die ein Dax-Unternehmen leitet. Laut Plan B würde ich zunächst Staatsanwältin und dann die erste Frau werden, die es zur Generalbundesanwältin gebracht hat. Beim dritten Plan handelte es sich bereits um eine Notlösung: Sollten mir Plan A und B nicht zusagen, würde ich Medizin studieren, die Professorenlaufbahn einschlagen und später die Charité leiten. Ich kümmerte mich einen Dreck um seine eitlen Ambitionen und machte eine Tischlerlehre. Ein Umstand, den mir mein Vater bis heute nicht verzeihen kann. Er bezeichnet es als Arroganz der Bequemlichkeit, was einer Todsünde gleichkommt, da ich meine Möglichkeiten nicht nutze. Meine Mutter hatte überhaupt kein Problem mit meiner Entscheidung. Sie selbst hatte sich bereits Jahre zuvor gegen meinen Vater entschieden. Kurz nachdem sie gemerkt hatte, wie langweilig er samt seinem Leben und seiner Griesgrämigkeit eigentlich war, hat sie ihn verlassen. Ich war damals zwölf und fand es spannend, dass wir vom öden Hamburger Umland mitten in die große Stadt zogen. Dort, in der Wohnung ihrer Mutter, haben wir zu dritt gelebt. Sie hat wieder als Optikerin gearbeitet, und wenn ich mittags aus der Schule kam, wurde ich von meiner Großmutter betreut. Vor zehn Jahren ist meine Mutter ertrunken, beim Baden in der Nordsee. Ihr ist passiert, wovor sie mich ihr Leben lang gewarnt hat: Sie hatte die Strömung unterschätzt.

Im gleichen Jahr ist meinem Vater die dritte Frau weggelaufen. Inge ist eine herzensgute und lebenslustige Person, von der kein Mensch je verstehen konnte, dass sie meinen Vater geheiratet hat. Sie selbst offenbar auch nicht. Und als ihr das nach etwa fünfzehn Jahren ausreichend klar geworden war, hat sie ihn verlassen. Unter anderem, weil er sich trotz fortgeschrittenen Lungenemphysems weigerte, das Rauchen aufzugeben. Anschließend hat er sich hier im Wald verkrochen. Ab und an kommt sie her und schaut nach dem Rechten. Inge hatte seine sozialen Kontakte gemanagt, für ihn die Verbindung zur Außenwelt gehalten. Das ist ja nicht ganz untypisch für Männer seiner Generation: Die Kommunikation wird an die Ehefrau outgesourct. Bei meinem Vater ist es jedoch besonders extrem. Nach der Trennung ist eine Art Nachrichtensperre eingetreten. Zum Beispiel telefonieren: Anrufer betrachtet er als dreiste Eindringlinge, die es wagen, seine Privatsphäre zu stören. Deshalb geht er grundsätzlich nicht ran. Wenn man etwas von ihm will, muss man auf den Anrufbeantworter sprechen und hoffen, dass er zurückruft, was schon mal drei bis vier Monate dauern kann.

»Na, was macht dein Blutdruck?«, frage ich, nachdem er mir den Kaffee hingeknallt hat. Ich finde ein Papiertaschentuch in meiner Handtasche und wische die braune Pfütze weg, in der mein Becher schwimmt. Ich zeige auf das Gerät, das vor uns auf dem niedrigen Tisch liegt.

»Was geht dich das an?«, knurrt der Alte und schiebt mir die Pappe mit dem Blechkuchen rüber. Dann greift er in die Brusttasche seines Oberhemdes und fingert eine Zigarette aus einer zerknitterten Packung. Er streicht die Fluppe umständlich glatt und greift nach einem Einwegfeuerzeug. Es macht mich total kribbelig, dem Tanz seiner zittrigen Hände zu folgen, wie die Flamme nervös hin und her pendelt, bis sie endlich den Tabak erreicht, dieser aufglimmt und schließlich die erste Rauchwolke in seinem Mund verschwindet – um begleitet von einem rasselnden Husten wieder zu erscheinen.

Absurderweise ist mein Vater Hypochonder. Derzeit befindet er sich im Klammergriff seines neuen Blutdruckmessgerätes. Ich weiß das, weil ich mich hin und wieder bei Inge nach ihm erkundige. Er behauptet zwar, es sei ihm scheißegal, wann und woran er stirbt, bekommt aber Panikattacken, wenn er sein Herz nicht oder zu stark oder unregelmäßig schlagen hört, und legt daher alle fünf Minuten die Druckmanschette an. Als ich vorhin zur Tür rein kam, war er gerade wieder am Messen.

Sein Problem ist: Er misstraut natürlich allen Medizinern und weigert sich trotz chronischer Kurzatmigkeit, einen Arzt aufzusuchen.

»Vielleicht solltest du mal zu einem Heilpraktiker gehen.«

»Pah! Ich soll einem Möchtegern-Mediziner Geld in den Rachen schmeißen, der den Erfolg seiner Behandlung von meinem Glauben an seine Methode abhängig macht? Das ist ja wohl nicht dein Ernst!«

»Wie geht es Herrmann?«, frage ich, um das Thema zu wechseln. Herrmann ist ein alter Schulfreund meines Vaters. Er ist vor ein paar Jahren verwitwet und wohnt ganz in der Nähe. Seit beide alleinstehend sind, treffen sie sich ab und zu. Dann schlagen die beiden Dreiundachtzigjährigen gemeinsam die Zeit tot, indem sie Löcher in die Luft starren (O-Ton Inge).

»Er langweilt mich mit seinem hefigen Geschwätz über das Angeln und die besten Köder. Was für ein heimtückisches Hobby, ahnungslosen Fischen mit einem Angelhaken aufzulauern. Und dann finden diese Leute das auch noch idyllisch und naturverbunden, bloß weil sie an einem See sitzen, während sie sich den Arsch abfrieren.«

»Und gesundheitlich?«

»Woher soll ich das wissen? Glaubst du ernsthaft, wir hätten nichts Besseres zu tun, als über unsere Krankheiten zu reden?«

Der Beste kommt zum Schluss

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