Читать книгу Ein Haus am Ende der Welt - Im Finden verirren - Lis Vibeke Kristensen - Страница 18

Joyce

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»Du hast mein Kind verschenkt.«

Bill befindet sich in einem Auflösungszustand, den ich mit einer militärischen Laufbahn nicht für vereinbar gehalten hätte. Meine Versuche, ihn damit zu beruhigen, daß das nur ein vorläufiges Arrangement sei, prallen an seiner zunehmenden Verzweiflung ab. Ich schließe mich in meinem Büro ein, klemme die Lehne des Schreibtischstuhls unter der Klinke fest und lasse ihn toben. Erst als die Rufe und das Hämmern an der Tür verstummen und ich Vaters Stimme in der Diele höre, wage ich mich heraus.

Vaters Anwesenheit erweist sich als der beruhigende Faktor, der nötig ist, um zu einer Vereinbarung zu kommen.

Joel Gabriel bleibt, wo er ist. Ich kann mich nicht um ihn kümmern, jedenfalls nicht gerade jetzt, und Bill als alleinerziehender Vater in der Lavawüste ist ebenfalls ausgeschlossen.

Wir rufen Marge an, und Bill besteht darauf, mit Dave zu sprechen. Dieser hat sich an das zusätzliche Kind gewöhnt und hat keine Einwände.

Hier kann Bill nicht bleiben. Nicht noch eine Nacht unter demselben Dach wie ich. Ich fahre ihn zurück zum Flughafen. Irgendwie bin ich erleichtert.

Das ist meine letzte Begegnung mit Bill. Die Scheidung, im Prinzip undenkbar für einen guten Katholiken, aber unvermeidlich, wenn sich die Ehefrau als Monster erweist, regeln die Anwälte.

Bill erhält das Sorgerecht für Joel. Ich besitze nicht die Kraft zu protestieren, und die Regelung, die wir aushandeln, wirkt akzeptabel, jedenfalls bis auf weiteres. Ein Wochenende im Monat, zwei Wochen im Sommer und jedes zweite Jahr zu Weihnachten darf ich meinen Sohn an seinem, wie sorgfältig festgelegt wird, vorübergehenden Wohnort treffen. Dafür muß ich einen Kurs für katholische Eltern absolvieren. Bills Mutter hat sich das als angemessene Strafe ausgedacht.

Joel bleibt bei Marge, die wenig später das nächste Kind erwartet, bald darauf das dritte bekommt und, ehe man sichs versieht, das vierte, das im Doppel kommt.

Joel ist zusammen mit David junior, seinem Beinahezwilling, der Älteste einer Geschwisterschar.

In den Ferien wird er von seinem Vater abgeholt und nach Florida gebracht, wo Bills Eltern seit der Pensionierung leben. Sie besuchen das Disneyland und frühstücken dort mit Mickey und seinen Freunden. So meint Bill die wenige Zeit mit seinem einzigen Kind verbringen zu müssen.

Zu den vereinbarten Zeiten tauche ich dann mit ungewöhnlichen Teddybären und seltsamen Masken auf, mit neuen Ausdrücken und komplizierten Kinderreimen, und ich bin wahrscheinlich seine Mutter, aber was spielt das schon für eine Rolle. Joel ist glücklich, wo er ist, was kann ich mehr verlangen?

Joel ist ein nettes Kind. Ein freundliches Kind, das sich um andere kümmert. Als Vierjähriger hebt er ganz beiläufig und selbstverständlich ein Einjähriges, das gestolpert ist, vom Boden auf und umarmt es, um es zu trösten. Kinder und Erwachsene werden in Joels Gegenwart und unter seinen Händen, die im Verhältnis zu seinem Körper unerwartet groß und breit sind, ruhiger, und nicht nur seine Hände sind groß. Mein Sohn hat auch ein großes Herz. Es schlägt für einen Teddy, der einen Arm verloren hat, für tote Vögel und für Insekten in Not. Seiner Mutter streicht er über den Kopf, wenn sie ihre Stirn in zu besorgte Falten legt.

Ich würde jede Faser von ihm lieben, auch wenn er nicht mein Sohn wäre. Das bedeutet jedoch nicht, daß ich mir ein Leben mit ihm rund um die Uhr vorstellen kann. Jedenfalls nicht in den Jahren, die es mich kostet, von meinen zeitlich begrenzten Dozentenstellen auf eine feste Stelle an meinem alten Institut zu wechseln.

Das Verhältnis zwischen Sprachen und den einsickernden Fremdwörtern und von Sprachen und dem überall gegenwärtigen Einfluß meiner imperialistischen Muttersprache belegt mich den Großteil meiner wachen Stunden mit Beschlag. Aus einem ziemlich marginalen Spezialgebiet ist ein Modethema geworden. Ich bin gefragt und reise durch die Gegend, halte gut besuchte Vorträge und nehme an Seminaren und Podiumsdiskussionen teil.

Meine Affären, von kurzer Dauer und geringer Bedeutung, wickele ich bei diesen Gelegenheiten ab, und zwar so weit von meinem Zuhause entfernt wie möglich.

Vater hingegen hat wieder Boden unter seinen Füßen. Er geht neuerdings aus und sucht ab und zu eine gleichaltrige Witwe, Katholikin oder auch nicht, namens Mary-Ann auf. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, daß ich schließlich das Nest verlasse und in eines der alten Häuser in der Nähe des Campus ziehe, in dem es zufällig eine freie Wohnung gibt. Groß genug, daß darin ein Kind ein eigenes Zimmer haben kann.

Die Tür zu einer leuchtenden Zukunft ist weit geöffnet, da passiert es.

Ein Haus am Ende der Welt - Im Finden verirren

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