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I. Transzendenzschutz statt Tendenzschutz

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In der Literatur wird darüber gestritten, ob die für sog. „Tendenzbetriebe“194 geltenden arbeitsrechtlichen Grundsätze auf Religionsgemeinschaften übertragen werden können oder ob es mit Blick auf ihre spezielle verfassungsrechtliche Stellung besonderer Regeln bedarf.

Ein Teil der Literatur verneint einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Religionsgemeinschaften und Tendenzträgern mit dem Argument, dass ein „gewisser Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ auch in der kirchlichen Dienstgemeinschaft nicht geleugnet werden könne.195 Es sei kein gravierender Unterschied zwischen Grundrechten und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht festzustellen, zumal das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zunehmend in einem Funktionszusammenhang mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit gesehen werde.196 Auch sei die Unterscheidung zwischen Religionsgemeinschaft und Tendenzbetrieb wegen des staatlichen Neutralitätsgebots sowie des Gleichheitssatzes problematisch.197 Dem gegenüber vertritt ein großer Teil der Literatur den Standpunkt, die Religionsgemeinschaft sei bereits dem Grunde nach nicht mit einem Tendenzbetrieb zu vergleichen und unterliege daher gänzlich anderen Regeln.198

Die letztere Auffassung verdient Zustimmung. Zwar kann es zu Interessenkonflikten zwischen kirchlichem Arbeitgebern und Arbeitnehmern kommen.199 Der Unterschied zu einem Tendenzarbeitsverhältnis liegt aber darin, dass sich der umfassende religiöse Sendungsauftrag auf sämtliche Lebensbereiche und nicht nur auf Teilaspekte hiervon erstreckt.200 Die Unterscheidung berührt daher nicht das Gleichbehandlungsgebot.201 In einer gerichtlichen Auseinandersetzung würde sich das Gericht bei der Übertragung der Grundsätze für Tendenzbetriebe kirchliche Arbeitsverhältnisse sogar vielmehr in die Gefahr begeben, wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln. Das staatliche Neutralitätsgebot ist nicht mit einer Pflicht zur „kritischen Distanz“ verbunden202, sondern erfordert Toleranz und Offenheit für sämtliche religiöse oder weltanschauliche Ansichten203. Insofern verstößt die Berücksichtigung der Besonderheiten der Religionsgemeinschaft nicht gegen das Neutralitätsgebot, sondern sichert dieses erst ab. Dass die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV im Kündigungsschutzprozess Transzendenz- statt Tendenzschutz voraussetzen, bekräftigte das BVerfG im Übrigen in seinen Leitentscheidungen Stern und Chefarzt.204

Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG

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