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Mit heftig klopfendem Herzen zwängte sich Marta zwischen den Reportern durch, die die Korridore und die Halle des Gerichtsgebäudes blockierten, mußte jedoch feststellen, daß diese draußen vor dem Criminal Justice Center eine ähnlich undurchdringliche Mauer bildeten wie das dichte Schneetreiben. Kaum war sie durch die Drehtür des Gerichtsgebäudes getreten, fielen die Journalisten auch schon über sie her. »Kein Kommentar«, rief sie und blinzelte wegen der Schneeflocken und der grellen TV-Scheinwerfer.

Gerichtsreporter von der schreibenden Zunft eilten neben Marta her durch den Schnee, in den Händen Stenoblöcke und tragbare Kassettenrecorder, auf den Köpfen Baseballmützen gegen das Unwetter. »Marta, wird er freigesprochen?« »Marta, wie lange wird die Beratung dauern?« »Verkauft Steere seine Grundstücke an die Stadt, falls er verurteilt wird?«

»Kein Kommentar!« blaffte Marta und stürmte in Richtung Straße.

»Na los, Marta!« Auffällig geschminkte Fernsehreporter hasteten unter farbenprächtigen Golfschirmen, die Praktikanten über sie hielten, vor ihr her durch den Schnee. Die Kameramänner und Techniker rannten rückwärts vor ihr her, eine gängige Praxis, da sie im Laufen die Videokameras und Scheinwerfer auf sie richteten. »Marta, wird die Beratung wegen des Unwetters vertagt?« »Ms. Richter, bekommt Steere einen Freispruch?« »Was liegt als nächstes bei Ihnen an, Marta?« »Schreiben Sie an einem Buch?«

Marta blieb nicht stehen, um Süßholz zu raspeln oder Stimmung zu machen. Sie verlangsamte nicht einmal ihren Schritt. Sollten sie drucken, was sie wollten; die Tage, in denen sie in der Prozeßtretmühle war, waren vorbei, und sie hatte keine Zeit zu verlieren. Unter nachdrücklichem Ellenbogeneinsatz bahnte sie sich den Weg durch die Menge, und die Journalisten ließen von ihr ab, weil der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt, Tom Moran, aus dem Gerichtsgebäude auftauchte.

»Die gerichtliche Verfügung, die es Ihnen verbietet, über ein schwebendes Verfahren zu berichten, ist nach wie vor in Kraft«, hörte Marta Moran sagen, und sie spürte, wie sie sich innerlich verkrampfte. Der Staatsanwalt hatte die ganze Zeit über recht gehabt. Steere war ein kaltblütiger Mörder. Jetzt lag es an Marta, das zu beweisen. Aber wie? Der großmäulige Schwung, den sie im Besucherzimmer an den Tag gelegt hatte, hatte sich in nichts aufgelöst, eiskalte Windböen und die Wirklichkeit hatten ihn weggeblasen. Wo sollte sie anfangen? Zurück ins Büro. Sich neu orientieren. Los!

Marta eilte zur Straßenecke, um ein Taxi zu ergattern, und schob im Laufen den Ärmel ihres Trenchcoats zurück, damit sie einen Blick auf die Uhr werfen konnte. 15.15 Uhr. Wieviel Zeit blieb ihr noch? Bis morgen mittag? An der Ecke Market Street, an der dichter Verkehr herrschte, versuchte sie ein Taxi herbeizuwinken. Der Sturm war schlimmer, als sie gedacht hatte.

Der Schnee fiel in dicken, schweren Flocken und deckte alles zu, was ihm in die Quere kam. Bürogebäude, die Dächer der Abgänge zur U-Bahn und parkende Autos waren bereits weiß überzuckert, ihre Umrisse nicht mehr deutlich erkennbar. Von den Stromleitungen hingen Eiszapfen wie spitze Dolche. Die Ampel vor dem Rathaus war auf Rot eingefroren, was den ohnehin bereits zähflüssigen Verkehr fast völlig zum Erliegen brachte. Der Himmel war bleigrau. Bald würde es dunkel sein.

Hinter ihr ertönte ein lautes kreischendes Geräusch, und Marta fuhr herum. Ein Ladenbesitzer zog ein Sicherheitsgitter vor die Glasfront seines Geschäftes. Die anderen Geschäfte hatten bereits geschlossen und ihre Lichter gelöscht. Pendler strömten über die Gehwege zur U-Bahntreppe, sie hatten früher Feierabend gemacht. Philadelphia machte dicht, es fror Stein und Bein. Was hatte sie sich bloß vorgenommen? Ihr blieb nur eine Nacht, und das mitten in einem verfluchten Blizzard.

Im grauen Schatten des Rathauses winkte Marta energischer. Der Verkehr floß schneller, sobald die Wagen um die Ecke des viktorianischen Gebäudes bogen und auf die Überholspur zu den von Bäumen gesäumten Ausfallstraßen einfädelten. Autos spuckten Wolken qualmender Abgase, und ein Kleinbus, der sich vorzudrängen versuchte, spritzte Schneematsch auf Martas Pumps. Sie entdeckte ein Taxi und winkte, aber es fuhr weiter. Besetzt. Aus heiterem Himmel befiel Marta eine Erinnerung.

He! Sie steht am Straßenrand. Winkt. Autos rasen vorbei. Wind zerrt an ihren Haaren. Es ist kalt auf der Straße. Winter in Maine. He, Mister. Bitte halten Sie an!

TUUT! plärrte ein Bus, der bereits bis fast auf ihre Höhe herangekommen war. Erschrocken sprang Marta in dem Moment auf den Bordstein zurück, als seine gewaltigen Räder, von deren Reifenprofilen festgebackener Schnee abplatzte, an ihr vorbeiwalzten. TUUT!

»Alles in Ordnung, Miss?« erkundigte sich eine Stimme, aber Marta nahm sie kaum wahr, denn sie hatte ein Taxi ein Stück weiter die Straße hinauf erspäht. Das Zeichen auf dem Dach des Taxis leuchtete gelb. Es war frei!

Geschickt wich Marta den Passanten aus und stürzte, Aktentasche und Handtasche unter den Arm geklemmt, auf das Taxi zu. Der Schnee fiel naß auf ihr Gesicht und in ihre Augen, aber sie blinzelte ihn weg. Das Taxi kam auf der Straße herangekrochen, seine Scheinwerfer leuchteten schwach durch den Schnee. Marta winkte wie eine Wahnsinnige. Im Näherkommen glaubte sie, auf dem Rücksitz eine schemenhafte Gestalt sitzen zu sehen. Verdammt. Durch die dunklen Fenster konnte sie im Wageninnern so gut wie nichts erkennen. Marta erreichte das Taxi und hämmerte gegen das Rückfenster.

»He, he!« schrie sie und schlug heftig gegen die Scheibe. »Ich brauche das Taxi!« Ein alter Mann saß auf dem Rücksitz. Befremdet wich er vom Fenster zurück, und Marta wurde vage bewußt, daß sie sich wie eine Verrückte gebärdete. Das, was vor ihr lag, und die wenige Zeit, die sie dafür hatte, nahmen ihr jede Hemmung. Marta riß die hintere Tür des Taxis auf. »Ich brauche ein Taxi. Ich muß auf die andere Seite der Stadt! Es handelt sich um einen Notfall!«

»Nein!« kreischte der alte Mann. Die Augen hinter der Brille weit aufgerissen, drückte er sich tief in den Rücksitz. Das Taxi kam schlingernd zum Stehen.

»He, Lady!« schrie der Fahrer und drehte sich verärgert um. An seinem Armaturenbrett hing ein Duftspender, der die Form einer Königskrone hatte. »Was bilden Sie sich eigentlich ein?«

»Das ist ein Notfall«, erklärte Marta. »Ich muß unbedingt auf die andere Seite der Stadt.«

»Machen Sie, daß Sie aus meinem Taxi kommen! Ich habe schon einen Fahrgast!«

»Teilen wir uns die Fahrt. Ich gebe Ihnen fünfzig Dollar.«

»Sind Sie komplett verrückt?« brüllte der Taxifahrer.

»Sagen wir hundert! Abgemacht?« Marta setzte einen Fuß in den Fahrgastraum des Taxis, aber der alte Mann wich entsetzt zurück, und der Fahrer wehrte sie mit einer behaarten Hand ab.

»Schluß jetzt! Raus aus meinem Taxi!«

»Zweihundert! Wir fahren zusammen. Sie setzen mich unterwegs ab. Ein Stück durch die Stadt für zweihundert Dollar!«

»RAUS HIER, LADY! Sie sind ja nicht bei TROST!«

»Nein, warten Sie!« schrie Marta, aber das Taxi ruckte an, die Tür schlug zu und stieß gegen ihre Handtasche und die Aktentasche, die beide auf der verschneiten Straße landeten. Marta fischte sie aus dem Schnee und wischte sie ab. Verdammt! Irgendwie mußte sie ins Büro kommen. Vielleicht sollte sie die Taxizentrale anrufen. Marta fummelte ihr Handy aus ihrer Handtasche und drückte auf die winzige AN-Taste. Nichts. Die Batterie war leer. Marta war kurz davor, das Telefon quer über die Market Street zu schleudern, da sah sie ein anderes Taxi auf sich zukommen. War das frei?

Sie klemmte ihre Sachen unter den Arm und rannte los.

Von der anderen Straßenseite aus beobachtete sie ein hochgewachsener Mann in einer schwarzen Lederjacke. Er lehnte an der imitierten klassizistischen Fassade von Hechts Kaufhaus und trug trotz der eisigen Temperaturen keine Kopfbedeckung. Marta bemerkte ihn nicht. Aber selbst wenn, sie hätte ihn nicht erkannt, denn Bobby Bogosian war niemand, den Elliot Steere ihr je vorstellen würde.

Freispruch für einen Mörder

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