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4.
ОглавлениеKonserven waren es, mit denen sich ihre Mutter umgeben hatte, als Stella an einem ihrer Heimfahrtswochenenden nach Hause kam. Konservenbüchsen standen in der Küche, auf dem Dielentisch und den ganzen Weg bis ins Schlafzimmer hoch. Manche waren geöffnet und leer; einige waren noch halbgefüllt mit ihrem jetzt schimmligen Inhalt, andere noch ungeöffnet. Bei ein paar Büchsen hatte sie offensichtlich versucht, sie aufzubekommen, aber es war ihr nicht gelungen. Einige hatte sie in einem Wutanfall in der schönen Diele herumgeschmissen. Das Glas von Großvaters Porträt war zerschlagen, ebenso die Graal-Vase, die immer auf dem Tischchen neben dem Sofa in der Diele gestanden hatte. Sie lag jetzt in tausend Stücken, zum Teil auf dem Sofa, zum Teil auf dem Boden.
Im Schlafzimmer lag Stellas Mutter, auch sie in tausend Stücken, obwohl es ihr von außen nicht anzusehen war. Sie blickte Stella unter halbgeschlossenen Lidern an, und ihr Mund verzerrte sich zu etwas, das ein Lächeln sein sollte. Stella stand in der Türöffnung, ihren Rucksack neben sich, gesund und mit roten Wangen trotz des Gestanks und der vielen Scherben überall.
»Willkommen zu Hause, meine Kleine«, sagte ihre Mutter heiser. »Willkommen zu Hause. Leider habe ich eine Magen-Darm-Grippe, aber das geht schon vorüber.«
Stella starrte sie mit klopfendem Herzen an. Bei ihrem letzten Besuch war ihre Mutter beinahe nüchtern gewesen, jedenfalls hatte sie das behauptet. Stellas Onkel war zur Stelle gewesen und hatte in der Küche für alle drei Eier gebraten, und dann hatte er Stella zum Bahnhof gefahren. Er hatte ihr über den Kopf gestrichen und gesagt, alles werde gut werden.
»Wo ist Onkel Sten?« brachte sie heraus.
Ihre Mutter reckte sich auf dem Bett und lachte lautlos.
»Der«, sagte sie lallend. »Weiß nicht. Wohl im Ausland oder so.«
Stella bemerkte, daß sie fror und ihr schlecht war.
»Und Jaqueline, wo ist die?« fragte sie.
»Deine Schwester«, sagte ihre Mutter, »hat wirklich alles getan, was möglich war. Genau, alles. Im Augenblick ist sie sicher tanzen, in irgendeiner ... Diskothek.«
Ihre Mutter war besoffen. Stella ging rückwärts aus dem Zimmer, die Treppe hinunter, stolperte über eine Koservenbüchse, fing sich jedoch wieder, setzte sich auf die unterste Treppenstufe und fing an zu weinen.
Danach war sie unfähig aufzustehen.
Es begann zu dämmern. Aus dem Schlafzimmer über der Treppe erklang lautes Schnarchen. Ihre Mutter schlief, schlief den tiefen, traumlosen Schlaf des sich selbst freisprechenden Alkoholikers.
Stella hingegen war schmerzlich hellwach, außerstande sich zu rühren.
Als Stellas Onkel endlich zur Villa hinauskam, war es völlig dunkel. Er öffnete die Haustür, und ein Lichtstreifen fiel auf Stellas Gesicht. Sie hatte die ganze Zeit in derselben Stellung auf der Treppe gesessen, zusammengekauert, die Arme um die Knie geschlungen, wie ein Ungeborenes.
Zwei Tage später waren die Konservenbüchsen fort, das ganze Haus fleckenlos gereinigt von einem jungen polnischen Paar aus Sundbyberg und Stellas Mutter nach einem ›Sanatorium‹ in Dalarna abgereist. Stella selber stand, ihren Rucksack neben sich, wieder auf dem Bahnsteig, unter all den anderen Schülern, um mit dem 18.08-Zug zur Schule zurückzufahren.
»Wie war’s?« schrie jemand hinter ihr.
»Irre!« antwortete ein anderer. »Und bei dir?«
»Äh, nur Familientreffen und so’n Zeug«, schrie die erste Person wieder. »Verdammt reizend, aber nicht gerade sehr amüsant.«
Stella rührte sich nicht, nicht bevor Gunvor kam, ihr einen Klaps auf die Schulter gab, sie kurz und fest umarmte und ihr ein Sorbits hinstreckte.
»Ich hab mich das ganze Wochenende nach euch gesehnt!« rief sie laut. »Wo sind die anderen?«
Ihre Augen leuchteten, voller Wärme und Hoffnung auf erwiderte Liebe.
Nur mit Anstrengung nahm Stella das kleine, harte, weiße Kaugummidragee entgegen und stopfte es in den Mund.