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1.

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Ein zerkratztes Exemplar der Greatest Hits von Stan Getz drehte sich auf dem Plattenteller und breitete einen behaglichen, romantischen Klangteppich um sie aus. Irgendwann, ganz woanders und vor ziemlich langer Zeit hatte eine von ihnen gesagt, zu dieser Platte lasse es sich besonders gut lieben. Jetzt ging es zwar nicht um Sex; aber dennoch.

Es knallte und dampfte leicht um die geöffnete Champagnerflasche, als Stella den rauhen, widerspenstigen Korken endlich in der Hand hielt. Wie immer, wenn ihr etwas gelungen war, lief ihr das Wasser im Mund zusammen – ob es nun Korken in Flaschen, Pickel im Gesicht oder Splitter in braungebrannten Sommerfüßen betraf. Das Entscheidende war, etwas in den Griff zu kriegen, zu gewinnen, die Elemente zu besiegen.

Sie zu besiegen.

Es war ein rein physischer Genuß. Sie schluckte den Speichel hinunter.

»Her mit den Gläsern«, schrie sie fröhlich, und sofort streckten ihr drei willige Hände hauchdünne, hohe Kristallgläser entgegen. Schäumend floß der Champagner hinein und drohte über den Rand zu gehen, doch Stella wußte genau, wie man es zu machen hatte.

Schon als kleines Mädchen hatte sie es gelernt.

»Wie geschlagenes Sperma«, sagte Catta mit ihrer heiseren Stimme und betrachtete leicht angeekelt den Schaum.

Ein süßlicher Geruch hing über dem Tisch.

»Du bist nicht normal«, sagte Lizzie ein wenig sauer, als sei der Kommentar eine Beleidigung an sie persönlich. »Zum Kuckuck, das ist immerhin Dom Perignon!«

»Ach so, Domp, na dann«, erwiderte Catta ironisch.

Immer wieder reagierte Catta genervt, wenn Lizzie solche Ausdrückte verwendete. »Zum Kuckuck.« »Um Himmels willen.« »Gott behüte.« »Donnerschlag.« Es war bäurisch und beknackt und zeugte von Lizzies fehlender sozialer Zugehörigkeit. Das konnte Catta die Wände hochgehen lassen. Zugleich schämte sie sich ihrer heftigen Reaktion.

Woher rührte die, wenn nicht aus eigener Unsicherheit?

Sie wehrte den Gedanken ebenso plötzlich ab, wie er gekommen war.

»Nein, es gibt wohl keinen, der Domp im Schwanz hat«, fuhr sie statt dessen fort, sehr wohl wissend, wie niedrig Lizzies Toleranzniveau bei sogenannten unanständigen Wörtern war. »Nicht mal Frank oder Charlie, stimmt’s?«

Lizzie gab keine Antwort. Sie lehnte sich nur auf dem Sofa zurück und betrachtete das Glas mit der hellgelben Flüssigkeit, betrachtete es intensiv. Es beschlug bereits. Die Flasche war gutgekühlt, fast aufgedunsen vor Kälte gewesen, als sie sie aus der Gefriertruhe genommen hatte, wo sie zwischen den sorgfältig geschnittenen und ebenso sorgfältig eingepackten Kalbfilets und Entrecotescheiben gelegen hatte. Lizzie öffnete ihre Gefriertruhe stets mit einem wohligen Gefühl; da drinnen gab es so viel Geborgenheit, so viele Verheißungen angenehmen Zusammenseins und der Gemeinsamkeit, so viele vorbereitete Gerichte, die zu zubereiteten Gerichten werden konnten, sobald sie es wünschte.

Cattas Kommentar kümmerte sie nicht, solche Anwandlungen hatte Catta schon immer gehabt. Es war sinnlos, ihr zu antworten, wenn sie in der Stimmung war; vermutlich mußte sie sich selbst etwas beweisen. Anscheinend wollte sie gern aufrührerisch sein, wollte unanständige Wörter in den Mund nehmen können, trotz ihrer feinen Erziehung. Außerdem war schließlich Catta das Geburtstagskind, also hieß es, sich zusammenzureißen und den Ärger nicht anmerken zu lassen.

Allerdings nervte es etwas, daß Gunvor einfach nur dasaß und über Cattas Kommentar lachte. Sie lachte ihr glückliches, blubberndes Lachen, das in Wellen aus der Magengrube aufwallte, ihr Tränen in die Augen trieb und den ersten Schluck Champagner in den falschen Hals setzte, so daß Stella ihr auf den Rücken klopfen mußte.

»Kleine Sünden straft Gott sofort«, sagte Lizzie in strengem Ton zu Gunvor. »Wir haben noch nicht mal angestoßen, Gunni. Keine Extrawurst. Sieh dir das Geburtstagskind an!«

Alle blickten zu Catta hinüber, die mit Lizzies elfenbeinfarbenen Sofakissen im Rücken dasaß. Das blonde Haar fiel ihr weich auf die Schultern im sahnefarbenen Seidenpyjama herab, und in der Hand hielt sie ein noch gänzlich unberührtes Sektglas. Catta sah aus, als könne nichts in der Welt sie erschüttern, als könne nichts diese kühle Schönheit stören, und sie war sich des Eindrucks, den sie vermittelte, wohl bewußt.

Nichts konnte jedoch falscher sein, aber das brauchte sie ja wohl keinem auf die Nase zu binden?

Probleme waren dazu da, daß man sie für sich behielt. Das Trio hier mußte doch nicht wissen, daß sie nachts nicht schlafen konnte, aus Sorge, wie es mit ihr weitergehen sollte? Sie hatten doch nichts mit ihr und ihrem Vater zu tun? Oder mit ihrer Beziehung zu Charlie und dem Fakt, daß er seine Familie nie verlassen würde? Oder damit, daß sie nicht mehr malen konnte? Sie hatte schließlich mehr als ein Jahr lang mit keinem dieser Mädels hier ein ordentliches Wort gesprochen, also wäre es ja wohl merkwürdig, jetzt damit anzufangen. Eine Geburtstagsfeier, kombiniert mit einem Wiedersehen, war kaum die richtige Gelegenheit für Klagelieder. Statt dessen lächelte Catta ein kühles, korrektes Zelluloidlächeln.

Der Unterschied zwischen Catta und der armen Gunvor neben ihr, in ihrem schmutziggrauen Flanellschlafanzug, der die bleichen Wülste zwischen Jacke und Hose kaum verdeckte, war gewaltig. Gunvor, die mollige, reizende und leicht kurzatmige Gunvor, bei der eigentlich kein Kleidungsstück saß, wie es sollte; sie hätte sich möglichst weit von Catta wegsetzen sollen, und sie wußte es. Statt dessen suchte sie ihre Nähe, wie ein Hund die seines Herrchens, mit liebevollen braunen Augen, wohl wissend, daß die anderen, wenn sie in der Stimmung waren, sie stets aufzogen.

Es kümmerte sie nicht.

Wenn man nicht zeigen durfte, daß man jemanden mochte, was hatte es dann für einen Sinn, überhaupt zusammenzusein? Und zusammenzusein war wichtig. Es war wichtig, weil alles andere so schwer zu ertragen war – das Fehlen eines Liebsten, der verhaßte Job, ihre Unfähigkeit, sich den Stockholmer Kreisen anzupassen.

Das einzige, von dem Gunvor wußte, daß sie es beherrschte, waren Freundschaftsbeziehungen. Also waren sie wichtig, wichtiger als alles andere.

Lizzie, auf dem Platz der Gastgeberin ihnen gegenüber, so dicht an der Küche, daß sie rasch aufstehen und hinausgehen konnte, trug Franks großen, weißen Frotteemorgenrock über einem höchst gewöhnlichen Schlafanzug. Sie hatte ihn sorgfältig ausgesucht, einen ganz normalen Schlafanzug, damit sich die anderen in ihrer Gesellschaft wohl fühlten. Der modischere Spitzenpyjama, den ihr Frank geschenkt hatte, blieb beispielsweise in der Schublade liegen, nur damit sich Catta heute abend als die Eleganteste fühlen konnte. Auch der verschlissene Calidapyjama war verworfen worden, obwohl er für eine Pyjamaparty eigentlich genau das richtige war – doch besaß schließlich Gunvor in dem Quartett das Patent, reizend, ein wenig abgewetzt und täppisch wie ein Welpe zu sein.

Lizzies Rolle war, genau in der Mitte zu liegen, so normal wie nur möglich zu sein. Deshalb die Wahl dieses Pyjamas.

Über Stella hatte sie nicht nachdenken müssen; es war völlig unmöglich, Stellas Verhalten oder ihre Kleidung im voraus zu erraten, doch bestand jedenfalls nur geringe Gefahr, daß etwas davon mit Lizzies Kleidung kollidieren könnte.

Stella, bequem auf dem Sofa zurückgelehnt, das Glas zwischen den langen Fingern, trug überhaupt keinen Pyjama. Statt dessen hatte sie ein ausgeblichenes Hemd an, auf dem ein Bild von Snoopy mit dunkler Sonnenbrille zu sehen war, ein Hemd, das über der Brust spannte und auf dem man den Text »Joe Cool« lesen konnte. Sie war die einzige, die noch immer geschminkt war, weil sie es haßte, in die Sauna zu gehen. Ihre jetzt nicht mehr auf die Kleidung abgestimmten Ohrringe kamen aus London. Die langen roten Haare hatte sie mit Hilfe eines Stifts zu einem Büschel auf dem Kopf zusammengezwirbelt, und sie sah – so war es immer bei Stella – unglaublich toll aus.

Sie hatte sich konsequent geweigert, Nachtkleidung anzuziehen. Eine Pyjamaparty war nicht Stellas ›bag‹. Auch ein Wiedersehen nicht. Besonders nicht mit Freundinnen, mit denen sie keinerlei Gemeinsamkeiten mehr hatte, auch wenn alle, außer ihr selbst, das mit aller Macht abzuleugnen schienen.

»Ein Skål auf das Geburtstagskind!« sagte Lizzie und prostete Catta zu. »Ein gutes neues Jahr, und ich hoffe, du bekommst viele Geschenke, die uns allen stehen.«

»Heißt das, du hoffst, daß wir, wie durch ein Wunder, plötzlich alle denselben Geschmack haben?« fragte Stella amüsiert.

Es wurde still, eine leicht drückende Stille. Stella schämte sich auf einmal. Sie lächelte wieder und ließ ihr Glas gegen Cattas klingen.

»Na okay. Auf ein langes und glückliches Leben«, sagte sie, »und daß du dicker bleiben mögest als ich.«

»Und als ich«, sagte Gunvor und kicherte so sehr, daß ihr weicher Bauch hüpfte, »aber das ist wohl eine physische Unmöglichkeit.«

Ihre braunen Augen funkelten, und die Grübchen in ihren Wangen wurden tiefer, während sie an ihrem Glas nippte und die anderen betrachtete. Sie hatte seit dem Abendessen einen Weinfleck auf der Pyjamajacke, ein Sokken hatte ein Loch, und sie war etwas beschwipst, vielleicht weil sie so nervös gewesen war, sie alle wiederzusehen. Andererseits war Gunvor fast immer so fröhlich, was mehr war, als man von den anderen behaupten konnte.

Doch auch Catta schien ausnahmsweise entschlossen, sich ihre gute Laune nicht verderben zu lassen.

»Moment mal. Wer ist hier die Jüngste?« fragte sie und hielt scherzhaft die Hand hinters Ohr. »Wer ist die Jüngste? Ihr werdet alle vor mir dreißig.«

»Sprich nicht davon«, sagte Lizzie finster.

In ihrem Inneren zuckte die Unruhe, fast als zappelte da ein kleiner Fisch. Bald dreißig. Bald würde alles verändert sein, und sie hatte nichts dagegenzusetzen, keine inneren Kräfte, auf die sie sich verlassen konnte. Die ganze Welt war ins Wanken geraten, und niemand war da, der ihre Hilferufe hörte.

Vielleicht rief sie nicht laut genug?

In ihr wuchs das Kind, das Kind, das schon richtige kleine Finger, Zehen und froschähnliche, blinde Glotzaugen besaß; das Kind, das in ein paar Wochen geboren werden sollte. Wenn das Kind da war, würde alles anders sein, und sie würde nie mehr zu der alten Lizzie zurückfinden. Sie wagte nicht, ihre Unruhe hinauszuschreien, denn sobald sie das tat, stand fest: Sie war nicht nur eine schlechte Frau und Ehefrau, sondern würde auch noch eine schlechte Mutter sein.

»Du hast doch wohl keinen Grund, dir Sorgen zu machen!« rief Gunvor entrüstet und schaute Lizzie an. »Du bist doch verheiratet!«

Stella und Catta brachen gleichzeitig in Lachen aus. Sie warfen sich einen Blick zu und verdrehten die Augen.

»Sie ist doch verheiratet!« wiederholte Stella mit übertriebener Betonung.

»Ja, da kann sie ja keine Probleme haben!« sagte Catta ganz unschuldig.

Sie lächelten sich zu, ein bißchen verlegen. Das war ja fast der alte Ton! Wo kam der auf einmal her?

»Skål«, sagte Stella. »Gratuliere. Meine ich wirklich.«

Ihre Gläser stießen wieder aneinander. Dann wurde es still. Alle tranken und vermieden es, sich anzusehen.

»Macht dir irgendwas Sorgen, Lizzie?« fragte Gunvor. »Im Ernst?«

»Nein, nein«, erwiderte Lizzie so fröhlich, wie sie nur imstande war. »Alles völlig okay. Frank und ich freuen uns riesig, und mit dem Kind läuft alles, wie es soll.«

Sie hörte selbst, wie albern das klang.

»Ein neuer, schöner Morgen im Glücksland!« sagte Stella gekünstelt.

»Und wie steht’s mit Benjamin, apropos Alter?« fragte Catta unschuldig und wandte sich ihr zu.

Ein Stechen durchlief die feinen Nervenfäden in Stellas Brustkorb, fast glaubte sie zu sehen, wie es sich, feuerrot, in ihrem ganzen Nervensystem ausbreitete. Doch war ihr äußerlich nichts anzumerken, soviel wußte sie. Deshalb steckte sie sich ruhig eine Zigarette an und erwiderte die Blicke der anderen mit ausdrucksloser Miene.

»Gut«, sagte sie. »Wirklich super. Es macht Spaß, mit jemandem zusammenzuleben, kaum vorstellbar bei dem, was man so um sich rum sieht!«

Lizzie, die einzige in der Runde, die seit mehreren Jahren verheiratet war und nicht allein lebte, schluckte die Stichelei, spitz wie sie war, konnte sich aber einen Gegenangriff nicht verkneifen.

»Ist es auf die Dauer nicht anstrengend?« fragte sie. »Ich meine, ich kenne Benjamin ja nicht, aber er ist doch jedenfalls ziemlich viel jünger als du, stimmt’s? Seid ihr nicht sechs Jahre auseinander?«

Stella lächelte. Sie sah aus, als beherrschte sie jeden Fingerbreit ihrer tatsächlich äußerst gut gespielten, bei vielen früheren Gelegenheiten eingeübten Lässigkeit in dieser Frage.

»Sechseinhalb, um genau zu sein«, sagte sie, »und das bist du doch gern. Nein, es ist nicht anstrengend. Es ist toll! Wie steht es übrigens mit Frank, in puncto toll, amüsant und so weiter?«

Lizzie biß die Zähne zusammen. Sie wußte doch, daß sie kein so dickes Fell besaß wie Stella; warum hatte sie sich auf diesen Nahkampf eingelassen?

»Frank und ich, wir haben es bestens!« sagte sie. »Entschuldige, wenn ich einen wunden Punkt getroffen habe!«

»Das war kein wunder Punkt!« sagte Stella unbekümmert. »Du solltest selbst mal probieren, wie es ist, mit einem jungen, witzigen Typen zusammen zu sein. Das hat seinen besonderen Reiz!«

Lizzie errötete heftig. Ihr fiel nichts zur Verteidigung ein: Es stimmte, Frank arbeitete beinahe ständig und ging selten oder nie mit ihr aus. Aber wie konnte Stella das wissen, nach so langer Zeit? Sie sahen sich doch nie.

Oder hatte man Frank damals schon alles anmerken können?

Catta schaute zu Lizzie hinüber. Deren Augen glänzten verräterisch.

»Aber ist es denn nicht schwierig, daß er so jung ist, wenn ihr mit Leuten zusammenkommt und so?« beeilte sie sich, Stella zu fragen.

»Nein, kein bißchen«, antwortete Stella ruhig. »Da denke ich, bei dir und Charlie ist es mit dem Altersunterschied viel problematischer. Ganz zu schweigen von all der Heimlichtuerei.«

Catta verstummte. Stellas Klinge war nach allen Seiten gewetzt.

»Was macht Benjamin denn eigentlich so?« fragte Gunvor eilig. »Das habe ich irgendwie nie richtig mitbekommen!«

»Ja, er ›macht‹ wohl nichts Besonderes«, sagte Stella zufrieden und blies den Rauch vor sich hin. »Da sind ein paar Gelegenheitsjobs, ein bißchen Musik ... Er ist so’n lässiger Typ, mit dem Leute wie Frank ihre Probleme haben. Stimmt’s, Lizzie?«

Lizzie gab keine Antwort. Sie griff statt dessen nach der Flasche und schenkte allen Champagner nach.

»Himmel, ich werde noch ganz blau!« sagte Gunvor und streckte begierig ihr Glas hin.

»Das ist ja auch der Sinn unseres Treffens«, erwiderte Stella. »Augen zu und schluck.«

Ihr Ton störte sie selbst, aber sie konnte nicht anders. Jetzt brauchte sie kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen; nach all dem hier wurde sie sowieso nicht wieder eingeladen. In ihrem Kopf malte sie sich aus, wie sie neben Benjamin auf dem Bett lag und über dieses Essen redete und wie sie die Mädels, eine nach der anderen, nachäffte. Er würde wie immer sagen: Deine Freundinnen sind wirklich stinklangweilig, und, wie immer, würde sie ihm beipflichten.

»Wie steht’s bei dir mit der Liebe, Gunni?« fragte Lizzie, um von Stella und ihren Kommentaren abzulenken. »Gibt’s da irgendwelche Herren?«

»Ja, da gibt’s schon welche«, sagte Gunvor und trank gierig ihr Glas leer. »Aber bis jetzt bin ich bei keinem richtig hängengeblieben.«

Sie schluckte den sprudelnden Champagner hastig hinunter, so rasch, daß er auf der Zunge brannte. Wie konnte sie nur so lügen? Bei keinem hängengeblieben. In Wahrheit war es schon Monate her, daß einer sie mal zum Essen ausgeführt hatte!

Wieder legte sich Schweigen wie ein feuchtwarmer Film über das Zimmer. Der Geruch des Champagners war ekelerregend. Eine der Kerzen zischte plötzlich beunruhigend, als seien da Kräfte im Gange, die sie nur ahnen konnten.

»Wann habt ihr beide euch übrigens das letztemal gesehen?« wandte sich Lizzie an Catta und Gunvor, um die Stimmung aufzubessern. »Trefft ihr euch nicht dauernd?«

»Mehr oder weniger«, sagte Catta. »Einmal im Monat wenigstens.«

»Catta ruft mich an, wenn sie bei irgendwas Hilfe braucht«, kicherte Gunvor.

»Schade, daß es bei uns nur in so großen Abständen ist«, sagte Lizzie und schaute sie an. »Aber Frank und ich, wir haben immer so viel zu tun.«

»Gott, klingst du erwachsen und beschäftigt«, äußerte Stella kühl.

Lizzie antwortete ihr noch immer nicht. Es war das beste, Stella jetzt einfach zu ignorieren. Außerdem wußte sie nicht, was sie hätte sagen sollen.

»Na und du?« fragte Gunvor Stella. »Von wegen beschäftigt! Nie rufst du zurück!«

»Benjamin hat ’ne Flasche Whisky auf den Anrufbeantworter fallenlassen«, erwiderte Stella und lächelte ihr frechstes Lächeln. »Ist das nicht ’ne fürchterliche Verschwendung?«

Wie die Sache eigentlich ausgegangen war, daß sie und Benjamin sich eine halbe Nacht gestritten und so geprügelt hatten, daß die Möbel zu Bruch gingen und Stella in die Notaufnahme fahren mußte, um vier Stiche an der Faust nähen zu lassen, das brauchte sie hier wahrhaftig nicht zu erzählen. Vielleicht hätte sie es tun können, hätte eine lustige Geschichte daraus machen können, wenn nur Lizzie nicht so verdammt selbstgefällig dagesessen hätte.

Lizzie mit ihrer Dachgeschoßwohnung und ihrem Mann mit dem Aktenkoffer, der genau drei Jahre älter war als sie, eben genauso wie es nach allen sozialen Regeln zu sein hatte ... Nein, in dieser Situation konnte Stella absolut nichts erzählen – nicht solange Lizzie dasaß und auch noch die schweigende Märtyrerin spielte.

Das war einfach zuviel.

War Lizzie nicht unerträglich beknackt?

»Liebst du ihn?« fragte Catta.

Stella nickte heftig, mit breitem, aufgesetztem Lächeln.

»Und du?« fragte sie. »Wie steht’s mit Charlie?«

»Ach danke«, erwiderte Catta mit ebenso breitem Lächeln. »Bestens! Bin verliebter denn je!«

»Wird er seine Familie denn verlassen?« fuhr Stella unbarmherzig fort. »Oder sagt er nur, daß er es tut?«

Cattas Lächeln wurde noch verkrampfter.

»Er wartet nur auf die richtige Gelegenheit«, sagte sie. »Aber wir sind total glücklich, also fühle ich mich nicht besonders unter Druck.«

Ein Weilchen wurde es still.

Irgendwie war das die Lüge, die alles platzen ließ, der Schwindel, den alle durchschauten – daß Catta mit ihrem fünfzehn Jahre älteren Liebhaber, einem glücklich verheirateten Vater mehrerer Kinder, wirklich froh und zufrieden war, daß sie wirklich glücklich war und völlig ruhig.

Catta wich den Blicken der anderen aus, errötete und verdrängte ihre Gefühle. Ihr Blick wanderte rasch und ohne haftenzubleiben von Stellas Gesicht zu Gunvors glatten Wangen auf der anderen Seite des Tisches und weiter zu Lizzies ruhigem Lächeln.

Über ihnen ragten die dunklen, geheimnisvollen Balken der Dachgeschoßwohnung auf; der höchste Punkt der weißgekalkten, spitzwinkligen Decke lag mindestens fünf Meter hoch. Dort oben spielten, trotz der Weiße, tiefe Schatten. Die alte Standuhr, die Frank von seinem Großvater geerbt hatte, schlug plötzlich heftig Schlag auf Schlag, doch ging sie nach. Dem Kalender nach war Catta in diesem Augenblick bereits neunundzwanzig Jahre, vier Minuten und siebenunddreißig Sekunden alt.

Der Alkohol wärmte und gab ihren Augen Glanz. Das hier waren ihre drei besten Freundinnen, jedenfalls nannten sie sich so, und jetzt begann ihr Geburtstag. Jetzt fing ihr dreißigstes Lebensjahr an! Als sie den schwindelerregenden Gedanken bis zu Ende gedacht hatte, wußte sie, daß sie vermutlich schon mindestens ein Drittel der ihr zugemessenen Zeit gelebt hatte.

Sie wußte auch, daß sie sich die Lügen, ebensowenig wie die anderen drei, bald nicht mehr leisten konnte.

Nice Girls

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