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4.

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Catta nippte an ihrem Champagner. Sie nippte daran, weil ihr irgendwo bewußt war, daß sie so das beste Bild für ihre Umgebung abgab: nippend. Catta hieß Catharina und war die Großcousine von Gunvor. Sie hatten hier im Leben fast alles gleichzeitig gemacht; waren im Seglerlager auf Dalarö gewesen und im Konfirmationslager auf Öland, hatten bis zum Abitur Lundsberg besucht, und ihre Eltern hatten ihnen Geld geliehen für ein Mieterdarlehen in Stockholm, als sie mit dem Studium an der Universität anfingen.

Dennoch ähnelten sie sich nicht die Spur. Catta war nämlich schön. Sie trug ihre Schönheit ungefähr so, wie sie ihre Zigaretten hielt: zwischen Daumen und Zeigefinger. So sah es am interessantesten aus. Besonders wenn man nun zufällig eine ziemlich klassische, beinahe ein bißchen allzu vorauszuberechnende schwedische Schönheit war, mit langen Beinen und gutem Pigment für die Sonne in den Schären. Zu allem Glück war Catta auch noch eine besonders tiefe und rauhe Stimme verliehen worden, und in der Schulzeit war immer sie es gewesen, die die Kim Carnes-Songs singen mußte. Einmal auf einer Sprachreise in Südfrankreich hatte sie einen Wettbewerb gewonnen, weil sie Rod Stewart so gut nachmachen konnte. Sie hatte die Hüften bewegt wie er und die Songs genauso kratzig klingen lassen, so daß die anderen Kursteilnehmer laut geschrien und sich die Ohren zugehalten hatten. Sie selbst hatte gesagt, die Anstrengung hätte nicht einmal im Hals weh getan. Das war nur zum Teil eine Lüge gewesen.

Catta war immer die Sorte Frau gewesen, der Schirmmützen standen.

Jetzt im Augenblick dachte Catta an gar nichts. Sie spürte in sich nur einen eisigen Schrecken über ihren Geburtstag und die eigene unausgesprochene, bodenlose Einsamkeit. Um die Angst zu betäuben, nippte sie zielbewußt den Champagner in sich hinein. Es waren beinahe unbegrenzte Mengen davon vorhanden, dafür hatte Stella gesorgt. Catta begriff eigentlich nicht, warum gerade diese Tatsache sie so unglaublich irritierte, während sie zugleich wahrhaftig entzückt war über die Chance, sich an diesem Abend mit einer richtig guten Marke betrinken zu können. Ja, sie hätte es wohl verstehen können, aber ihr Gehirn hatte in letzter Zeit die Möglichkeit zur Analyse von Gefühlen ausgeschlossen. Gefühle waren gefährlich. Sie forderten zuviel von einem selbst, bedeutend mehr, als man sich leisten konnte, von sich herzugeben.

Catta war nicht dumm, im Gegenteil; sie war brillant. Sie war begabt, gefühlvoll und unglaublich ausdrucksvoll, wenn sie es nur wollte. Wenn sie es wollte, das war ein Schlüsselbegriff für Catta und auch für ihr zuweilen ziemlich genervtes Umfeld. Im vergangenen Jahr hatte sie einen immer unerträglicheren und irritierenden Mangel an Willen bei fast allen Dingen bewiesen. Ihre Umgebung hatte in bestimmten Fällen langsam die Geduld verloren. Catta fühlte das und litt. Sie litt unter ihrem Außenseitertum, litt unter ihrer Besonderheit und ihrer unerträglichen Position auf einer Art innerem Sockel. Sie wollte herunterklettern, aber sie hatte bisher ums Verrecken nicht herausfinden können, wie sie das anstellen sollte. Und wer wäre sie dann, wenn sie den Boden erreicht hatte, dort unten zwischen all den anderen?

Jetzt nippte sie schweigend an ihrem Alkohol und fühlte, wie die Betäubung, die ganz legitime, sich in ihren Armen und Beinen ausbreitete. Bald würde auch das Lachen lose sitzen, und dann würde sie sich dazugehörig und fast normal fühlen, fast gewöhnlich, fast wunderbar alltäglich, wie Lizzie geradezu, wenigstens für ein Weilchen.

»Hast du in letzter Zeit was gemalt?« fragte Lizzie.

Catta lächelte gespielt nachsichtig und reckte sich nach einer von Stellas Zigaretten, darauf bedacht, beschäftigt zu sein, etwas in den Händen zu halten. Warum mußte Lizzie gerade jetzt mit dem Malen anfangen, jetzt wo sie dabei war, in den schmerzfreien Nebel einzutauchen? Jetzt, wo sie endlich angefangen hatte sich zu entspannen und die tägliche Bitterkeit und Enttäuschung des Lebens zu vergessen?

»Das waren von A bis Z nur Kindereien«, sagte sie lächelnd. »Eine Zeitlang hat mir das Spaß gemacht, jetzt aber nicht mehr, also habe ich aufgehört.«

»Ich fand, du warst gut«, sagte Lizzie.

»Das fand ich allerdings auch, und normalerweise kann ich Reklame auf einem Tetra Pak nicht von einem Picasso unterscheiden«, ergänzte Stella.

»Ich war es aber nicht«, sagte Catta und lehnte sich zurück, »also finde ich, wir vergessen jetzt, daß ich überhaupt gemalt habe.«

Für Stella war das okay; sie hatte es im Grunde genommen schon vergessen. Eigentlich war sie überhaupt nicht mehr an der Diskussion interessiert. Sie dachte nur daran, wie sie bald ihren Kram zusammenpacken und eine Ausrede finden konnte, um nach Hause zu Benjamin zu verschwinden. Sie hielt es nicht mehr lange aus in dieser ach so reizenden Gesellschaft, in dieser aufgesetzten Zusammengehörigkeit mit den falsch schimmernden Champagnergläsern und den herzigen, albernen Schlafanzügen. Sie hatten einmal zusammengehört, sie waren einmal die besten Freundinnen gewesen, aber das war lange her!

Seit damals waren viele Operncafébesuche, Pressebekanntschaften, Partys und Romanzen den Strom hinuntergeflossen. Das hier konnten unmöglich ihre besten Freundinnen sein; diese drei Schulkameradinnen, denen man ihr Alter deutlich ansah und die nicht annähernd so up to date waren wie sie selbst, Stella! Wenn sie ausnahmsweise mal zusammen ausgingen, schämte sich Stella zu Tode, zumindest über Lizzie und Gunvor, und hier zu Hause bei Lizzie fand sie ja doch keine Ruhe. Das konnten nicht ihre besten Freundinnen sein, das war nur noch ein Mythos aus früheren Tagen! So mußte es sein. Stella schämte sich über ihre Gefühle, und die Mädels würden sicher enttäuscht sein, wenn sie ging – waren sie ihr vielleicht doch nicht ganz egal? –, aber daran war nichts zu ändern. Sie hatte schon fast vier Stunden hier zugebracht; sie hatte ihre gute Tintenfischsoße zur Pasta zubereitet, sie hatte das Saunabad der anderen durchlitten, und sie hatte geredet und gelacht, so viel sie nur konnte. Sie hatte die üblichen Gefühle von Neid und Eifersucht bei der kleinen Gunvor und der spitzzüngigen Catta herausgelockt, obwohl sie sich vorgenommen hatte, es diesmal zu lassen. Sie hatte ihr schwarzes Vergnügen gehabt, ihr allergeheimstes: zu erreichen, daß andere Frauen sich unterlegen fühlten. Das war ihre Paradenummer, das konnte sie am besten. Erst wenn sie wieder allein war, kam das Schamgefühl, aber dann konnte sie ganz schnell in ein Rockmusikblatt, ein Fernsehprogramm oder eine Party fliehen.

Außerdem wollte sie aus einem anderen Grund nicht länger bleiben. Sie wollte nicht riskieren, noch mehr zu trinken. Trank sie mehr, stellten sich die Gedanken an ihre Mutter ein, und dann war es schwer, überhaupt mit dem Trinken aufzuhören.

Sie wollte auch nicht riskieren, noch mehr zu essen, denn dann wäre sie gezwungen, ins Bad zu gehen und sich zu übergeben. Nicht daß die Mädels das nicht kannten; es ging ja schon das zwölfte Jahr so. Doch Stella haßte es, hinterher ins Zimmer zu kommen und der gedrückten Stimmung zu begegnen, die ihr bulimistisches Verhalten auslöste. Dann schämte sie sich, dann fühlte sie, daß sie die Lage nicht unter Kontrolle hatte, daß sie in der schwächeren Position war. Solange sie nur unglaublich mager war, ohne darauf zu verweisen, wodurch, hatte sie alles in der Hand. Und so sollte es sein.

»Wie geht es deiner Mutter, Stella?« fragte Lizzie. »Geht es ihr besser?«

»Oh«, erwiderte Stella, »meiner Mutter? Der geht’s gut. Sie ist jetzt völlig trocken. Hat seit Jahren keinen Tropfen getrunken.«

Warum nun noch das? Ihr Gequatsche über Benjamin hätte ja wohl gereicht. Warum mußte sie nun auch noch mit Mama anfangen? Erschöpft, sabbernd, allein und betrunken, vollgeschissen und ausgegrenzt saß sie zu Hause. Warum war Stella gezwungen, auch in der Sache noch zu lügen?

Weil Lizzie gefragt hatte.

Die blöde Lizzie. Sie war dicker als sie selbst, und dieses verdammte Gör im Bauch würde sie noch fetter machen. Wie konnte man zulassen, schwanger zu werden und Zuchtkuh zu sein? Ganz besonders bei einem Mann wie Frank! Wirklich unbegreiflich.

Stellas eine Hand lag auf ihren Rippen. Sie wehrte die unangenehmen Gedanken ab und widmete sich den üblichen, leichteren, die ihr eigenes Aussehen betrafen. Sie fühlte mit Befriedigung, daß die Rippen sich deutlich an den Seiten ihres Brustkorbs abzeichneten, ohne daß deshalb der Busen an Umfang verloren hätte. Die ganze Woche hatte sie so gut wie nichts gegessen, und offenbar hatte es geholfen. Benjamin würde zufrieden sein.

Er lag ihr ständig in den Ohren: Nimm ab, du Fettkloß. Sie war dünn wie ein Strich, das konnte sie manchmal sogar selbst sehen, aber es reichte nicht. Für Benjamin mußte sie immer noch ein bißchen dünner sein. Wenn man dünn ist, sieht man jünger aus. Wenn man dünn ist, sieht man intelligenter aus. Benjamin hatte eine Menge zu den Vorteilen des Magerseins zu sagen, aber er hatte natürlich leicht reden, soviel Drogen, wie er konsumierte.

Benjamin selbst war fast nur ein Schatten, beinah zwei Meter groß und schwarzgekleidet von Kopf bis Fuß, in Sachen, die aussahen, als hätte man ihn ins Wasser gestoßen. Außer der riesigen Lederjacke natürlich, der Jacke, die Benjamins Erkennungszeichen war. Stella pflegte darin zu schlafen, und allein deshalb bestand ja wohl kein Zweifel daran, daß sie auf dieser Pyjamaparty fehl am Platz war. Stella schielte auf die Uhr. Benjamin würde bald nach Hause kommen, und dann wollte sie auch da sein. Stella fühlte, daß sie möglicherweise nicht ohne ihn leben konnte, und der Gedanke erschreckte sie so sehr, daß es in ihren Schläfen zu hämmern begann. Ihr wurde der Mund trocken.

Benjamin wurde demnächst dreiundzwanzig.

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