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7.

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Von oben gesehen war Vasastan ein wunderbares Karomuster aus spitzen kleinen Dächern und kreuzförmigen Boulevards. Hier und da ragten Kirchtürme auf, und die Balkons waren nicht immer linear. Könnte man in einer Höhe mit Karlsson vom Dach herumfliegen, wäre man verblüfft über die große Menge Dachgeschoßwohnungen, die tatsächlich existierten, hoch über der relativen Misere zu ebener Erde.

Auf dem Balkon einer solchen Dachgeschoßwohnung, nur ein paar Flugminuten von Stellas Boutique entfernt (wenn man direkt vor dem Eingang losflog, zunächst geraden Kurs hielt, dann nach links drehte und zweimal scharf nach rechts), stand in diesem Augenblick Lizzie und dachte nach. Sie war mitten in einem Artikel und konnte sich nicht recht entscheiden, ob sie ihn sofort zu Ende bringen oder ihn ein paar Stunden liegenlassen und statt dessen einen Spaziergang machen sollte, um den Kopf klar zu bekommen. Von ihrem Balkon hatte sie eine ziemlich gute Sicht auf den Vanadisplan, ein Stück der St. Eriksgatan und ein wenig von Röda Bergen, und es zwar zweifellos verlokkend, sich dort hinzubegeben.

Lizzie pflegte sich Gedanken zu machen, wer hinter all den Fenstern wohnte, in die sie hineinsehen konnte. Eine der Besonderheiten einer Dachgeschoßwohnung war eben diese: Man konnte von oben in das Leben anderer Menschen hineinsehen, ohne daß sie sich beobachtet fühlten. Eigentlich lag es nicht in Lizzies Natur, die Dinge von oben betrachten zu wollen, eher umgekehrt. Sie war es gewohnt, sich in unterlegener Position zu befinden. Vielleicht hatte sie gerade deshalb darauf bestanden, eine Dachgeschoßwohnung zu nehmen, als Frank gesagt hatte, er wolle ein Dauerwohnrecht kaufen. Vielleicht wollte sie ausnahmsweise einmal fühlen, wie es war, an der Spitze zu sein, ganz oben, und die Welt aus einer überlegenen Position zu betrachten.

Lizzie war nicht hochmütig. Nicht deshalb wollte sie oben sein und nach unten sehen, im Gegenteil. Es handelte sich eher um ein altes Gefühl des Nichtdazugehörens. Um das zu unterdrücken, führte Lizzie einen nie ruhenden Kampf, wollte akzeptiert, anerkannt werden, in allen Kreisen. Das kostete Anstrengung. Das kostete, in Form von Einladungen zum Abendessen und Konversation, verlangte Umgang mit Langweilern und Freundlichkeit zu aufgeblasenen Pinkeln. Doch es hatte Erfolg, das spürte sie schon jetzt.

Frank und sie waren allmählich in den richtigen Kreisen beliebt.

Doch außer ihrer sozialen Unsicherheit hatte Lizzie auch ein großes Interesse an Menschen und menschlichen Beziehungen. Deshalb war es eigentlich verwunderlich, daß sie gerade diesen Beruf gewählt hatte: freiberufliche Autorin, ohne täglichen Kontakt mit redseligen Arbeitskollegen. Lizzie schrieb für Wochen- und Monatsblätter, sie schrieb für verschiedene Fernsehsender und veröffentlichte Gedichte in einem kleineren Stockholmer Verlag. Sie hatte nicht gerade einen Namen, doch fehlten ihr weder Aufträge noch mangelte es an Inspiration.

Wenn man ihre künstlerische Begabung in Betracht zog, war sie verhältnismäßig – in vieler Augen beklagenswert – ruhig und unkompliziert. Lizzie machte Pasta und aß sie mit ihrem Mann zum Abendessen, sie ging mit ihrer alleinstehenden Mutter mittags ins Restaurant und redete über Mode und die Verwandten, sie ging dreimal in der Woche ins Fitneßstudio und mochte es, an den Wochentagen abends fernzusehen. Lizzie besaß keine Clubkarte für das ›Café Opera‹, obwohl ihr Stella seit Jahren angeboten hatte, eine zu besorgen. Andererseits hatte ihr Mann Frank ja eine Karte. Sie konnte also mit ihm dorthin gehen, wenn sie Lust verspürte.

Irgendwie war das typisch für Lizzie: Sie war okay, sie paßte überallhin, geriet mit niemandem aneinander, hatte keine Feinde. Nicht einmal ihre Gedichte erregten Anstoß, man nannte sie präzise und talentiert, wenn auch ein wenig uninteressant. »Uninteressant« war andererseits das Adjektiv, das Lizzie am meisten fürchtete, es kam gleich nach »proletenhaft«. Sie war dankbar für ihre charakteristisch geraden, dunklen Augenbrauen, die ihrem Gesicht unter dem blonden Pony jedenfalls eine Art Tiefe und Charakter verliehen. Doch wollte Lizzie ins ›Café Opera‹ gehen, war es noch immer so, daß ein anderer sie als Gast mitnehmen mußte, ein anderer mußte ihr den Rücken stärken. Bisher gab es noch immer jemanden, der dazu bereit war. Doch machte es Lizzie nicht sicherer, so abhängig zu sein.

Jetzt stand sie auf dem Balkon, die Sonne im Gesicht, und dachte über den gestrigen Abend nach. Was passierte da eigentlich zwischen den Freundinnen, ihren eigenen Freundinnen? Hatten sie sich wirklich alle auseinanderentwickelt? Hatte nur sie das Gefühl, draußen zu stehen, weil sie die einzige in der Runde war, die geheiratet hatte und ein Kind erwartete? Oder hatte sie sich von ihnen entfernt und war in Franks Kreise hineingewachsen? Aber auch da fühlte sie sich nicht willkommen, nicht als richtige Freundin. Die meisten seiner Freunde kannten sich von Kind an und betrachteten Lizzie noch immer als Außenstehende.

Außerdem hatte sie mit den Mädels aus Franks Bekanntenkreis nicht so viel Spaß wie mit ihren eigenen Freundinnen, bei weitem nicht.

Aus der Wohnung dröhnte ein alter Ultravox-Song, ›Dangerous Rhythm‹. »Stranger to stranger«, sang der Sänger. »We’re both dressed for danger ...«

Lizzie spürte die übliche alte Gereiztheit in sich aufsteigen, während sie zugleich halb unbewußt die Baßlinie des Songs mit den Fingern verfolgte. Ihr Ärger betraf stets die gleiche Sache – warum hatten immer die besten Bands so fürchterliche Texter? Sie selbst konnte nicht singen, krächzte wie eine Krähe, sobald sie es versuchte. Doch Catta konnte es, und Stella, in der guten alten Zeit. Als sie aufhörten, hatte Lizzie einen ganzen Ordner voll mit Texten für die Band geschrieben, einen Ordner, der jetzt in Franks Bibliothek stand und Staub sammelte. Lizzie fand noch immer, daß diese Texte zum besten gehörten, was sie je geschrieben hatte. Aber sie waren nicht stubenrein, keine Literatur. Es waren nur Songtexte.

Lizzie konnte nicht komponieren, doch sie wußte, daß sie die Sprache beherrschte. Keines der eigenen Lieder der Band war jemals weitergekommen, weil sie alle vor gut zehn Jahren mit der Musik aufgehört hatten. Als Lizzie dann ihre ersten Gedichte gedruckt gesehen hatte, stubenreine veröffentlichte Lyrik, hatte sie ein ungeheures Wohlgefühl erfaßt: Das hatte sie zustande gebracht, ganz allein sie.

Dennoch fehlte etwas.

Es war kein Rhythmus mehr dagewesen, keine wütende Gitarre, kein Baßhämmern unter ihren Fingern.

Nice Girls

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