Читать книгу Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel - Luzia Pfyl - Страница 20

3.

Оглавление

Es regnete immer noch in Strömen, als die Kutsche in der Leather Lane direkt vor der Agentur anhielt. Frost klemmte ihren Regenschirm unter den Arm und stemmte die in Paketpapier eingewickelten Akten. In Gedanken dankte sie Sanderson noch einmal, dass er ihr die firmeneigene Kutsche zur Verfügung gestellt hatte, um zurück in die Agentur zu kommen. Es wäre die reinste Plackerei gewesen, hätte sie die Straßenbahn nehmen müssen. Die Tube war zwar trockener, aber bei Weitem dreckiger und noch dazu gefährlicher seit dem Streik. Die letzte Fahrt vor ein paar Tagen, als sie vor einer Bande chinesischer Schläger geflüchtet war, hatte ihr gereicht. Außerdem kam sie wegen mangelndem Kleingeld viel zu selten in den Genuss einer Kutschfahrt durch das regnerische London. Das war den reicheren Bürgern vorbehalten.

Mit raschen Schritten eilte sie die kurze Treppe hinauf und drückte mit dem Ellbogen die Türklinke auf. »Helen, ich bin wieder da!«, rief sie und schloss mit dem Fuß die Tür hinter sich. Sie stellte den Schirm an die Wand und schaute auf. Da saß jemand an ihrem Schreibtisch und las Zeitung. Mit den Stiefeln auf dem Tisch.

»Mr. Payne«, sagte sie so freundlich wie möglich und ließ dabei das schwere Aktenbündel auf den Tisch fallen. Jackson Payne zuckte zusammen und erschrak so sehr, dass er beinahe rückwärts vom Stuhl gekippt wäre. »Wie schön, dass Sie mich besuchen kommen.«

Payne schaute missmutig zu ihr auf und versuchte, die zerknüllten Seiten der Zeitung zu glätten. »Haben Sie Steine eingekauft, Miss Frost?«

»Anscheinend geht es Ihnen besser, Ihr amerikanischer Charme ist wieder da«, erwiderte sie über die Schulter, während sie sich aus dem Mantel schälte. Sie reichte ihn dem Hausmädchen, das soeben aus der Küche kam. »Helen, machst du uns Tee, bitte?«

»Sehr wohl, Miss. Ich habe frische Scones gebacken.«

»Wunderbar.« Frost nahm ihre Tasche zur Hand und ging hinüber zu einem der Bücherregale neben dem Schreibtisch. Dort ging sie in die Hocke und fuhr mit dem Finger den Buchrücken entlang. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Payne sie beobachtete. Sie fand die richten Bücher und zog daran.

»Ein seltsames Versteck für einen Tresor«, meinte Payne.

»Nicht im Geringsten«, gab Frost zurück und drehte am Zahlenschloss. »Die meisten Einbrecher suchen einen Tresor auf Augenhöhe, weil sie sich da auch in den meisten Fällen befinden. Ich mag Königin Victoria, doch ich vertraue ihr mein Geld nicht an.« Mit einem Schmunzeln deutete sie auf das Porträt, das hinter Payne über dem Schreibtisch hing.

»Viel zu offensichtlich«, stimmte er zu. »Aber Bücherregale ebenfalls.«

»Nicht unterhalb der Knie.« Frost klopfte auf den festen Block aus Büchern, der neben ihr auf dem Boden stand. »Die habe ich eigenhändig zusammengeklebt. Echte Bücher. Ich fand diese Blöcke aus falschen Pappmacheewälzern schon immer viel zu amateurhaft.« Die Tür des Tresors quietschte, als sie daran zog. Die gähnende Leere, die ihr entgegenkam, versuchte sie zu ignorieren. Ein paar wichtige Papiere befanden sich im Tresor, mehr nicht.

Sie holte die beiden Bündel Banknoten aus der Tasche. Payne pfiff durch die Zähne. Frost schmunzelte, sagte aber nichts. Sie legte die fünfhundert Pfund zu den Papieren und verschloss den Tresor wieder. Noch immer war sie etwas erstaunt, dass Baxter ohne Weiteres auf ihre Bedingungen eingegangen war. Der Mann war offensichtlich verzweifelt. Noch während Frost Kopien aller Personalakten gemacht hatte, hatte er Sanderson angerufen. Und der hatte kurz darauf die fünfhundert Pfund gebracht, ohne Fragen zu stellen.

Eine mahnende Stimme in Frosts Hinterkopf wies sie immer wieder darauf hin, dass insgesamt 1500 Pfund Honorar viel zu viel waren und man sie wegen Wucher ins Gefängnis stecken würde, doch die Bündel Banknoten im Tresor fühlten sich momentan einfach viel zu gut an, um sich Sorgen zu machen.

Sie schob den Bücherblock zurück an seinen Platz und stand auf. »Sollten Sie nicht noch im Bett liegen, Mr. Payne?«, fragte sie, als Helen den Tee und die Scones brachte. Es war erst eine gute Woche her, seit er sich einen Holzpfahl aus dem Körper gezogen und auf dem Weg zur Agentur in Frosts Armen zusammengebrochen war. Mittlerweile war auch sie davon überzeugt, dass die Explosion, die seine Wohnung zerstört hatte, ein Mordanschlag gewesen war. Payne konnte von Glück reden, hatte man die falsche Wohnung in die Luft gejagt.

Der Pinkerton murrte und legte die Zeitung beiseite. »Sie klingen wie meine Frau.«

»Und Sie sitzen auf meinem Platz«, gab sie zurück und wartete, bis Payne ihren Sessel freigeräumt und sich einen der anderen Stühle herangezogen hatte. »Danke. Sie sind sich also sicher, dass Sie bereits arbeiten können?«

Payne griff nach einem der Scones und biss herzhaft hinein. »Ich bin mir sicher, dass ich in spätestens ein paar Tagen ins Irrenhaus eingeliefert werde, wenn ich die Wände meines Wohnzimmers noch länger anstarren muss.« Frost hob eine Augenbraue. »Soll ich Ihnen sagen, wie viele Schnörkel es auf der Tapete hat?«

»Nicht nötig.«

»648. 648 gekringelte und gefranste Schnörkel!«

Frost hob die Hände. »Okay, okay. Ich glaube Ihnen. Meine Güte, Payne, Sie sind ja schlimmer als ich.«

»Also, heißt das, Sie lassen mich arbeiten?«

Frost ließ ihn eine Weile schmoren, während sie ihren Tee trank und ein paar Bissen von Helens vorzüglichen Scones aß. Ja, sie hatte den Pinkerton angeheuert und ihm sogar eine geschäftliche Partnerschaft angeboten. Er konnte gut mit Waffen umgehen, und sie konnte seine Expertise und Erfahrung als Pinkerton sehr gut gebrauchen. Außerdem hatte sie im Gegenzug versprochen, ihm bei der Suche nach seiner verschwundenen Tochter zu helfen.

Aber die Verletzung, die er davongetragen hatte, war nicht gerade ein Kratzer gewesen, auch wenn er das immer wieder behauptete. Sie wollte das Risiko nicht eingehen, dass er unterwegs irgendwo krepierte. Allerdings war ihr neuer Auftrag ziemlich wichtig – und die Zeit drängte. Sie könnte seine Hilfe wirklich gebrauchen.

»In Ordnung«, sagte sie dann, und Paynes Gesicht hellte sich auf. »Willkommen im Team. Sie können mir gleich damit helfen, diese Akten da durchzusehen.« Sie deutete mit dem angebissenen Scone auf das Paket neben ihnen auf dem Schreibtisch.

Payne stellte seine Tasse ab, öffnete das Packpapier und nahm die oberste Akte heraus. »Worum geht es? Ein neuer Auftrag?«

Frost gab ihm die Kurzfassung. »Wir haben also etwas weniger als drei Tage Zeit, um den Prototypen zu finden. Hier, sehen Sie.« Sie wühlte in den Papieren und zog ein Lichtbild heraus. Sie reichte es Payne. »Dies ist die Waffe. Dr. Baxter demonstrierte mir, wie sie funktioniert. Sagt Ihnen der Name Nikola Tesla etwas?«

Payne schaute auf. »Ich glaube, ich habe einmal etwas in der Zeitung über ihn gelesen. Er arbeitet für Edison und leitet dessen Werkstatt. Angeblich baut er in seiner Freizeit merkwürdige Apparaturen und experimentiert mit Elektrizität und Aether.«

»Dr. Baxter erwähnte, dass er und seine Leute eine solche Erfindung dieses Tesla modifiziert und in die Waffe eingebaut haben. Elektrizität war auf jeden Fall mit im Spiel, ebenso eine konzentrierte Form von Aether.« Sie schauderte, als sie an den grellen Lichtblitz, den Knall und das riesige Loch in der Wand dachte.

»Interessant« war alles, was Payne dazu sagte. Er steckte sich den letzten Bissen Scone in den Mund und blätterte durch die Akten. »Und alle diese Männer und Frauen hier sind Verdächtige?«

»Bis auf Weiteres, ja. Wir müssen den Kreis einengen, sonst sind wir in einer Woche noch keinen Schritt weiter.« Frost teilte den Stapel in zwei etwa gleich große Teile.

Eine Weile arbeiteten sie sich schweigend durch die Mappen. Helen kam ab und zu aus der Küche und brachte ihnen frischen Tee und Sandwiches.

»Was macht ein strong water handler?«, fragte Frost und starrte dabei mit gerunzelter Stirn auf ein Personalblatt. »Läuft der mit starkem Wasser herum?«

Payne lachte. »Das ist Salpetersäure. Salpeter wird für Schwarzpulver gebraucht, und Salpetersäure wird für Sprengstoff und Dünger verwendet. Ich habe eine Wissenschaftlerin zur Frau, man schnappt ein paar Dinge auf«, fügte er schulterzuckend an.

»Das mit dem Schwarzpulver wusste ich«, gab Frost zurück und legte die Akte des Salpetersäuremannes auf den Stapel mit den aussortierten Arbeitern.

Am Ende lagen nur noch vierzehn von ehemals 63 Mitarbeitern auf der Seite der Verdächtigen. Frost ging sie der Reihe nach durch. Sie war etwas überrascht, dass sie Mr. Sanderson, den Privatsekretär des Besitzers der Fabrik, darunter fand. Vier von sechs Wachmännern, drei Dampftechniker, zwei Laboranten und vier Mechaniker waren übrig geblieben. Frost notierte sich alle Namen in ihrem Notizbuch und lehnte sich seufzend im Sessel zurück.

»Das wird ein Haufen Arbeit«, klagte sie. »Wir haben nur drei Tage Zeit. Das sind 72 Stunden, wohl eher weniger. Sagen Sie Ihrer Frau, Payne, dass Sie bis dahin etwas später nach Hause kommen werden.«

»Sie ist sowieso ständig in Greenwich. Sie wird mich kaum vermissen.«

»Das ist nicht komisch. Ihre Frau hat mich nach Ihnen suchen lassen, weil Sie fast zwei Monate lang verschwunden waren. Sie sind gerade erst wieder zurück.«

»Sehen Sie? Es hat fast zwei Monate gedauert, bis sie mich hat suchen lassen.« Er grinste und fing an, sich eine Zigarette zu drehen. »Sie haben gestern Nacht wieder eine Leiche aus der Themse gefischt.«

Payne wechselte so abrupt das Thema, dass Frost verwundert die Augenbrauen hob. »Scotland Yard fischt ständig Leichen aus der Themse. Irgendein Betrunkener stürzt jeden Abend von einer Brücke.«

Das Streichholz zischte. »Es ist diesmal ein Junge, sie schätzen ihn auf vierzehn Jahre. Er hat eine mechanische Hand.«

Frost beugte sich nach vorne. »War da nicht etwas Ähnliches letzte Woche? Es stand etwas in der Zeitung darüber.«

Payne nickte. »Cecilia und ich waren auf dem Heimweg von hier. Wir sahen zu, wie sie die beiden Jugendlichen aus dem Wasser gefischt haben. Einen Moment lang dachte ich, bei dem Mädchen handelte es sich um Annabella. Sie hatte ein mechanisches Knie. Und der Junge hatte einen Arm aus Metall.«

Frost runzelte die Stirn und griff sich unwillkürlich an den Nacken. Unter dem Stoff konnte sie die vernarbte Haut an den Rändern der Metallplatte spüren, die sich zwischen ihren Schulterblättern befand. Um das Schlüsselloch zu erreichen, musste sie sich jedes Mal beinahe den Arm ausrenken, doch es war überlebenswichtig für sie. Zog sie ihr mechanisches Herz nicht regelmäßig auf, würde es einfach stehen bleiben.

Der Moment verflog, und sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu verscheuchen. »Scotland Yard wird sich darum kümmern, da bin ich mir sicher«, sagte sie matt und stand auf, um sich die Glieder zu recken. »Kommen Sie, ich habe Hunger. Mit leerem Magen kann ich nicht arbeiten. Mögen Sie chinesisches Essen?«

»Nicht sonderlich.« Payne stand ebenfalls auf und klemmte die Zigarette in den Mundwinkel. Frost reichte ihm seinen Mantel.

»Gewöhnen Sie sich daran, Payne.« Frost war zwar nicht gerade scharf darauf, ins chinesische Viertel zu gehen, doch Mr. Wong hatte einfach das beste Essen der Stadt. Die Sache mit Michael Cho und das anschließende Gespräch mit Madame Yueh, der Patriarchin des herrschenden Clans, steckte ihr immer noch tief in den Knochen. Doch vielleicht hatte sie Glück, und sie würde Michael nicht begegnen. Er würde nämlich eine Antwort von ihr verlangen, die sie ihm nicht geben konnte.

Payne hielt ihr die Tür auf. Frost nahm ihren roten Schirm zur Hand und schlüpfte hinaus in den immer noch strömenden Regen. Sie hatte kaum zwei Schritte gemacht, als sie in eine tiefe Pfütze trat.

»Verdammte Scheiße!«

Inspektor Alden Jones' Mund war zu einem schmalen Strich zusammengekniffen, als er hinter Commissioner Lovett den Leichenraum betrat. Es war weniger wegen des Raumes und dessen allzu oft grausigen Inhalts als wegen des Doktors, dessen Reich er gerade betreten hatte. Dr. Taylor sah käsig aus wie immer und zupfte an seinem Schnurrbart. Jones hegte eine tiefe Abneigung gegen den Mann.

»Gentlemen«, begrüßte Dr. Taylor ihn und den Commissioner mit einem kurzen Nicken. »Sie sagten, ich solle Sie rufen lassen, Commissioner, falls wieder eine reinkommt.« Sein kalter Blick huschte zu Jones. »Ich dachte, Inspektor Dane hat den Fall?«

Jones ballte die Fäuste, zwang seine Finger jedoch rasch wieder auseinander. Er war zu alt für diese kindischen Feindseligkeiten, die Taylor ihm jedes Mal, wenn sie sich begegneten, entgegenwarf.

Der Commissioner räusperte sich. »Inspektor Dane ist vor ein paar Tagen Vater geworden und hat weiß Gott anderes im Kopf, als hier im Yard zu sein. Ich habe Inspektor Jones mit dem Fall beauftragt und bin mir sicher, dass er ihn schnell lösen wird.«

Jones nickte anerkennend, spürte jedoch alsbald den Druck auf seinen müden Schultern lasten. Es waren nur wenige Tage vergangen zwischen den ersten beiden Leichen und dieser hier, die auf dem Tisch zwischen ihnen lag. Er musste den Mörder erwischen, bevor er ein viertes Mal tötete.

»Nun denn, meine Herren, fangen wir an.« Dr. Taylor trat an den Stahltisch und befreite den Leichnam vom Leinentuch, das ihn bedeckte.

Jones schluckte hart und trat näher. Ein Junge, irgendwo zwischen Kind und Mann, 13, vielleicht 14 Jahre alt. Es war nicht die erste Leiche, die er sah, doch wenn sie so jung waren …

»Keine äußerlichen Anzeichen von Verletzungen. Male an Hand- und Fußgelenken, vermutlich war er gefesselt. Zeitpunkt des Todes lässt sich nicht mehr feststellen, da er einige Zeit im kalten Wasser war.« Dr. Taylor konsultierte sein Klemmbrett. »Blutuntersuchung ergab, dass er …«

»Moment«, unterbrach Jones ihn, was ihm einen kalten Blick von Taylor einbrachte, und trat näher an den Tisch. »Das nennen Sie keine äußerliche Verletzung? Der Junge hat eine Hand aus Metall.«

»Sehr gut, Inspektor. Darauf wäre ich nie gekommen.«

»Fahren Sie fort, Dr. Taylor«, unterbrach Lovett scharf, bevor Jones etwas erwidern konnte.

Taylor schürzte die Lippen, wandte sich dann jedoch wieder seinem Klemmbrett zu. »Meine Blutuntersuchung ergab, dass er vermutlich an einer Sepsis gestorben ist. Außergewöhnlich hohe Anzahl an weißen Blutkörperchen.«

»Ebenfalls offensichtlich«, murmelte Jones. Die Wunde am Handgelenk des armen Teufels war feuerrot und entzündet. Trotz des Wassers war der klebrige Eiter immer noch deutlich vorhanden. Dunkle Striemen zogen sich den ganzen Arm hinauf bis in den Brustkorb.

»War es also Mord?«, wollte Commissioner Lovett wissen.

»Wenn man nur meine Befunde anschaut, dann nein«, sagte Dr. Taylor und schaute den Commissioner kühl an. »Das Opfer weist keine Stich- oder Schussverletzungen auf. Es befand sich kein Wasser in der Lunge. Er ist an einer schweren Sepsis gestorben, und der Tod ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten, bevor man ihn in die Themse geworfen hat. Allerdings«, Dr. Taylor machte eine Pause und hob die Hand, bevor Jones die Gelegenheit bekam zu protestieren, »allerdings möchte ich in diesem Fall meine persönliche Meinung anfügen.«

Lovett nickte. »Ich bitte darum, Doktor.«

»Eine Körpermodifikation dieses Ausmaßes ist unethisch. Kein lizenzierter Arzt wird eine solche Operation vornehmen. Die Idee dahinter ist nicht neu – denken Sie nur an die Kriegsveteranen –, doch die Technik ist sehr unausgereift.« Er schaute von Lovett zu Jones. »Dieser Junge war gesund, als man ihm die Hand entfernt hat. In meinen Augen eine völlig unnötige und amoralische Operation.«

»Sie wollen damit also sagen, dass jemand vorsätzlich in Kauf genommen hat, dass dieser Junge leiden und am Ende sterben wird?«, präzisierte der Commissioner.

»Exakt.«

Lovett drehte sich zu Jones um. »Ich habe genug gehört. Folgen Sie mir, Inspektor.«

Jones eilte dem Commissioner hinterher, froh, aus dem grässlichen Raum entkommen zu können. In seinen langen Jahren als Mitglied der Polizeikräfte hatte er sich nie damit anfreunden können, dass Tote und Mordopfer in Leichenzimmern aufbewahrt wurden, um sie zu untersuchen. Taylor nannte die neueste Methode, die er anwendete, Forensik. In Jones' Augen reiner Humbug.

»Sir, darf ich fragen, warum Sie zu den Archiven gehen und nicht zurück in den Gemeinschaftsraum?«

»Dane hat die alten Akten noch nicht bekommen. Ich hatte meine Zweifel, ob er tatsächlich wieder zurück ist, doch nun haben wir den Beweis.« Lovett öffnete die Tür zum riesigen Archiv von Scotland Yard. Der Frischling, der hinter dem Empfangstresen saß, erschrak sich so sehr, dass er beinahe vom Stuhl gefallen wäre.

»Er?«

Lovett nickte und scheuchte den Kadetten unter einem Vorwand davon. Stille stülpte sich über den düsteren Raum. Im Licht, das durch die trüben Fensterscheiben fiel, tanzten Staubflocken.

»Vor zwanzig Jahren hat er schon einmal gemordet. Das müssten Sie wissen, Jones, Sie lasen damals doch schon Zeitung, nicht?«

Jones verzog den Mund. »Vor zwanzig Jahren war ich frisch in die Polizei von Edinburgh eingetreten. Edinburgh und London waren damals eine halbe Welt voneinander entfernt. Außerdem hatten wir unsere eigenen Probleme da oben.«

Lovett strich seine Weste etwas zu fest glatt. »Wie dem auch sei. Sie sind heute der beste meiner Männer, Jones. Deswegen habe ich Sie auch mit dem Fall betraut, nicht diesen Faulpelz Dane. Wir haben schon drei Leichen. Vier weitere werden folgen, wenn Sie den Killer nicht schnell finden.«

Jones schaute zu, wie Lovett die Schubladen eines Kabinetts durchsuchte und dann eine dicke Akte daraus hervorzog. »Warum sieben?«

»Damals haben die Morde nach dem siebten Kind aufgehört, und wir haben jede Spur verloren. Ich möchte nicht, dass sich das wiederholt.« Lovett drückte ihm die Mappe in die Hände. Jones las die Worte, die darauf geschrieben waren.

»Die mechanischen Kinder?«

»War Inspektor Welshs Idee. Ich war damals noch Sergeant und stand meistens in der Empfangshalle hinter dem Tresen.« Lovett räusperte sich und schaute Jones eindringlich an. »Welsh hat jedes Fitzelchen an Information, welches wir damals hatten, gesammelt. Arbeiten Sie sich in den Fall ein, und tun Sie es schnell. Er könnte bereits das nächste Opfer in seiner Gewalt haben.«

»Ich werde Hilfe brauchen. Constable Manju war mir beim letzten Fall eine große Unterstützung.«

Lovett nickte. »Nehmen Sie sie hinzu, aber schärfen Sie ihr ein, dass die Sache äußerst heikel ist. Kein Wort zur Presse oder irgendjemandem, der nichts mit dem Fall zu tun hat. Haben Sie mich verstanden, Inspektor?«

Jones nickte, worauf Lovett ihn stehen ließ. Er sah noch einmal auf die handschriftlichen Worte auf der Mappe. Die mechanischen Kinder. Wie passend.

»Nilima Manju, hören Sie auf, mit Sergeant Beckett zu flirten und kommen Sie her«, rief er laut, als er in den Gemeinschaftsraum stapfte. Eine junge Frau indischer Abstammung schrak zusammen, raffte jedoch sofort ihre Röcke und eilte an Jones' Schreibtisch. Ihre vielen goldenen Armreifen klimperten bei jeder Bewegung.

»Ich dachte, Sie seien verheiratet«, brummte Jones und musterte kurz ihr Gesicht. Nicht eine Spur von Scham.

»Und ich dachte, Sie seien keine Klatschtante«, gab Manju zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Neuer Fall?«, fragte sie dann und deutete mit dem Kinn auf die vergilbte Mappe.

»Vom Commissioner persönlich. Holen Sie uns Kaffee, das wird eine lange Nacht.«

Frost & Payne - Die mechanischen Kinder  Die komplette erste Staffel

Подняться наверх