Читать книгу Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel - Luzia Pfyl - Страница 6
3.
ОглавлениеAls Michael gegangen war, legte sich Stille über Frosts Büro. Nur das regelmäßige Schlagen der Pendeluhr in der Ecke und das Rattern der Straßenbahn draußen vor dem Schaufenster waren zu hören.
Frost rieb sich die Nasenwurzel. Sie bekam Kopfschmerzen. Sie hatte kein gutes Gefühl bei dem Auftrag, auch wenn es lukrativ für sie war und sie die Agentur behalten konnte.
Sie musste das Orakel befragen. Frost stand auf, ging zum hintersten Bücherregal und nahm das I Ging aus den Reihen. Es war ein großes, uraltes Buch. Sie hatte das I Ging von ihrer Ziehmutter bekommen, als sie alt genug gewesen war, um es zu verstehen und selbst anzuwenden. Das Orakel wurde seit über zweitausend Jahren verwendet und galt als einer der ältesten chinesischen Texte. Frost konnte zwar die Feinheiten der Sprache nicht vollständig verstehen, doch seit sie eine englische Übersetzung des Textes gefunden hatte, benutzte sie es regelmäßiger.
Sie atmete tief durch und konzentrierte sich auf die Frage, die ihr immer wieder durch den Kopf ging. Was soll ich tun? Sie wollte nicht zurück in die Organisation, aber sie konnte Michaels Auftrag unmöglich ablehnen. Sie hatte ihm ihre Zustimmung gegeben.
Sie nahm drei chinesische Münzen und warf sie so lange, bis sie alle Striche des Hexagramms beisammenhatte. Dann schlug sie das I Ging auf.
»Hm, interessant«, murmelte sie, als sie bei den richtigen Linien angelangt war und die Übersetzung konsultiert hatte. Sie hatte keine Ahnung, wie sie die Antworten, die das Orakel ihr gegeben hatte, deuten sollte. Es sagte ihr, das eine zu tun, wobei sie eigentlich auch das andere tun könnte. Zukunft ungewiss. »Das hilft heute also auch nicht.« Frost schlug das Buch wieder zu und legte es zurück an seinen Platz im Regal. Manchmal blieben die Antworten, die das I Ging einem gab, kryptisch. Vielleicht hätte ihr ein Gelehrter, der sich seit Jahren mit dem Text auseinandersetzte, mehr dazu sagen können, doch der Aufwand war ihr stets zu groß erschienen. Sie hatte sich nie tiefer mit dem Buch befassen wollen. Das Ritual allein, es zu befragen, genügte ihr. Auch wenn es oft frustrierend endete.
Die Pendeluhr schlug zweimal. Frost starrte hinaus in das Schneegestöber, das London immer mehr in eine weiße Decke hüllte. Sie musste beginnen.
Michael Cho wartete vor den privaten Räumlichkeiten von Madame Yueh darauf, dass man ihn einließ. Er hatte um eine Audienz gebeten, nachdem er den Auftrag an Lydia überreicht hatte. Ihm waren Zweifel an der Richtigkeit der Sache gekommen.
Die rotlackierte Flügeltür wurde von innen lautlos geöffnet. Michael trat in den von Lampions und Kerzen erhellten Raum. Das Wandbild zu seiner Rechten stach ihm sofort ins Auge. Ein Meisterwerk. Als Lydia und er noch Kinder gewesen waren, hatten sie stundenlang davorgesessen und versucht, alle Details zu erkennen.
Madame Yueh saß auf ihrem Stuhl vor dem Parawan auf dem Podest, den Gehstock zwischen die Knie geklemmt, und schaute Michael aus scharfen Augen an. Sofort senkte Michael den Kopf und verbeugte sich respektvoll. Der Geruch der Räucherstäbchen vom Altar in der Ecke stach ihm in die Nase.
»Du wolltest mich sprechen, Michael Cho?« Die Stimme der Patriarchin hörte sich an wie trockenes Laub, doch ihre Worte waren klar wie ein Bergbach.
»Ich habe Zweifel, Mutter«, sagte Michael und benutzte dabei die förmliche Anrede für Mutter. Madame Yueh war die Mutter der Organisation. Er trat näher. »Die Sache mit Lydia …«
Der Blick der Greisin schien ihn zu durchdringen, sie sagte kein Wort. Michael presste die Lippen aufeinander. Er wollte Lydia verteidigen und Madame Yueh bitten, sie zu verschonen, doch die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Lydia war nun eine Außenseiterin, weil sie die Organisation verlassen hatte. Niemand hatte sie gehen lassen wollen, doch Lydia hatte schon immer ihren eigenen Kopf gehabt.
Michael befürchtete nur, dass Lydia diesmal zu weit gegangen war. Außenseiter wurden nicht geduldet, schon gar nicht, wenn sie so viel wussten wie Lydia.
»Willst du das Erbe deines Vaters antreten, Michael?«
Michael schaute auf. Ein harter Kloß steckte in seiner Kehle. »Ja, Mutter.«
»Dann tu, was ich dir aufgetragen habe. Lydia hat sich entschieden. Sie muss nun mit den Konsequenzen leben.«
Er nickte schweren Herzens. Er hatte keine andere Wahl. Im Hintergrund war die Sache schon angelaufen. Was nun geschah, lag allein in Lydias Händen.
Eine gute Stunde später entstieg Frost der ratternden Straßenbahn. Sie hatte ihre einfache Lederkluft gegen ein ordentliches Wollkostüm mit drei Schichten Röcken und passender Jacke eingetauscht. Statt ihrer derben Stiefel trug sie damenhafte Schnürstiefel, die ihr bis über die Waden reichten. Ihre dunklen Locken hatte sie zu einem Knoten gesteckt und einen schicken Hut darüber drapiert. Sie trug Lederhandschuhe und als zusätzlichen Schutz gegen die Kälte einen Muff aus Fuchsfell. Etwas zu viel für ihren Geschmack, und richtig frei bewegen konnte sie sich auch nicht, aber sie hätte schwerlich in diese feine Gegend gehen können, ohne entsprechend angezogen zu sein.
Sie befand sich in Belgravia, einem der nobelsten Stadtviertel Londons. Als die Straßenbahn anfuhr, sprühten Funken von der Oberleitung. Frost wäre zwar mit der Tube schneller hier gewesen, doch seit dem großen Streik der Gewerkschaften war man entweder leichtsinnig, lebensmüde oder nicht ganz abgeneigt, für ein paar Tage dort unten festzusitzen, wenn man die Untergrundbahn benutzte.
Sie bog in die Straße ein, die sie sich notiert hatte, und hörte durch den dichten Schneefall das leise Dröhnen eines Zeppelins über sich. Als sie hinaufschaute, sah sie geisterhafte Lichtstrahlen und einen dunklen, ovalen Schemen in den tiefliegenden Wolken über die Häuser hinwegziehen.
Sie fröstelte und schlug den Kragen ihres Mantels hoch. Jemand war dabei, den Schnee vom Gehweg zu räumen – in ihrem Viertel gab man sich nicht mal die Mühe –, und sie dankte dem Mann im Stillen, dass sie nun nicht mehr durch knöcheltiefen Schnee stapfen musste. Diese Schuhe waren wahrlich nicht für derartige Wetterverhältnisse geeignet.
Frost steuerte auf das Haus mit der Nummer zehn zu. Die Straße machte hier einen eleganten Bogen und umschloss einen winzigen Park. Die Häuser sahen alle gleich aus und standen wie ein cremefarbenes Bollwerk Schulter an Schulter. Auf der Treppe, die zur Eingangstür hinaufführte, schüttelte Frost den Schnee von den Schultern und vom Hut. Sie klingelte.
Ihr Blick fiel auf das Türschloss, und ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht. Rasch zog sie den rechten Handschuh aus und legte die Hand auf das Schlüsselloch. Sofort spürte sie, wie das Schloss ihr antwortete. Eine angenehme Wärme durchflutete kribbelnd ihre steifgefrorenen Finger.
Die Tür flog auf, und ein großer Mann in Butler-Livree schaute hochnäsig auf sie herab. »Sie wünschen, Madam?«
Frost richtete sich auf. »Guten Tag«, sagte sie gedehnt und mit übertrieben hoher Stimme. Sie ließ ihre Wimpern klimpern und setzte das freundlichste Lächeln auf, das sie sich ausmalen konnte. »Julia Armstrong, sehr erfreut. Ich bin Ihre neue Nachbarin. Ist vielleicht der Herr des Hauses zu sprechen? Garstiges Wetter, nicht?«
Ohne auf die abwehrende Haltung des Butlers zu achten, schlüpfte sie frech durch die Tür. »Ich bin beeindruckt«, kreischte sie los und drehte sich bewundernd im Kreis. »Was für ein ausgezeichneter Geschmack. Ich muss James, das ist mein Ehemann, unbedingt sagen, dass wir solche Tapeten brauchen.« Eine verschlossene Tür links, Treppe hinauf in den ersten Stock, Salon zur Rechten. Flur mit dickem Teppichboden, führte wahrscheinlich in den hinteren Bereich des Hauses, wo sich die Küche und die Räumlichkeiten des Personals befanden.
Der Butler räusperte sich. »Mr. Bingham ist im Augenblick nicht zuhause, Madam.« Sein Ton machte es unüberhörbar, dass er sie am liebsten so schnell wie möglich wieder loswurde. »Ich werde ihm ausrichten, dass Sie hier waren.«
Frost musterte den Butler. Intelligente Augen und militärische Haltung. Breite Schultern. Unter dem maßgeschneiderten Stoff seiner Livree zeichneten sich muskulöse Arme ab. Etwa Mitte vierzig. Dieser Butler würde ihr Probleme bereiten, sollte er sie erwischen. »Bitte, seien Sie ein Schatz und tun Sie das. Mein Mann und ich werden zu einem anderen Zeitpunkt wiederkommen. Wann wird Mr. Bingham denn zurückerwartet?«
Die Miene des Butlers regte sich keinen Millimeter. »Erst sehr spät, fürchte ich.«
Das war gut. Es war Freitag, Mr. Bingham verbrachte den Abend in seinem Club. Dennoch hätte sie den Hausherrn sehen mögen, um ihn einschätzen zu können. »Ach, das macht nichts. Ich würde Ihnen gerne meine Karte hierlassen, aber ich fürchte, ich Dummerchen habe sie zuhause liegen gelassen.« Sie lachte gekünstelt. »Vielen Dank für Ihre Mühen.« Sie hatte fürs Erste genug gesehen.
Die Kälte umfing sie und drang durch die Schichten ihrer Kleidung, als die schwere Eingangstür hinter ihr ins Schloss fiel. Den stechenden Blick des Butlers konnte sie regelrecht am Hinterkopf spüren. Garantiert würde er sie beobachten, bis sie außer Sicht war.
Sie ging den Weg zurück, den sie gekommen war, bog jedoch nach links ab, statt zur Station der Straßenbahn zu gehen. Hier war eine Lücke zwischen den Häusern, und eine schmale Gasse führte in eine Straße, die auf der Rückseite der Stadtvillen entlanglief. Hier befanden sich die privaten Stallungen. Frost zählte die Häuser, bis sie bei Nummer zehn angelangt war.
Ein Blick in den leeren Kutschunterstand sagte ihr, dass Mr. Bingham tatsächlich außer Haus war. Sie betrachtete die Fassade. Im Gegensatz zur Vorderseite bestand die Rückseite aus einfachem Backstein. Die Fenster waren kleiner, die Gardinen nicht halb so teuer und sehr schlicht gehalten. Frost schaute sich um. Beim gegenüberliegenden Haus leerte ein Hausmädchen gerade einen Eimer Schmutzwasser aus.
Mit wenigen Schritten war Frost um den Kutschunterstand herumgegangen und entdeckte den Hintereingang. Ein schmales Vordach befand sich über der einfachen Holztür, gleich darüber ein Fenster. Frost vermutete, dass sich hinter der Tür die Küche befand. Nach einem weiteren Blick über die Schulter – das Hausmädchen von gegenüber war wieder im Gebäude verschwunden – huschte sie zur Tür und ging in die Hocke. Ein mechanisches Schloss wie an der Vordertür. Wunderbar.
Frost lächelte, als sie zurück zur Straßenbahn ging. Heute Nacht würde sie zurückkommen und sich den Folianten holen. Doch wo bewahrte Bingham ihn auf? In der Bibliothek? Oder in seinem Arbeitszimmer? Sie würde schnell vorgehen müssen, denn sie wollte verhindern, dass der Butler oder ein spät zu Bett gehendes Dienstmädchen sie erwischte.
Ein Knistern in der Luft kündigte die nächste Straßenbahn an. Die dicken Kabel, die kreuz und quer zwischen den Häusern gespannt waren und parallel zur Straße verliefen, begannen zu summen. Durch den Schneefall sah Frost den Wagen herannahen. Als er nur noch wenige Meter von der Station entfernt war, zuckten bläuliche Funken über die Kabel, und winzige Blitze sprangen in die Schienen.
Frost fürchtete stets, eines Tages von einem dieser Stromschläge getroffen zu werden. Es hatte schon Zwischenfälle gegeben, aber seit dem Streik blieb den Londonern, die sich keine der teuren Kutschen leisten konnten, kaum etwas anderes übrig, als das Tram zu benutzen.
Als sie endlich wieder in ihrer Straße in Holborn war, hörte es auf zu schneien. Das drückende Grau lüftete sich ein wenig. Frost ertappte sich dabei, wie sie vor sich hinsummte. Konnte es sein, dass dieser Auftrag von Madame Yueh ihr Spaß machte? War sie nun schon so tief gesunken, dass ihr die Arbeit, die sich ganz klar weit außerhalb des Legalen bewegte und die sie ihr halbes Leben lang gemacht hatte, Freude bereitete? Oder, anders gefragt: Hatte es ihr schon immer Spaß gemacht, und sie hatte es in den drei Monaten einfach vergessen?
»Verfluchte Scheiße«, murmelte sie, als ihr die Schlüssel aus den eingefrorenen Fingern in den Schnee vor der Ladentür fielen.
»Verzeihen Sie, bitte«, hörte sie eine Stimme neben sich. Frost richtete sich auf und erblickte eine Frau etwa in ihrem Alter. Sie trug einen dunklen Wollmantel und hatte ein schönes, aber unscheinbares Gesicht. Ihre rotbraunen Haare waren zu einem adretten Knoten gesteckt, auf dem sie einen schlichten Hut drapiert hatte. Sie hatte vor Kälte die Schultern hochgezogen und schaute Frost mit hellen, beinahe forschen Augen an. »Können Sie mir sagen, wann die Agentur wieder öffnet?«
»Kommen Sie rein, drinnen können Sie sich aufwärmen«, antwortete Frost und öffnete die Tür. Das Glöckchen klingelte, und ein Schwall eisiger Luft strömte in ihr Büro. »Mein Name ist Lydia Frost, die Agentur gehört mir. Bitte, setzen Sie sich.« Sie entledigte sich rasch des Hutes und des Mantels und ging hinüber in die kleine Küche, um Wasser für Tee aufzusetzen. »Milch oder Zitrone?«
»Nur etwas Milch«, kam es unsicher aus dem Büro.
Frost lehnte am Türrahmen, während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, und beobachtete die Frau, als diese die Handschuhe auszog und ihren Schal löste. Sie sah angespannt aus, was nicht unbedingt auf die Kälte zurückzuführen war. Ihre Bewegungen waren fahrig, ihre Augen huschten unruhig durch den Raum. Schlichte, aber gut geschneiderte Kleidung. Tinte an den Fingern, als schriebe sie sehr viel. Bis auf den Ehering kein Schmuck.
»Nun, wie kann ich Ihnen helfen, Mrs …?« Frost stellte zwei Teetassen auf den Schreibtisch und bedeutete der Frau, die immer noch unsicher herumstand, sich zu setzen. Auch wenn sie eigentlich den Diebstahl des Folianten vorbereiten musste, wollte sie diese potenzielle Klientin nicht ablehnen. Auftrag war Auftrag.
»Payne, Cecilia Payne.« Die Frau hielt die Tasse wärmend in beiden Händen. »Ich bin Wissenschaftlerin und arbeite im Observatorium in Greenwich.«
Frost pfiff durch die Zähne. »Sie sind eine der Sterngucker? Durften Sie schon einen Kometen nach sich benennen?« Sie war in der Tat schwer beeindruckt.
Cecilia Payne lächelte verlegen. »Nein, das nicht. Meine männlichen Kollegen fänden das bestimmt unangebracht, auch wenn ich das für kompletten Unsinn halte. Aber als einzige Frau am Institut ist es oft nicht einfach.« Sie nahm einen Schluck Tee und klammerte sich weiterhin an die Tasse. »Ich vermisse meinen Mann, Miss Frost. Seit mehr als zwei Wochen war er anscheinend nicht mehr zuhause. Ich mache mir Sorgen um ihn, und mir wurde gesagt, dass Sie mir helfen können.«
Frost hob die Augenbrauen. »Anscheinend?«
»Nun, sehen Sie, Miss Frost, meine Arbeit verlangt oft, dass ich die Nacht über im Observatorium bleibe. Es vergehen manchmal Tage, bis ich mein eigenes Bett wiedersehe. Unser Hausmädchen hat auf mein Nachfragen gesagt, dass sie Mr. Payne schon länger nicht mehr gesehen hätte.«
»Waren Sie schon bei Scotland Yard?«
Mrs. Payne verneinte. »Ich möchte, wenn möglich, die Polizei vermeiden.«
Frost wusste, dass sie nun die unangenehmen Fragen stellen musste, doch sie brauchte jede Information, die ihr Mrs. Payne geben konnte. »Ist es das erste Mal, dass Ihr Mann verschwunden ist?« Sie holte ihr Notizbuch aus der Schublade.
»Ohne Nachricht? Ja.«
»Haben Sie sich schon bei seinem Arbeitsort nach ihm erkundigt?«
Mrs. Payne schüttelte den Kopf. »Jackson hat zurzeit keine Arbeit.«
Frost machte sich ein paar Notizen und schaute dann auf. »Hat Ihr Mann vielleicht eine Affäre? Kann es sein, dass er bei einer anderen Frau ist?«
Mrs. Payne schüttelte erneut den Kopf, sah dann aber unsicher auf ihre Hände. »Ich glaube nicht. Jedenfalls hoffe ich es nicht.«
»Hat Ihr Mann Freunde in der Stadt? Einen Club, den er regelmäßig besucht?«
Sie seufzte leise. »Jackson ist erst vor ein paar Monaten nach London gekommen. Ich habe ihn in New York kennengelernt, als ich an der dortigen Universität studiert habe. Er ist ein Pinkerton, müssen Sie wissen. Und nicht gerade jemand, der schnell Freundschaften schließt.« Ein liebevolles Lächeln schlich sich in ihr Gesicht.
Pinkerton? Die Sache wurde interessant. »Sie kamen aber vor ihm nach London.«
Mrs. Payne nickte. »Ich bekam vor zwei Jahren die Stelle im Observatorium. London ist meine Heimatstadt, ich wurde hier geboren, deswegen konnte ich das Angebot unmöglich ablehnen. New York hat seine Vorzüge, doch wenn Sie von der führenden Forschungsstätte des Empires ein Angebot erhalten, dann sagen Sie nicht Nein. Vor allem nicht als Frau. Die Forschungsarbeit, die wir in Greenwich betreiben, ist von bedeutender Wichtigkeit.«
Frost musste lächeln, als sie das Strahlen in Mrs. Paynes Augen bemerkte. Diese Frau lebte für ihre Arbeit. Aber das bedeutete auch, dass sie wohl nicht viel Zeit für ihren Mann hatte, der neu in der Stadt war und den sie vermutlich zwei Jahre lang nicht gesehen hatte.
»Mrs. Payne, ich bin ehrlich«, fing Frost an und verschränkte die Hände. »Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich Ihren Mann finde. London ist sehr groß, wie Sie wissen. Aber ich werde mein Mögliches tun.« Als Mrs. Payne nickte und sich damit einverstanden erklärte, zog Frost zwei Blätter Papier aus der Schublade des Schreibtischs. Das eine war ein Vertrag, den sie Mrs. Payne zum Durchlesen und Unterzeichnen reichte. Das andere war ein standardisiertes Formular, das sie von Scotland Yard abgekupfert hatte.
»Wenn Sie mit meinen Konditionen einverstanden sind, bitte ich Sie, den Vertrag zu unterschreiben. Danach möchte ich Sie bitten, hier ein paar Sachen auszufüllen. Vollständiger Name Ihres Mannes, Alter, Größe, Haarfarbe, Lieblingspub, sie wissen schon. Je mehr ich über Ihren Mann weiß, desto eher werde ich ihn finden können.«
Sie reichte Mrs. Payne einen Füller und lehnte sich zurück in den Sessel. Sie schlürfte ihren mittlerweile abgekühlten Tee, während sie Mrs. Payne dabei zusah, wie diese das Formular ausfüllte.
Zwei Aufträge an einem Tag. Das neue Jahr versprach wahrlich interessant zu werden.